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Essay

Das Politisieren einer Statistik löst kein einziges Problem

Die Kriminalstatistik, die vergangene Woche vorgestellt wurde, lässt keine voreiligen Schlüsse zu, sie muss genau und differenziert analysiert werden. Innenminister Strobl hat Recht, wenn er sagt, dass die Lage zu komplex für monokausale Schlüsse ist.

Eine Polizeistreife ist am Abend auf der Königstraße in Stuttgart unterwegs.

dpa/imageBROKER/Arnulf Hettrich)

Statistiken sind mit Vorsicht zu genießen, vor voreiligen Schlüssen sei gewarnt. Doch genau dies ist vergangene Woche mit Blick auf die Kriminalitätsstatistik geschehen. Eine Schlagzeile jagte die nächste, die Gewalt steige, vor allem die von Ausländern. Die Debatte griff größtenteils zu kurz. Angesichts der ohnehin aufgeheizten Stimmung ist dies gefährlich, denn die, die Stimmung machen wollen, nutzen dies gerne für ihre Zwecke.

So etwa die AfD-Fraktion am Mittwoch dieser Woche, eine Aktuelle Debatte mit dem Titel „Gewaltkriminalität auf Zehn-Jahres-Hoch – Was nun Herr Strobl?“ auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt.

Die PKS ist ein Tätigkeitsbericht der Polizei

Doch ist die Gewaltkriminalität tatsächlich so hoch? Und kann dies aus der Kriminalitätsstatistik tatsächlich abgelesen werden? Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) ist zunächst ein Tätigkeitsbericht der Polizei, wie Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht und Kriminologie, in einem Zeit-Interview beschreibt. Darin werden alle Verdachtssituationen erfasst, die der Polizei bekannt werden, in der Regel dadurch, dass jemand Anzeige erstattet hat.

Ob Deutschland unsicherer oder krimineller geworden ist, sagen die Zahlen nicht aus. Zwar wurden mehr Straftaten verzeichnet, das ist Fakt, doch das könnte auch bedeuten, dass sich die Hellziffer erhöht hat, dass der Polizei mehr Fälle bekannt geworden sind. Ob ein Tatverdächtiger tatsächlich Schuld hat und rechtskräftig verurteilt wird, steht wieder auf einem anderen Blatt.

Vielleicht liegt die Zahl der Straftaten in Wirklichkeit aber auch noch viel höher, die Dunkelziffer ist nicht zu unterschätzen. Gerade bei häuslicher Gewalt gehen Experten davon aus, dass ein großer Teil der Straftaten nicht bekannt wird, eben weil Opfer und Täter in einem Verhältnis zueinander stehen. Auf der anderen Seite zeigen Menschen jemanden, der ihnen fremd ist, eher an.

Das Bundeskriminalamt will das Dunkelfeld erhellen

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, bezeichnete die PKS im Interview mit dem ZDF als eine Ausgangsstatistik. Sie sage aus, was man über die Straftaten, die in dem jeweiligen Jahr bearbeitet wurden, wisse und nicht, was ist in dem Jahr passiert. Auch sagt er, die PKS beinhalte nur, was der Polizei angezeigt wurde und was sie herausgefunden hat. Das BKA führt daher aktuell auch eine Dunkelfeldbefragung durch, die Zahlen sollen Ende des Jahres vorliegen. Es gibt also mit Blick auf die PKS Verzerrungseffekte, die für deren Analyse miteinbezogen werden müssen.

Genauso muss man aber feststellen, dass der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen hoch ist. Das liegt auch an der dynamischen Zuwanderung, viele kommen, viele gehen. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist größer geworden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es mehr Opfer mit Migrationshintergrund gibt. Kriminalität hätte demnach nichts mit dem Pass zu tun, sondern vielmehr mit Lebensumständen und Erfahrungen, manche Flüchtlinge kommen aus Kriegsgebieten, sind traumatisiert.

Die Gewaltkriminalität bei Jugendlichen ist beunruhigend

Gelingende Integration würde die Ausländerkriminalität vermutlich eindämmen. Doch, und da hat Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) völlig Recht, die große Zahl an Migranten führt dazu, dass Menschen nicht mehr integriert werden können, die Sprache nicht mehr lernen. Dann sei die Gefahr, dass jemand kriminell werde, höher. Auch aus Perspektivlosigkeit. Die Lage ist in der Tat zu komplex für monokausale Schlüsse. Neben sozio-ökonomischen Gründen spielen auch familiäre, kulturelle, religiöse, ideologische Hintergründe eine Rolle, wie sich ein Mensch entwickelt, ob jemand gewaltbereit wird oder nicht.

Beunruhigend ist gerade die Gewaltkriminalität bei Jugendlichen, auch da ist der Anteil der Migranten hoch. Münch nennt mögliche Ursachen: Inflation, höhere Mobilität, psychische Belastungen, die über die Pandemie andauerten. Es ist also wichtig, sich nicht nur Zahlen anzuschauen, sondern vor allem die Ursachen und Hintergründe. Auch deshalb irritierte die Berichterstattung, bevor die Statistik vorgestellt war. Sie wurde politisiert, bevor die Zahlen bekannt waren. Schrill und polemisch. Das löst die Probleme nicht.

Wer eine Straftat begeht, muss zur Rechenschaft gezogen werden, Gewalt darf nicht toleriert werden, egal woher jemand kommt. Es ist auch legitim, ausländische Straftäter abzuschieben. Und doch sollte man bedenken, dass keiner als Straftäter zur Welt kommt und dass eine Perspektive manchmal Wunder wirkt.

Mehr zum Thema: Die Zahl der Straftaten steigt auch im Land | Staatsanzeiger BW

Jennifer Reich

Redakteurin Politik und Verwaltung

0711 66601-183

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