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Essay

Die Kennzeichnungspflicht ist und bleibt überflüssig

Nach einem Jahr ist der Nutzen der Kennzeichnungspflicht geschlossener Polizeieinheiten fraglich. Deren Abschaffung wäre ein Schritt in Richtung weniger Bürokratie. 
Polizisten in Schutzkleidung stehen vor einem Polizeifahrzeug auf einer Straße.

Die Bereitschaftspolizei im Einsatz bei einem Hochrisikospiel.

dpa/CHROMORANGE/Udo Herrmann)

Die Notwendigkeit einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten in geschlossenen Einheiten ist auch nach einem Jahr der Umsetzung nicht gegeben. Ein einziges Mal wurde bislang ein Polizeibeamter anhand der Nummer auf seiner Uniform identifiziert. Das war im März.

Über ein regionales Polizeipräsidium erreichte die Stelle, die die Nummern im Polizeipräsidium Einsatz in Göppingen zentral verwaltet, ein Auskunftsersuchen. Dort ist man zuständig für Ausgabe, Lagerung, Rücknahme und Sperrung von Kennzeichnungen. Die eine Anfrage wurde laut Innenministerium innerhalb von zwölf Tagen beantwortet. Dieser lag ein Ermittlungsverfahren nach einer Demonstration zugrunde. Weitere Ersuchen gingen nicht ein.

Wenn man bedenkt, wie kontrovers und schrill die Kennzeichnungspflicht für Polizisten diskutiert wurde, stellt sich nach einem Jahr die berechtigte Frage, ob sich all das eigentlich gelohnt hat.

Nein. Denn vor allem hat die Kennzeichnungspflicht reichlich verbrannte Erde hinterlassen. Viele Polizeibeamte fragten sich, wie stark der Rückhalt seitens der Politik und der Gesellschaft für sie tatsächlich ist. Sie empfanden und empfinden das, was Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag festgehalten hat, von vornherein als Misstrauen. Verständlicherweise. Vorangetrieben haben das Thema vor allem die Grünen nach dem aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz, der als Schwarzer Donnerstag in die Stuttgarter Geschichte einging. Damals, so argumentierten die Grünen, wurden über 150 Verfahren gegen Polizisten eingestellt, da diese nicht identifiziert werden konnten. Dem widersprachen Justiz und Polizei.

Die Polizeigewerkschaften stemmten sich gegen die Kennzeichnungspflicht

Die Kennzeichnungspflicht war mit ein Grund dafür, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) mit der CDU, der sie eigentlich nahesteht, heftig aneinandergeraten ist. Der Landeschef Ralf Kusterer warf der Union damals vor, Werte „auf dem Schmuddeltisch“ zu verraten. Parteien würden „auf eine Art und Weise um die Gunst der Regierungsbeteiligung buhlen wie Prostituierte auf dem Straßenstrich“, schrieb er mit Blick auf die Rolle der CDU bei der Regierungsbildung in der Mitgliederzeitschrift der DPolG.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stemmte sich gegen die Einführung der Kennzeichnungspflicht in Baden-Württemberg. Sie argumentierte damit, dass auch ohne die neu eingeführte Kennzeichnung Polizisten identifiziert werden können. Schon damals waren sie ihrer Einheit durch Zahlen auf der Uniform zuordenbar. Die GdP fordert die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht. Tatsächlich wäre Baden-Württemberg nicht das erste Bundesland, das sie wieder abschafft. Auch in Nordrhein-Westfalen galt seit Ende 2016 beim Einsatz in Einheiten der Bereitschaftspolizei und in den Alarmeinheiten eine erweiterte Kennzeichnungspflicht. Nicht einmal ein Jahr später schaffte NRW die anonymisierte, individualisierte Kennzeichnungspflicht wieder ab. Der dortige Innenminister Herbert Reul (CDU) bezeichnete sie als überflüssig und als Misstrauensvotum gegenüber den Polizistinnen und Polizisten.

Mehr Vertrauen in die Einsatzkräfte wäre wünschenswert

Und doch ist – bei aller Kritik – die befürchtete Flut an Anfragen zur Kennzeichnung ausgeblieben. Mit der doppelten Kennzeichnung hat man allerdings vor allem eines erreicht: ein Mehr an Verwaltungsaufwand, der auch Kosten verursacht. Zwar bleibt beides im Rahmen, es steht aber dennoch im Widerspruch zum Ziel der Landesregierung, unnötige Bürokratie abzuschaffen.

Die Kennzeichnungspflicht ist in der gleichnamigen Verwaltungsvorschrift geregelt. Sie gilt für Polizisten in stehenden geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei, des Polizeipräsidiums Einsatz sowie der Einsatzhundertschaften der Präsidien Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart.

Die Kennzeichnung besteht aus einer fünfstelligen Nummernfolge, der die Länderkennung BW vorangestellt wird. Die Polizeibeamten haben je drei nach dem Zufallsprinzip persönlich zugewiesene Kennzeichnungen. Für jeden Einsatz kann eine frei gewählt werden.

Fazit: Die Kennzeichnungspflicht war und ist überflüssig, Polizisten waren auch ohne sie identifizierbar. Zudem leisten Polizisten einen Eid, sie haben besondere Rechte, aber auch besondere Pflichten. Wie wäre es, wenn man denen, die in allen Lagen den Kopf für uns hinhalten, mehr Vertrauen entgegenbringt? Kontrollmechanismen bei Fehlverhalten einzelner gibt es genug. So wird etwa bei Verdacht auf ein Dienstvergehen ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

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