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Interview: René Repasi (SPD)

„Die Wahl von Ursula von der Leyen war eine Ursünde“

Der Karlsruher SPD-Politiker René Repasi hat eine Blitzkarriere in Brüssel hingelegt: 2022 rückte er für Evelyne Gebhardt ins EU-Parlament nach, jetzt ist er Spitzenkandidat für Baden-Württemberg und Sprecher der deutschen SPD-Abgeordneten. Was treibt ihn an?

René Repasi ist Sprecher aller SPD-Abgeordneten im Europaparlament.

Achim Zweygarth)
Herr Repasi, mit welchem Ergebnis für die SPD rechnen Sie? Droht ein Rechtsruck bei der Europawahl?

Wir müssen nach den Umfragen damit rechnen, dass ohne die konservative EVP nicht mehr geht. Die Christdemokraten müssen sich jetzt entscheiden: Bilden sie weiter eine proeuropäische Mehrheit mit uns, Grünen und Liberalen, oder eine rechte, antieuropäische Mehrheit, mit der Fraktion EKR, in der Giorgia Melonaiaus Italien oder die PiS aus Polen sitzen, und der Fraktion ID, die Rechtspopulisten und Faschisten versammeln. Wenn die EVP mit den Rechtsradikalen zusammen arbeiten will, dann wird es problematisch.

Hängt das auch Ihrem Verhalten?

Es wird auch im neuen Parlament eine breite proeuropäische Koalition geben können, die eine deutliche Mehrheit der Sitze erringen wird. Für Deutschland rechne ich mit einem Zuwachs bei der SPD ausgehend von den 16 Prozent beim letzten Mal. Die Vertrauenswerte von Bundeskanzler Olaf Scholz gehen nach oben, die der AfD nach unten.

Ist die Idee, dass der Spitzenkandidat bei der EU-Wahl Kommissionspräsident wird, schon wieder beerdigt?

Als Wissenschaftler habe ich das Übergehen der Spitzenkandidaten 2019 bei der Wahl von Ursula von der Leyen als „Ursünde des Mandates“ bezeichnet, weil dem Europäischen Rat signalisiert wurde, dass er am Ende machen kann, was er will. Nun hat Ursula von der Leyen keinen schlechten Job gemacht, aber das Parlament hätte das zur Wahrung seiner Selbstachtung nicht akzeptieren dürfen.

Von der Leyen spricht nicht mehr von einem Green Deal, sondern von einem Deal für mehr Wettbewerbsfähigkeit …

Das sind alles nur Schlagworte. Ich habe als Sozialdemokrat keine Angst vor dem Wort Wettbewerbsfähigkeit. Industriepolitik war immer unser Thema, weil wir glauben, dass der Markt nicht alles regeln kann. Der Green Deal ist notwendig, weil sich die Erde weiter erwärmt und Rohstoffe knapper werden. Wir müssen klar machen, dass wir auf Wasserstoff und Elektromobilität setzen, dabei müssen wir aber die Firmen bei den Investitionen unterstützen.

Das Interview mit dem AfD-Spitzenkandidaten lesen Sie hier.

Aus Baden-Württemberg und von der CDU kommt der Ruf, das Verbrennerverbot 2035 noch einmal zu überdenken, um die Autoindustrie zu schützen.

Das ist eine Fehleinschätzung, die bei den Chefetagen der Automobilhersteller so gar nicht geteilt wird. Da hat man viel lange den Einstieg in die Elektromobilität verschlafen, das wird jetzt nachgezogen. Das Problem ist die Zulieferer-Industrie, die vielen Einzelteile von Verbrennermotoren herstellen. Hier müssen wir bei der Transformation helfen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich habe vor kurzem in Südwürttemberg ein Unternehmen besucht, das bisher Kleinstteile von Verbrennermotoren hergestellt hat und jetzt sehr effizient so genannte Cellringe für Elektrolyseure produzieren, die man für die Erzeugung von Wasserstoff benötigt. Jetzt haben sie einen großen Auftrag aus den USA erhalten, weil grüner Wasserstoff dort sehr gefragt ist. Es fehlt jedoch die Anschubfinanzierung für die Umstellung, es gibt keinen Kredit oder Förderprogramme. Genau das meine ich, wir dürfen die Unternehmen mit dem Umstieg nicht alleine lassen.

Anfang des Jahres gab es bei Elektroautos einen Einbruch der Nachfrage …

Das hat auch mit der Ladeinfrastruktur zu tun. Andere wie die Niederlande oder Schweden sind dabei schon viel weiter. Auch hält die Netzinfrastruktur nicht mit, wenn alle gleichzeitig laden müssen. Und es ist auch eine emotionale Frage: Man hat sich an den Verbrenner gewöhnt, das ist ein Statussymbol. Wir können noch mehr Anreize setzen umzusteigen.

Nach den Bauernprotesten ist man den Landwirten entgegen gekommen …

Da wurde im Eilverfahren ein jahrelang verhandelter Kompromiss zur Gemeinsamen Agrarpolitik über den Haufen geworfen. Dieses gehört meiner Ansicht nach über den Haufen geworfen, aber nicht die Ursache für die schlechten Einkommen von Landwirten angegangen. Es gibt in der Wertschöpfungskette zwischen den Landwirten und Verbraucher große Gewinnmargen, die etwa bei Molkereien oder beim Lebensmittelhandel eingestrichen werden. Beim Landwirt gibt es aber nur einen Preisdruck nach unten. Dien Beschwerden der Landwirte kann ich daher nachvollziehen.

Das Interview mit dem Grünen-Spitzenkandidaten Michael Bloss lesen Sie hier.

Was wäre denn Ihr Vorschlag?

Ich glaube, dass eine Prämie, die auf das Wirtschaftsmodell eines Hofes abzielt, viel effizienter ist eine reine Flächenförderung. Und man sollte die Oligopole in der Wertschöpfungskette zwischen Landwirt und Verbraucher zerschlagen, die Preise diktieren. Ein echter Wettbewerb sollte Landwirten ein ordentliches Einkommen sichern, dann müssten wir auch nicht über den steuerlichen Nachlass beim Agrardiesel diskutieren.

Sozialdemokraten kämpfen soziale Mindeststandards in Europa, ist das im neuen EU-Parlament noch möglich?

Die Gefahr besteht, dass sich das Fenster schließt. Daher sollten wir im Wahlkampf auf diese Möglichkeit hinweisen. Jahrelang haben wir über einen europäischen Mindestlohn diskutiert. Der Sozialkommissar Nicolas Schmit, der auch Spitzenkandidat der Sozialdemokraten ist, hat ihn durchgesetzt. Wir haben eine Richtlinie zur Lohntransparenz bekommen, oder eine Regelung zur Plattformarbeit. Das hat Schmit zusammen mit der aktuellen progressiven Mehrheit im Europäischen Parlament durchgesetzt, obwohl es im Rat eine konservative Mehrheit gibt.

Müssen Sozialdemokraten und Grüne der EVP nicht auch etwas anbieten?

Genau so ist es. Ich habe in einer Plenardebatte deutlich gemacht, dass ich bereit bin, in meinem Politikfeld die Hand Richtung Christdemokraten und Liberale auszustrecken. Sonst kämpfen wir nur um die Verteidigung des Stillstandes und Minimalkompromisse.

Sie sind 2022 nachgerückt ins EU-Parlament – was das für Sie wie die Ankunft in einem Raumschiff?

Ja, das war damals noch viel mehr Raumschiff für mich, ich kam direkt am Ende der Coronazeit ins Parlament, i der ich vollständig aufgrund des Lockdowns zu Hause im Home Office war. Plötzlich stand ich mittendrin im Parlament und nicht mehr an der Seitenlinie. Wenige Tage, nachdem ich ins EU-Parlament kam, brach der Ukraine-Krieg aus, das war ein tiefer Einschnitt, der alles verändert hat. Zudem hatte ich als Wissenschaftler meine eigenen Thesen zum demokratischen Defizit der EU. Im Parlament die Funktionsweise der europäischen Demokratie am eigenen Leibe zu erleben, war ein Realitätsschock. Am dramatischsten empfinde ich das beim Lobbyismus in Brüssel.

Wie macht sich das bemerkbar?

Man wird bombardiert mit Mails und Gesprächen, in denen immer wieder die selben Botschaften gesetzt werden wird. Wenn man mangels neuer Information Gespräche nicht mehr persönlich führt, werden sie ärgerlich. Dann heißt es: Der spricht nicht mit uns und hat keine Ahnung.

Wo fällt Ihnen noch der Einfluss von Lobbyisten in Brüssel auf?

Es werden mundgerechte Textbausteine für Änderungsanträge der Abgeordneten verschickt. Beim Durcharbeiten von Änderungsanträgen für Gesetze kamen mir einige Passagen bekannt vor. Als Universitätsprofessor habe ich sie durch eine Plagiatssoftware laufen lassen und mit Lobbyanträgen abgeglichen. Da gab es leider viele Treffer.

Und wie gehen Sie dann damit um?

Ich muss Vieles erst wieder wegverhandeln, weil die Punkte der Lobbyisten zu roten Linien von Fraktionen gemacht werden. Dass Einzelinteressen so massiv als angebliche Allgemeininteressen kaschiert werden, hat mich schon verwundert. Ein anderes Beispiel ist Apple, das eine Nichtregierungsorganisation für „digitale kleine Unternehmen“ massiv unterstützt hat, die dann unverhohlen Konzerninteressen unter einem anderen Label vertritt.

Frustriert Sie das?

Es ist für mich eher Antriebsfeder, noch mal für das EU-Parlament zu kandidieren und den Einfluss dieser Einzelinteressen zurück zu drängen.

René Repasi in der REdaktion des Staatsanzeigers mit Chefredakteur Rafael Binkowski. Foto: Achim Zweygarth

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