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Essay

Die Wohnungsfrage ist auch eine Frage unserer Ansprüche

Der Streit um die Mietpreisbremse verdeutlicht, dass wir an einem Punkt sind, an dem es nicht weitergeht. Diese Ansicht vertritt Michael Schwarz in seinem Essay.

In Konstanz zu wohnen, muss man sich leisten können.

dpa/CHROMORANGE/Monika Wirth)

Anders als im Paradies oder im Schlaraffenland muss in Deutschland jeder sehen, wo er bleibt. Niemand nimmt einem die Sorge ab, für sich zu sorgen, jedenfalls, solange er oder sie nicht aus anderen Gründen – etwa Jugend, Alter, Krankheit, Behinderung – Unterstützung benötigt.

Das ist der Charakter unserer Wirtschaftsordnung. Niemand fällt durch den Rost. Doch jeder, der kann, muss anpacken. Das wäre kein Problem, solange dabei die Grundbedürfnisse befriedigt würden. Doch dies ist bei einem dieser Grundbedürfnisse schon lange nicht mehr der Fall: Wohnen kann sich längst nicht mehr jede und jeder leisten.

80 Quadratmeter für 2000 Euro im Monat

Derzeit wird in Baden-Württemberg über die Mietpreisbremse diskutiert sowie über die Frage, wo sie gelten soll. Angeblich ist es inzwischen nicht mehr so schwer, eine Wohnung in Mannheim oder Konstanz zu finden, weshalb sie aus der Mietpreisbremse fallen sollen. Dies würde heißen, dass dort die Mieten 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürften. Das wiederum hieße, dass in Zukunft eine 80-Quadratmeter-Wohnung in Konstanz fast 2000 Euro kosten dürfte.

Bei solchen Mieten darf man durchaus einmal daran erinnern, dass im Grundgesetz steht, dass Eigentum verpflichtet. Und dass in Deutschland zehn Prozent der Menschen zwei Drittel des Nettovermögens besitzen. Und dass Immobilien die wichtigste Vermögensposition der Privathaushalte darstellen.

Dennoch gibt es keine einfache Lösung. Sonst wäre sie längst gefunden. Wer Investoren verbietet, mit Immobilien Rendite zu machen, wird bald keine Investoren mehr finden. Deshalb sind auch andere Maßnahmen mit Vorsicht zu genießen. Etwa der vom Bundesverfassungsgericht gestoppte Berliner Mietendeckel oder die Vorstellung, dass sich die Lage zum Guten wendet, wenn man Firmen wie Vonovia enteignet.

Trotzdem darf man in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass unsere Wirtschaftsordnung die soziale Marktwirtschaft ist. Und dass dieses Konstrukt, das Ludwig Erhard ersann, aus zwei Elementen besteht: dem Vertrauen darauf, dass der freie Markt, das Gewinnstreben eines jeden einzelnen der Gesellschaft zuträglicher ist als jede Form des Sozialismus. Weil so Werte geschaffen, die ansonsten nicht entstehen würden. Gleichzeitig gibt es aber auch Situationen, wo der Staat eingreifen muss, um soziale Härten abzufedern.

Die Situation am Wohnungsmarkt ist eine solche. Hier ist der Staat gefragt, nicht nur regulierend, sondern auch als Wohnungsbesitzer und Bauherr. Wenn endlich damit begonnen würde, wieder großflächig sozialen Wohnungsbau zu betreiben, würde dies auch Druck auf den privaten Bereich erzeugen; die Mieten könnten wieder fallen oder zumindest nicht mehr so schnell steigen.

Neben der sozialen gibt es jedoch noch eine weitere Frage, die dieses Thema so kompliziert macht. Wohnraum ist nicht beliebig vermehrbar. Er kann nur dort entstehen, wo es Bauland gibt. Dieses wiederum gibt es nur um den Preis des Flächenfraßes. Dabei werden Umwelt und Natur weiter zurückgedrängt. So schrumpft der Lebensraum für Tiere und Pflanzen, aber auch jener, den der Mensch zur Erholung braucht.

Man kann höher und enger bauen

Ein paar Ansätze gibt es, um dieses Dilemma zu lösen. Man kann höher und enger bauen. Kommunen können auf die Ausweisung von Einfamilienhaussiedlungen verzichten. Genossenschaften bieten die Möglichkeit, auch in Ballungsgebieten zu erschwinglichen Preisen zu wohnen.

Die Zuspitzung am Wohnungsmarkt kommt jedoch nicht von ungefähr. Seit 1950 hat sich die Zahl der Wohnungen auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik nahezu verdreifacht. Seit der Wiedervereinigung ist die Wohnfläche pro Kopf um 41 Prozent auf fast 50 Quadratmeter gestiegen. Immer mehr Menschen wohnen in Einfamilienhäusern.

All dies kann nicht ewig so weitergehen. Es muss gelingen, den Wohnraum, den es gibt, gerechter zu verteilen. Alten Menschen muss der Wechsel in eine kleinere Wohnung erleichtert werden. Dauerhafter Leerstand kann nicht geduldet werden.

Fantasie ist gefragt – und Bescheidenheit. Und zwar bei den Wohnungssuchenden wie bei den Wohnungsbesitzern. Nicht jeder Mieter wird in Konstanz oder auf vergleichbaren Pflastern etwas finden. Und nicht jeder Eigentümer muss bei der Miete bis an das rechtlich Zulässige gehen. Eine Wohnung mag ein reizvolles Anlageobjekt sein. Sie ist aber etwas völlig anderes als eine Aktie.

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