Landes- und Bündnisverteidigung 

Chef des Landeskommandos Giss: „Wir wollen nicht in den Krieg, wir wollen abschrecken“

Der Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, Kapitän zu See Michael Giss, fordert ein Umdenken der Bürger, sie müssten sich mental auf den Kriegsfall einstellen. "Wir wollen nicht in den Krieg. Wir wollen abschrecken", stellt er klar. 

Kapitän zur See Michael Giss, führt das Landeskommando Baden-Württemberg der Bundeswehr. Er fordert ein Umdenken in der Gesellschaft.

dpa/Marijan Murat)

Stuttgart. Die Gesellschaft muss sich aus Sicht von Michael Giss, Chef des Landeskommandos Baden-Württemberg, mental auf den Kriegsfall einstellen. Trotz zahlreicher Krisen und Kriege würden sich immer noch viele Menschen gar nicht mit dem Thema beschäftigen, sagte der Kapitän zur See der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Es gibt noch wahnsinnig viele Bevölkerungsteile, die völlig in der Friedensdividende verhaftet geblieben sind“, kritisiert er. „Ich sage immer: Krieg geht alle an.“

Das Landeskommando ist die oberste territoriale Kommandobehörde der Bundeswehr im Land und repräsentiert sie gegenüber der Landesregierung in der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Viele Menschen würden nichts anderes kennen als eine „friedliche, von Freunden umzingelte Welt“, ohne Grenzen, so Giss. „Ich werfe es den Leuten nicht vor. Sie kennen nichts anderes. Aber jetzt ist die Zeit, wo wir ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen müssen.“ Es gebe viel Erklärungsbedarf. Bei den Bürgern müsse Betroffenheit erzeugt werden.

Nur ein Drittel der Menschen in Deutschland wäre bereit, das Land zu verteidigen

Giss zitierte Umfragen, wonach auch im vierten Kriegsjahr der Ukraine nur ein Drittel der Menschen hierzulande bereit wäre, ihr Land zu verteidigen. „Die anderen zwei Drittel müssen von ihrer Vollkasko-Denke wegkommen und sagen: Wo kann ich mich engagieren? Was würde ich denn tun, wenn es so weit kommt?“, so Giss. „Die Welt um uns herum ist, wie sie ist, und man hat die Pflicht, sich damit zu beschäftigen.“

Die Deutschen hätten aufgrund der Geschichte ein spezielles Verhältnis zu Militär und Krieg. „Umso mehr muss man jetzt den Leuten klarmachen, dass es gute Gründe gibt, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, wenn es sein muss – um unseren Rechtsstaat, unser liberales Leben zu verteidigen“, so der Kommandeur. Auch in Russland herrsche Frieden, aber in diesem Frieden wolle man schließlich nicht leben. „Wenn Putin bestimmt, was wir hier tun, dann gibt es auch keinen Christopher-Street-Day mehr – denn den mag er überhaupt nicht.“

Kommandeur schreibt Schulen eine zentrale Rolle zu

Auch den Schulen kommt laut Giss eine zentrale Rolle zu. «Wofür kämpft man eigentlich? Lohnt es sich, für etwas ein Gewehr in die Hand zu nehmen? Da ist die Schule das Spiel-Feld, wo man solche Fragen bei den jungen Menschen platzieren kann, wo man diese Debatten führen kann», sagte er.

Es bräuchte noch viel mehr Jugendoffiziere, um in den Schulen solche Diskussionen zu führen. «Wenn in den Schulen nicht rüberkommt, dass man einen liberalen Rechtsstaat zur Not auch verteidigt, weil es sich lohnt und weil es gut ist, so zu leben, wie wir es tun – wo soll es denn sonst gelingen?» Aus dem Gespräch mit jungen Leuten nehme er mit, dass viel an Hintergrundwissen fehle, etwa, was die Nato oder Mandate der Bundeswehr angehe.

Giss spricht sich für Einsetzung der Wehrpflicht aus

In dem Zusammenhang sprach sich Giss auch für eine erneute Einsetzung der Wehrpflicht aus. „Wir können noch so viel Milliarden-Pakete bekommen, wenn wir das Personal für diese Gerätschaft nicht haben, die wir dann kaufen könnten, dann ist das zu kurz gesprungen.“ Die Bundeswehr habe seit Jahrzehnten 25.000 Fehlstellen. Bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht gehe es auch nicht um die Frage nach „Kanonenfutter für die Front“, so Giss. Es gehe um wirksame Abschreckung, darum, genug verteidigungsbereite Reservisten und Soldaten zu haben, um den Gegner zu beeindrucken. „Wir wollen nicht in den Krieg. Wir wollen abschrecken.“

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