Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Hagel gegen Özdemir: Wie steht das Rennen?

Cem Özdemir Manuel Hagel Tartanbahn
Köpfe: IMAGO/Achim Zweygarth/Ulmer II | KI generiert mit Adobe Firefly | Montage: Herrgoß)Stuttgart. Jeder sucht sich aus dem aktuellen BW-Trend von Infratest Dimap, den der SWR und die beiden Stuttgarter Tageszeitungen bestellt haben, die Zahlen raus, die für ihn passen. Eine Sprecherin der Landes-CDU verweist gerne auf neun Prozent Vorsprung der CDU vor den Grünen. Ein Wert, der trotz leichter Verluste zugunsten der AfD relativ stabil bleibt. Käme es zu Schwarz-Grün, wäre also CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel Regierungschef. Sein Sprecher sagt: „Wir sehen das ausgesprochen gelassen.“
Doch trotz aller Beteuerungen ist man im CDU-Lager nervös, dass sich die persönlichen Werte von Hagel nicht verbessern, obwohl dieser seit Monaten durchs Land reist. Doch seine Beliebtheit steigt nicht, sondern fällt sogar um zwei Prozentpunkte. Hagel selbst zitiert gerne und oft ein Bonmot von Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel: „Richtig bekannt wirst du erst, wenn du aufgehängt wirst.“ Auf Plakaten, versteht sich.
Noch ist Manuel Hagel für viele Bürger ein unbeschriebenes Blatt
Fehlt es dem Kandidaten an Profil? Bei der Union verweist man auf einen Programmparteitag am 5. und 6. Dezember in Heidelberg, zudem stürzt sich Hagel in die Tagespolitik. Mit der Forderung nach einer Bundesratsinitiative gegen das Verbrenner-Aus hat er sich gegen die Grünen gestellt.
In der unionsinternen Debatte über die Brandmauer zur AfD stellt er klar, dass die Union nichts mit den Populisten verbinde. Gleichzeitig verteidigt er die Äußerungen des Kanzlers zum Stadtbild : „Friedrich Merz hat etwas ausgesprochen, das viele Menschen tagtäglich sehen.“ Nun werde er dafür „in die rechte Ecke gestellt“.
Ein bisschen Kulturkampf, ansonsten die AfD als Hauptgegner deklarieren, Ortstermine und Instagram-Stories, reicht das? Die inhaltlichen Vorstöße, eine zehnte Landesuniversität für KI zu gründen oder „zwei Verwaltungsebenen abzuschaffen“, bleiben vage. Das Hauptproblem des 37-Jährigen ist, dass die meisten Bürger kein Bild von ihm haben. Die CDU setzt darauf, dass sich das im Wahlkampf ändert, Hagels Sprecher verweist auf eine Umfrage des Instituts Insa, dort liegt die Union bei 31 Prozent und Hagel liegt bei den Befragten, die beide kennen, vor Özdemir.
Und wie ist die Lage bei den Grünen? Nimmt man die Werte der Partei, könnte die Ökopartei der Verzweiflung nahe sein. Die erste Umfrage mit Özdemir als Spitzenkandidat sieht die Partei eingefroren bei 20 Prozent, sogar die AfD überholt mit 21 Prozent. Nun ist das im Bundesvergleich ein ordentlicher Wert. Aber es fehlen eben neun Prozent, um die Verteidigung der Villa Reitzenstein in Sichtweite zu bekommen.
Hoffnung schöpft man bei Grün aus dem direkten Wert von Cem Özdemir, den 86 Prozent der Wähler kennen und von dem immerhin 46 Prozent ein positives Bild haben, allerdings auch 40 Prozent ein negatives. Bei der Frage der Direktwahl liegt er mit 41 zu 17 Prozent vor Hagel . Die einzige Chance der Grünen ist also, die Landtagswahl am 8. März zu einem Plebiszit zu erklären, wer Winfried Kretschmann nachfolgen soll. Özdemir oder Hagel?
Den Ex-Agrarminister und Ex-Grünenchef kennt fast jeder, er hat allerdings auch viele Gegner. Der 59-Jährige rückt die grüne Landespartei so weit in die Mitte, dass es fast quietscht. Verbrennerverbot verschieben? Kein Problem, es gehe ja nicht um die Jahreszahl. Dabei handelt er Hand in Hand mit Kretschmann, der Özdemir intensiv berät und dieselbe Botschaft beim Autogipfel im Kanzleramt verkündet.
Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen? Abschiebung krimineller Ausländer? Ja bitte. In der Stadtbild-Debatte verteidigt Özdemir den Kanzler vehement: „Viele Menschen scheuen öffentliche Verkehrsmittel nachts, insbesondere Frauen haben spätabends Angst, in Bahnhöfe zu gehen.“ Weiter Mitte-rechts kann ein Grüner kaum blinken.
Ansonsten herrscht eine Art inhaltliches Patt mit Hagel: Fordert der eine, die Handynutzung an Schulen einzuschränken, kommt der andere mit einem Social-Media-Verbot von Minderjährigen. Fast scheint es so, als wollten beide jeden neuen Vorstoß des anderen direkt abräumen.
Nicht alle Grünen mögen Özdemirs Superrealo-Kurs
Die Frage ist nur, ob die grüne Partei Özdemirs Linie mitträgt. Beim Fest der Landtagsfraktion vergangene Woche gab es durchaus Stimmen von jungen Parteilinken von der Basis, die mit diesem Super-Realokurs ihre Probleme haben. Ein weiteres Problem ist die Linke, die mit sieben Prozent erstmals in den Landtag käme. Auf ihrem Parteitag hat sie den „Kampf gegen den Klimawandel“ proklamiert. Verlieren die Grünen nach links, was sie in der Mitte gewinnen oder zu halten versuchen?
In der Partei herrscht bislang Disziplin, offenbar trägt man Özdemirs konservativen Kurs mit und hat bei der Listenaufstellung nur wenige Linke aufgestellt. Selbst die Grüne Jugend, die bundesweit mit dem Slogan „Bitte links abbiegen“ die Partei von der Mitte wegrücken will, bleibt in Baden-Württemberg handzahm, äußert allenfalls ein wenig Kritik an der Gleichstellungspolitik.
Zumindest bei Abgeordneten und Funktionären der Grünen wird alles dem Machterhalt untergeordnet. Störsignale kommen eher aus Berlin; in der Südwest-Partei fürchten viele bei einem Machtverlust um Posten und Positionen. Nach 15 Jahren hat man es sich eingerichtet in der Beletage der Macht.
Ein wenig Fingerhakeln gibt es bei Grün und Schwarz im Regierungsalltag, etwa bei der Mietpreisbremse. Doch insgesamt bleibt der Tonfall im Vorwahlkampf moderat, beide Spitzenkandidaten greifen sich nie persönlich an, meistens erwähnen sie den Namen des Kontrahenten erst gar nicht. Man will keine verbrannte Erde hinterlassen, schließlich könnte man nach der Wahl im März weiterhin miteinander regieren müssen. Cem Özdemir hat im Sommer bei einem Wahlkampfauftritt in Aalen sogar gesagt: „Eine Fortsetzung von Grün-Schwarz wäre doch nicht das schlechteste.“ Auch hier appelliert er an konservative Wähler.
Wobei man auf CDU-Seite betont, dass es keinen Automatismus für eine bestimmte Koalition nach der Wahl gibt. Özdemir betont auf Nachfrage immer, dass er auch dann in Stuttgart bleibt, wenn die Grünen auf Platz zwei landen. Was nichts anderes bedeuten würde, als Vize unter Hagel zu werden. Im CDU-Umfeld heißt es ostentativ, dass man eine „Deutschland-Koalition“ mit SPD und FDP präferieren würde.
Tatsächlich gibt es an der CDU-Basis eine Sehnsucht danach, ohne die Grünen zu regieren, auch Hagel hält sich die Option offen. Ob man eine fragile Dreierkoalition am Ende wirklich wagt, ist eine andere Frage. Wenn es denn reicht. Denn vielleicht fehlt dazu schlicht die Mehrheit.
Weitere Zahlen aus dem BW-Trend
Gut 40 Prozent der Befragten wünschen sich eine CDU-geführte Landesregierung, 29 sind für die Grünen und 21 für die AfD als stärkste Regierungspartei. Mit der aktuellen Landesregierung sind 45 Prozent zufrieden, 35 Prozent „eher unzufrieden“ und 14 Prozent gar nicht zufrieden. Die Zufriedenheit sank seit Mai um 6 Prozent. Bei der Frage, welche Partei die Probleme im Südwesten lösen kann, liegt die CDU mit 26 Prozent vorne, gefolgt von der AfD (17), Grünen (14) und SPD (7). Wichtigste Probleme sind bei den Befragen Zuwanderung (25 Prozent), Bildung/Schule (22), Wirtschaft (20), Verkehr (16) und Umweltschutz (12).