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Laut IGLU-Studie: 25 Prozent der Viertklässler können nicht sinnerfassend lesen

Seit Jahren steigt die Zahl der Viertklässler, die nicht sinnerfassend lesen können, kontinuierlich. Nach der jüngsten IGLU-Studie sind es inzwischen 25 Prozent. Das Kultusministerium hofft, erfolgreich mit einem Bündel von Maßnahmen gegenzusteuern.
Kinder lernen in der Schule

Bei Tests der Lesefähigkeit schneiden Schüler aus Baden-Württemberg seit langem immer schlechter ab. Die Ministerin sucht Mittel zur Abhilfe.

dpa/Westend61/Dirk Kittelberger)

STUTTGART. Die Schwelle ist einigermaßen hoch, die zu nehmen ist, um Kompetenzstufen im Leseverständnis zu erreichen, die als akzeptabel oder mehr ausgewiesen sind. Alle teilnehmenden Schüler müssen sich mit Pausen rund fünf Stunden dauernden Tests unterziehen. Dabei geht es um informierende und erzählende Texte, etwa den über „Erstaunliche Kraken“, der als einfach eingestuft ist und doch komplizierte Sätze wie diesen enthält: „Sie können Gefahren entkommen, weil sie schnelle Schwimmer sind und eine Wolke aus dickflüssiger, dunkler Tinte ausstoßen können, wenn sie jemand angreift.“

Fachbegriffe gehören bei den meisten Sachtexten dazu

Wenn ein Satz oder Abschnitt nicht oder nicht vollständig verstanden werde, „behindert dies über weite Teile hinweg nicht das Verständnis des nächsten Satzes oder Abschnitts“, schreibt das IGLU-Autorenteam. Nichtsdestotrotz seien wie in den meisten Sachtexten Fachbegriffe enthalten, beispielsweise Saugnäpfe, tropisch, Wirbelsäule und Aquarium. Die auf die Lektüre folgende Bearbeitung erfordere, „Informationen im Text miteinander zu verknüpfen, die nicht unmittelbar zusammenhängend beschrieben sind“.

Wer das nicht schafft, fällt in die Kompetenzstufen vier und fünf und gehört somit zu dem Viertel, das nach den IGLU-Erkenntnissen schon in der ersten Klasse der Sekundarstufen zusätzliche Schwierigkeiten in vielen Fächern über Deutsch hinaus bekommen wird. „Auf den Anfang kommt es an“, sagt auch Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), die von ihrem Besuch beim Vergleichsstudienaufsteiger Hamburg die Idee der Lesebänder mitgebracht hat. Vom Herbst an muss regelmäßig, also Woche für Woche, vor- und/oder laut gelesen werden. Schulen können eigene Konzepte entwickeln oder auf ein bereits erprobtes Programm „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BISS) zurückgreifen, das auch Lernverlaufsdiagnosen vorlegt.

Schopper plant unter anderem Sprachtests vor der Einschulung, um den Förderbedarf festzustellen. Der CDU-Landesvorstand will dem grünen Koalitionspartner Beine machen und verlangt in einem Positionspapier eine gesetzliche Änderung, um für Kinder mit Defiziten bereits das letzte Jahr vor der Grundschule verpflichtend zu machen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnt vor falschen Analogien, weil Hamburg als Stadtstaat zugleich Land und Kommune sei, während im Südwesten die Kommunen die Träger sind. „Es geht am Ende einfach darum, wer es bezahlt“, so der Ministerpräsident vor Wochen nach einer Kabinettssitzung.

Soll es für Kinder Sprachtests vor der Einschulung geben, um den Förderbedarf festzustellen?
  • Ja 87%, 66 Stimmen
    66 Stimmen 87%
    66 Stimmen - 87% aller Stimmen
  • Nein 13%, 10 Stimmen
    10 Stimmen 13%
    10 Stimmen - 13% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 76
7. Juni 2023 - 15. Juni 2023
Die Umfrage ist beendet.

Die Fachleute im Kultusministerium erinnern ebenfalls an die Trägerschaft, aber auch daran, wie das Land Kitas und Schulen bereits unterstützt. Zum Beispiel mit dem Programm „Starke Basis“ und zahlreichen Hilfestellungen, von Erklärvideos bis zu Fortbildungen in insgesamt 16 Bausteinen für die ersten vier Klassen, darunter Wörter schreiben und lesen, aber auch den Lese- und Schreibfluss trainieren oder Texte analysieren und verfassen.

Studienautoren empfehlen mehr Lese-Zeiten im Unterricht

Die IGLU-Autoren empfehlen unter anderem eine veränderte Prioritätensetzung und künftig mehr Unterrichtszeit für Leseaktivitäten zu reservieren. Baden-Württemberg hat allerdings bereits die Grundschul-Fremdsprache eingeschränkt, was auch nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Außerdem wird verlangt, den Förderbedarf individuell zu diagnostizieren und die Weiterbildung der Lehrkräfte in Bereich der Lese- und Sprachförderung auszubauen.

Anhand der IGLU-Beispieltexte wird auch das anzustrebende Ziel deutlich. Eine der zu bearbeitenden Geschichten handelt von einem leeren Topf und davon, wie der Kaiser von China seine Nachfolge regeln möchte. Er gibt Samenkörner an Jugendliche aus, bald sprießt und grünt es im ganzen Dorf, auch in den Töpfen von Cheun, Ming oder Wong. Nur Jun bekommt nichts zustande und muss fast weinen, als er sein Ergebnis präsentieren soll. Der Kaiser jedoch verkündet: „Aus den Samenkörnern, die ich euch gegeben habe, konnte nichts wachsen, weil alle diese Samenkörner abgekocht werden.“ Das von den Viertklässlern verlangte Ergebnis ist ebenfalls beschrieben: „Die Kinder müssen verstehen, dass die offizielle Aufgabe des Kaisers nur dazu dient, die Ehrlichkeit der Teilnehmenden zu testen und denjenigen zu finden, der nicht durch Schummeln einen Sieg erschleichen will.“ Und sie müssen dieses Ergebnis auf den Testbögen auch formulieren können.

IGLU-Studie unterscheidet fünf Stufen der Lesekompetenz

Wer über „rudimentäres Leseverständnis“ verfügt, fällt in Kompetenzstufe eins, wer „explizite Informationen identifizieren“ kann, in die Stufe zwei. Beides reicht in der vierten Klasse nicht, um die Mindestziele zu erreichen. Dazu gehört, verstreute Informationen zu verknüpfen (Stufe drei) und für die Stufe vier, relevante Inhaltsaspekte zu erfassen und komplexe Schlüsse zu ziehen. Zur Spitze zählen Zehnjährige, die „unter Bezug auf Textpassagen und Gesamttext Informationen ordnen“ und Aussagen interpretieren und kombinieren können.

Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer

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