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Doppelinterview: Annette Schavan und Manuel Hagel

Schavan: „Mein Lebenswerk besteht nicht aus G8“

Eine Begegnung: Annette Schavan (68), die 2003 als Kultusministerin in Baden-Württemberg G8 einführte, und Manuel Hagel (35), CDU-Landes- und Fraktionschef, der G8 wieder abschaffen wird. Wie blicken sie auf die Politik?

Annette Schavan war Bildungsministerin in Stuttgart und im Bund, Manuel Hagel ist Partei- und Fraktionschef der CDU.

Achim Zweygarth)
Staatsanzeiger: Frau Schavan, haben Sie einen Ratschlag an Herrn Hagel?

Schavan: Den gibt es nie öffentlich. Wie hat es der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau gesagt: Der öffentliche Ratschlag ist mehr Schlag als Rat. Ich erinnere mich, wie ich selbst jung war und Ältere Rat gegeben haben. Jede Generation hat ihren eigenen Stil und ihre Prioritäten. Hagel: Annette Schavan ist sehr charmant. Dennoch frage ich gerne nach und lerne aus Erfahrungen, wir sind froh, das wir sie bei uns haben.

Ist es schwieriger, Politik zu machen?

Schavan: Sie ist anders geworden. Brüche gab es in jedem Jahrzehnt, auch Bedrohungen und Ängste, denken Sie an die Zeit der RAF. Anders ist nun die wachsende Unversöhnlichkeit, Blasen rasen aufeinander zu. Das ruiniert Vertrauen in die Demokratie. Die Kunst des Politischen besteht darin, Dialoge zu ermöglichen, Kompromisse zu suchen und nicht zu glauben, die ganze Wahrheit gepachtet zu haben. Das ganze Leben ist ein Kompromiss, vor allem in der Politik. Hagel: Es geht um Überzeugungen, um ein eigenes politisches Angebot. Christdemokratie richtet sich nie gegen etwas, sondern immer für eigene Ziele und neue Wege.

Herr Hagel, war es 2002 richtig von Frau Schavan, das Abitur zu verkürzen?

Hagel: Jede Frage hat ihre Zeit, die für sie sie individuelle Antworten findet. Vor fast 20 Jahren gab es den Wunsch, dass Kinder und Jugendliche früher in Ausbildung und Studium kommen. Das war auch ein Anliegen der Wirtschaft. Annette Schavan hat viel Schwung in die Bildungspolitik gebracht. Wir wollen das mit diesem Elan und Engagement heute wieder so angehen. Schavan: Im Jahr 1998 machten 29 Prozent eines Jahrgangs Abitur, heute über 40, die Abiturdurchschnittsnote lag damals bei 2,39, heute bei 2,17. Da sieht G8 nicht unattraktiv aus. Die Chance von G8 liegt vor allem darin, dass ein Orientierungsjahr vor Ausbildung oder Studium möglich ist, das selbstgewählt ist. Ich erinnere mich an großen Veranstaltungen vor 20 Jahren, eine zum Beispiel in Reutlingen. Da haben nahezu alle Leute und auch viele Eltern G8 gefordert.

Einen Artikel zur Wahl von Manuel Hagel als CDU-Parteichef lesen Sie hier.

Welche Chancen liegen in der „Bildungsallianz“ der Parteien?

Hagel: Wir wollen Eruptionen in der Bildungspolitik von Wahl zu Wahl verhindern. Deswegen ist die Bildungsallianz so wichtig. Sie ist der Versuch, durch ein Bildungsupdate Verlässlichkeit und Stabilität für unser Bildungswesen zu geben. Wir arbeiten für die Einführung von G9 zum Schuljahr 2025/26. Da geht es um Geschwindigkeit, aber auch um die gute Ordnung der Organisation. Und es geht um die kindliche Bildung, die für uns als CDU eine riesige Bedeutung hat. Da liegen die Parteien näher beisammen, als es den Anschein hat. Schavan: Die Frage ist: Was bezwecken wir damit? Wenn mit G8 heute 40 Prozent Abitur machen, und der Notenschnitt bei 2,17 liegt? Sagen wir den jungen Leuten, wie sie auf 45 Berufsjahre für einen Rentenanspruch kommen? Wenn heute statt rund 20 Prozent über 49 Prozent der Viertklässler einen Migrationshintergrund haben, hätte für mich das Priorität.

Das klingt so, als wären Sie von G8 überzeugt. Blutet Ihnen nicht das Herz, wenn Ihr Lebenswerk abgeschafft wird?

Schavan: (lacht) Mein Lebenswerk erschöpft sich nicht in G8 und mir blutet nicht das Herz. Ich schmunzle eher, wenn ich lese, Herr Rülke, der FDP-Fraktionschef im Landtag, findet, G8 sei gescheitert. Darüber würde ich gerne mit ihm diskutieren, zum Beispiel über die Konsequenzen für die berufliche Bildung.

Braucht es ein Sondervermögen Grundschulen statt der Schuldenbremse?

Hagel: Wir sind uns in der Koalition einig, dass wir die frühkindliche Bildung vor die Klammer ziehen und so Investitionsschwerpunkte setzen. Ich habe drei kleine Kinder. Wenn mein ältester Sohn, der bald in die erste Klasse kommt, mich in zehn Jahren fragt: Papa, wie habt ihr das damals hinbekommen? Dann möchte ich sagen können: Weil wir nicht im politischen Armdrücken verharrt sind, sondern getan haben, was richtig war für unser Land.

Interessante Vater-Sohn-Gespräche …

Hagel (lacht): Die haben wir schon. Schavan: Der Gedanke war richtig, ein Stück weit Generationengerechtigkeit in der Finanzpolitik zu etablieren. Die Schuldenbremse wird weiterentwickelt werden. Das setzt voraus, klare Prioritäten zu setzen.

einen Kommentar zu G9 lesen Sie hier.

Der Rechtspopulismus wird stärker in Europa. Wie wichtig sind Brandmauern?

Hagel: Jeder, der über deutsche Isolation fantasiert, also raus aus der Nato oder raus aus der EU, meint damit auch weniger Produktion, Wohlstand und Beschäftigung, und in der Folge mehr Armut. AfD heißt für mich „Armut für Deutschland“. Von dieser Truppe unterscheidet uns in der Frage des Menschenbildes, intellektuell und habituell einfach alles. Die AfD ist keine konservative, sondern eine rechtsextreme und reaktionäre Partei. Wir können sie aus der Mitte schlagen, wenn wir Probleme lösen, die Menschen in ihre Arme treiben.

Frau Schavan, Sie wollten hier 2005 Ministerpräsidentin werden. Wäre das Land anders regiert worden?

Schavan: Es würde ziemlich eitel wirken, wenn ich sagen würde. Stattdessen Bundesbildungsministerin in Berlin zu werden, war eine gute Entwicklung, die ich im Rückblick nicht vermissen möchte. Und die neue Generation hat es geschafft, eine Brücke über Parteilager zu bauen, und das das Verdienst von Politikern wie Manuel Hagel.

Herr Hagel, und Sie wollen Ministerpräsident werden?

Hagel: (lacht) Ich schaue nicht jeden Tag in den Spiegel und frage, was aus mir wird. Ich möchte, dass eine Christdemokratin oder ein Christdemokrat dieses Land führt, weil wir doch alle im Land wissen, dass eine CDU-geführte Regierung besser für Baden-Württemberg ist. Das Erbe von Winfried Kretschmann wird bei uns in guten Händen sein.

Das Gespräch führten Rafael Binkowski und Johanna Henkel-Waidhofer

Das Interview mit Annette Schavan und Manuel Hagel (links) mit Chefredakteur Rafael Binkowski und Johanna Henkel-Waidhofer (rechts) fand im Landtag in Stuttgart statt.
Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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