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Essay

Noch ist Stuttgart 21 nicht verloren

Ist S21 wirklich „das beeindruckendste Bahnprojekt“ weltweit, wie Bahnchefin Palla meint? Oder beeindruckt nur, dass die Partner nicht verzweifeln, obwohl es immer wieder neue Hiobsbotschaften gibt? Ein Essay von Michael Schwarz.
Vier Personen sitzen bei einer Pressekonferenz vor einem Bildschirm.

Stuttgarts OB Frank Nopper, Bahnchefin Evelyn Palla, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Regionalpräsident Rainer Wieland (von links nach rechts) stehen am Stuttgarter Flughafen den Journalisten Rede und Antwort.

dpa/Katharina Kausche)

The show must go on. Oder was hätten über 100 Journalisten, Pressesprecher, Fotografen, Kameraleute, Projektbefürworter und -gegner nur getan, wenn es am 15. Dezember keine Stuttgart-21-Lenkungskreissitzung gegeben hätte? Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bahnchefin Evelyn Palla profitierten von der unerwarteten Gelegenheit, sich persönlich kennenzulernen.

Stuttgart 21 ist ein Markenzeichen geworden, ein medialer Dauerbrenner. Eine Endlosserie mit immer neuen Wendungen, wobei eines gewiss ist, so jedenfalls der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann, der auch 14 Jahre nach dem Volksentscheid nicht verleugnen kann, dass er mit dem Bahnprojekt – ganz vorsichtig formuliert – fremdelt: Stuttgart 21 dauert immer länger und wird immer teurer .

Kein neuntes und zehntes Gleis, kein Ergänzungsbahnhof

Und das ist es nicht allein. Immer mehr wird deutlich, dass dieses Projekt nicht richtig durchdacht wurde, bevor die Bauarbeiten 2010 begannen. Jedenfalls, was die verkehrliche Seite angeht. Die Vorstellung, dass man nur die Zahl der Gleise von 16 auf 8 halbieren muss, um bahntechnisch in der Zukunft zu landen, dürfte doch auch schon den Vätern dieses Projekts sonderbar vorgekommen sein. Und doch wurden ein neuntes und ein zehntes Gleis in der Schlichtung zwar erwogen, aber nicht gebaut. Ebenso ein Ergänzungsbahnhof, der sich etwa dort befinden sollte, wo heute die Züge halten. Beides hätte sicher dem Projekt nicht geschadet, Stresstest hin oder her.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Längst haben sich auch die prominenten grünen Projektgegner der ersten Stunde damit abgefunden, dass in der Mitte der Landeshauptstadt etwas entsteht, das sie bekämpften, bis sich „das Volk von Baden-Württemberg in seiner unergründlichen Weisheit“ anders entschied. Ab diesem Moment sei er ein Befürworter dieses Projekts gewesen, erläuterte Kretschmann.

Und so versucht man nun, mit Hilfe der Digitalisierung und einem weiteren Tunnel zu heilen, was zu heilen ist, wobei beide Teilprojekte noch nicht in trockenen Tüchern sind. Bei der Digitalisierung hakt es, weil der Zulieferer, die Firma Hitachi, nicht hinterherkommt. Und der Pfaffensteigtunnel muss erst noch gebaut werden. Doch daran, dass dies nun alsbald geschehen soll, obwohl die Wirtschaftlichkeit sehr umstritten ist, ließ Palla in Stuttgart keinen Zweifel.

Der frische Wind, den Palla wehen lässt, tut gut

Überhaupt Palla. Der frische Wind, den sie wehen lässt, tut nicht nur der Bahn, sondern auch ihrem größten Bauprojekt gut. Sie hat angekündigt, den Konzern auf links zu drehen und keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Sie will wissen, warum es bei Stuttgart 21 immer wieder hakt, warum Eröffnungstermin um Eröffnungstermin storniert wird.

Allerdings antwortete sie in Stuttgart nicht auf die Frage, ob sich die Bahn noch einmal für Stuttgart 21 entscheiden würde. „Das beeindruckendste Bahnhofsprojekt, das es vielleicht auf der ganzen Welt gibt“, nannte Palla Stuttgart 21. Das hätte es tatsächlich werden können, wenn man es nur konsequent zu Ende gedacht hätte – als Bahn-, nicht als Städtebauprojekt. Dann hätte es mehr Gleise gegeben, dann wäre der Ergänzungsbahnhof gebaut worden, dann würde man sich nicht alle Möglichkeiten einer Erweiterung mit dem Bau des Rosensteinviertels zubetonieren.

Stattdessen dürfte Stuttgart nun in mehr oder weniger absehbarer Zeit einen neuen schicken Hauptbahnhof bekommen, etwas später ein ebenso zeitgemäßes Wohnquartier und irgendwann vielleicht auch noch eine Anbindung via Pfaffensteigtunnel an die Gäubahn und Zürich.

In 100 Jahren kann man ja dann den nächsten Bahnhof bauen

Was Stuttgart aber sicherlich nicht bekommt, ist ein Bahnhof wie in Zürich. Dort gibt es 26 Gleise, acht davon durchgehend. Und auch andere Bahnhöfe werden dem Stuttgarter den Rang ablaufen, spätestens, wenn sie ebenfalls digitalisiert sind. Hannover etwa mit seinen 12 und Berlin mit seinen 14 Gleisen. Dort könnten die Drehscheiben des Deutschlandtakts entstehen. Welche Rolle Stuttgart spielt, ist ungewiss.

Vielleicht muss man sich hierzulande damit bescheiden, auch in Zukunft bahntechnisch die zweite Geige zu spielen. In 100 Jahren kann man ja dann den nächsten Bahnhof bauen. Spötter behaupten ohnehin, dass mit der 21 in Stuttgart 21 nicht 2021, sondern 2121 gemeint ist.

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