Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Kommentar zum Grünen-Parteitag

Özdemir sieht einen Auftrag von Kretschmann

Eine Woche nach CDU-Chef Manuel Hagel hat sich Cem Özdemir ebenfalls zum Spitzenkandidaten ausrufen lassen. Der Ex-Minister und Ex-Parteichef aus Bad Ursach gibt sich staatstragend, spricht von Heimat und Sicherheit, ohne seine Herkunft zu verleugnen. Eine Analyse von Rafael Binkowski.

Cem Özdemir reagiert beim Landesparteitag der Grünen in Baden-Württemberg nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten.

dpa/Marijan Murat)

Heidenheim. Am Ende seiner Rede versagt Cem Özdemir fast die Stimme, ein Flüstern ist es, als er an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewandt sagt: „Lieber Winfried, was du in Baden-Württemberg auf den Weg gebracht hast, das ist kein Erbe. Das ist ein Auftrag.“

Der 59-Jährige hält eine stellenweise staatstragende, aber auch sehr emotionale Rede. Wenn er etwa von seinen Eltern spricht, von der Herkunft aus einem Arbeiterhaushalt zweier Einwanderer, hört man die Emotionen in der Stimme: „Meine Eltern sind in der Erde der neuen Heimat begraben. Heute bin ich Ehrenbürger dieser Stadt, und stolz darauf.“

Lesen Sie hier: Cem Özdemir wird zum Spitzenkandidat gewählt

Özdemir spricht von Heimat und Sicherheit

Da schwingt viel Pathos mit, und das passt zu der Erzählung, die der selbst erklärte „Spätzles-Türke“ weniger seiner Partei, als vielmehr den Wählern anbieten will: Heimat. „Dieses Land hat mir viel geboten, es ist Zeit, dass ich etwas zurückgebe.“

Heimat – den Begriff hat eigentlich die CDU für sich reklamiert, und der eher magere Applaus in diesen Passagen zeigt, dass Özdemir damit nicht in der Wohlfühlzone grüner Parteitagsdelegierter argumentiert.

Oder wenn er von Bürokratieabbau, kurzen Genehmigungswegen und Sicherheit spricht, und an Gewalttäter auch aus migrantischem Milieu die Botschaft adressiert: „Wer hier gewalttätig ist, schlägert, oder Hass verbreitet, der ist hier falsch in diesem Land.“ Sogar der von der FDP so laut geforderten „Technologieoffenheit“ beim Antrieb redet er das Wort: „Lassen wir die Ingenieure entscheiden.“ Das ist ziemlich weit weg vom grünen Mainstream.

Lesen Sie auch: Das erste Rededuell zwischen Özdemir und Hagel

Grüne Fanschals und 97 Prozent Zustimmung

Früher hätten solche Aussagen auf Grünen-Parteitagen wilde Grundsatzdebatten ausgelöst. Jetzt wird Cem Özdemir mit 97 Prozent der Stimmen als Spitzenkandidat nominiert, und die Delegierten brechen in minutenlange Jubelstürme aus. Özdemir und Kretschmann halten wie Fußballfans einen Schal mit „2026“ in die Höhe.

Natürlich bekennt sich der langjährige Bundesvorsitzende der Grünen zu seiner Partei, erinnert an die Ursprünge. Doch die Rede, die phasenweise schon zu staatstragend und manchmal für Özdemirs Verhältnisse sogar etwa schwerfällig daher kommt, ist schon auf den Wahlkampf gemünzt.

Lesen Sie auch: Özdemir und der Phönix-Moment der Grünen

Wirtschaft und der Kampf um die bürgerliche Mitte

„Es geht um Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft!“, ruft Özdemir in den Saal, und erinnert an Ex-US-Präsident Bill Clinton mit seinem Satz: „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!!“ Klar ist, dass Özdemir den Kampf um die Mitte aufgenommen hat, der CDU die Heimat, die ländlichen Regionen, die bürgerlichen Kreise nicht überlassen will.

Vieles von dem, was Özdemir sagt, könnte sein Kontrahent Manuel Hagel auch so unterstreichen. Die Strategie ist klar: Die Popularität von Özdemir soll die aktuelle Unbeliebtheit der grünen Partei ausgleichen. Der Spitzenkandidat hofft auf Wechselwähler, und auf einen Abglanz von Kretschmanns Popularität.

Alle Artikel zu Cem Özdemir finden Sie hier

CDU-Chef Manuel Hagel wird mit keinem Wort erwähnt

Der scheidende Regent sagt: „Ich bin froh, dass wir Cem haben.“  Und Kretschmann zeichnet ein Profil seines möglichen Nachfolgers, der internationale Erfahrung, Krisenfestigkeit und Prinzipientreue mitbringen solle. Manuel Hagel wird nicht erwähnt, nur indirekt – es gehe darum, die Überschriften auch auszubuchstabieren.

Auch hier fällt auf: keine scharfen, oder gar persönlichen Angriffe auf die CDU oder ihren Spitzenmann. Özdemir sagt es selbst: Der politische Gegner von heute kann morgen der Koalitionspartner sein. Dass Grüne und Schwarze auch nach 2026 zusammen regieren, ist wahrscheinlich, die Frage ist nur, in welcher Reihenfolge.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch