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Bildungspolitik

Parteien sondieren Möglichkeit eines Schulfriedens  

Wieder einmal wollen Grüne, CDU, SPD und FDP einen Anlauf nehmen, um der Bildungspolitik im Land langfristige gemeinsame Perspektiven zu eröffnen. Die Latte für einen Erfolg liegt allerdings noch höher als in früheren Jahren.

Die grüne Kultusministerin Theresa Schopper steht vor der Aufgabe, mit CDU, SPD und FDP einen langfristigen Schulfrieden zu vereinbaren.

IMAGO/Arnulf Hettrich)

Stuttgart. Schon der zur Einladung uminterpretierte Auslöser ist gefinkelt. Denn der neue bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagfraktion Andreas Sturm hatte in der Aktuellen Debatte über G8 und G9 vor Weihnachten nichts anderes getan, als das umstrittene Bürgerforum zur Zukunft des Gymnasiums und den damit verbundenen Fragen zu loben als „Chance auf ein umfassendes Bildungs-Update und einen Konsens über die Fraktionen hinweg“. Darin aber folgen ihm keineswegs alle Fachleute, die sich jetzt an einem Tisch zusammenfinden.

Inhaltliche Unterschiede sind derzeit noch groß

S o hält Timm Kern (FDP) das Zufallsgremium, das bereits umfangreiche Empfehlungen vorgelegt hat, weiterhin für überflüssig und nur für einen Versuch der Grünen, den Volksantrag zur Wiedereinführung von G9 auszubremsen. Auch an der Tonlage wird noch zu arbeiten sein: Erst kürzlich forderten die Liberalen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf, nicht weiter zu „labern“.

Inhaltlich sind die Positionen noch weiter entfernt. Zwar will auch der frühere SPD-Kultusminister Andreas Stoch, heute SPD-Landes- und Fraktionschef, „dringend“ einen Konsens. Einer der Hauptforderungen der FDP, der Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung, werden die Sozialdemokraten aber nie und nimmer zustimmen. Auch CDU-Fraktionschef Manuel Hagel liebäugelt damit, die Rechte der Eltern bei der Schulwahl nach der vierten Klasse wieder einzuschränken. In der Strukturdebatte sind die Gräben tief wie eh und je: FDP und CDU wollen keine Abkehr vom vielgliedrigen Schulsystem, auch wenn Hagel eine „Debatte ohne Scheuklappen und Denkverbote“ in Aussicht stellt.

Schopper will sich an Hamburg orientieren

Die ernsthaft anzugehen, war jedoch Voraussetzung für den Schulfrieden in Hamburg, einem der Aufsteiger in den Bildungsvergleichen und Vorbild für Baden-Württemberg. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) nahm vor Ort Auswirkungen des Verzichts auf Bildungsstreitigkeiten in Augenschein. Seit 2009 ziehen SPD, CDU, Grüne und FDP an einem Strang. Verlängert sind die Vereinbarungen inzwischen bis 2025. Nach  der vierten Klasse warten nur zwei Alternativen: Die Gymnasien führen in acht Jahren zum Abitur und die Stadtteilschulen zunächst zu den mittleren Bildungsabschlüssen und dann, wenn gewollt, zur Reifeprüfung nach neun Jahren.

Der Verein für Gemeinschaftsschulen sah in den Koalitionsverhandlungen von 2016 zwischen Grünen und CDU die Möglichkeit, auch in Baden-Württemberg diesen Weg einzuschlagen. In einem Brief an die Verhandler „im Namen von mehr als 100 000 Gemeinschaftsschulakteuren“ baten sie darum, die „historische Chance“ für einen Schulfrieden zu nutzen und auf mehr gemeinsamen Unterricht zu setzen. Die Grünen konnten neue Strukturen jedoch nicht durchsetzen, woran sich 2021 zu Beginn der zweiten grün-schwarzen Regierungszeit nichts änderte.

Frühere Vorstöße waren oft von der Taktik bestimmt

Überhaupt waren die Verständigungsbemühungen des vergangenen Jahrzehnts getragen von Taktik. Der damalige SPD-Landeschef und Vize-Ministerpräsident Nils Schmid lud die CDU schon 2013 zu Konsensgesprächen und Verhandlungen über eine schlankere Schulstruktur ein. Die Union verlangte allerdings einen Umbau der Gemeinschaftsschulen, die sie mit dem abwertenden Begriff Einheitsschule belegte.

Und sie lehnte, trotz entsprechender Bundesparteitagsbeschlüsse, ein Zwei-Säulen-Modell vieler anderer Bundesländer kategorisch ab. Nach einer heftigen Landtagsdebatte war das Handtuch zerschnitten. Volker Schebesta (CDU), heute Schoppers Staatssekretär, warf der grün-roten Landesregierung vor, mit ihren Bildungsreformen das Haus angezündet zu haben und „jetzt nach der Feuerwehr zu schreien“. Später beförderten die Liberalen neue Konsensgespräche „ohne Bedingung“ mit, wollten jedoch die Gemeinschaftsschule auf die Unterstufenklassen beschränkt sehen.

Diesmal will die grüne Kultusministerin das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Grüne, CDU, SPD und FDP wollen ihre Fachleute aufbieten, die Bildungsverbände haben ihre Forderungen vorgelegt. So verlangt die GEW, die Gespräche müssten das Ziel verfolgen, die in Studien immer wieder belegte Bildungsungerechtigkeit im Südwesten abzubauen – nirgends in Deutschland hängt der Schulabschluss stärker vom Elternhaus ab.

Hamburg ist ein Vorbild mit strukturellen Vorteilen

Hamburg ist bekanntlich ein Stadtstaat und unterhält Schulen oder Kitas deshalb selbst als dafür zuständiger Träger. Komplizierte Finanzverhandlungen sind deshalb nicht notwendig.

Ties Raabe (SPD), Langzeitbildungssenator seit 2011, bietet die Hansestadt dennoch als ein Vorbild an, auch aus diesem speziellen Grund: „Unser bundesweit beachtetes Schulbauprogramm wäre ohne Schulfrieden nicht möglich gewesen.“ Dieser habe es möglich gemacht, gezielt und an den richtigen Stellen zu investieren. Dazu hat der Senat die Finanzmittel auch für die Sanierung deutlich erhöht. Und der CO 2 -Ausstoß ist seit dem Jahr 2010 um 25 Prozent verringert worden.

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