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Polarisierung durch Fragmentierung

Was Politiker wie Sahra Wagenknecht (BSW) und Alice Weidel (AfD) eint, ist die Abgrenzung gegen das „Establishment“.
IMAGO/Bernd Elmenthaler;Mike Schmidt | Montage: Herrgoss)Stuttgart. Dass die radikale Rechte in Deutschland und Europa im Aufwind ist, lässt sich nur bedingt mit einem gesellschaftlichen Rechtsruck erklären. Denn rechtsextreme Einstellungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit haben in den letzten Jahrzehnten nicht zu-, sondern eher abgenommen, wie die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) auf ihrer Website angibt. Etablierten Parteien fällt es laut Endre Borbath immer schwerer, die Interessen ihrer Wählerschaft in Programmen umzusetzen. Die Gründe dafür sind vielfältig, stellt der Politikwissenschaftler von der Uni Heidelberg fest.
Politische Entscheidungsprozesse sind schwerer zu durchschauen
Eine Rolle spiele, dass in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft die Ansprüche einer Vielzahl unterschiedlichster Gruppen vermehrt unversöhnlich aufeinanderprallen, was immer häufiger in eine Polarisierung münde. „So etwa in Fragen von Zuwanderung und europäischer Integration. Themen, bei denen auch die Altparteien uneins sind“, sagt Borbath. „Zur Inklusion ihres Publikums sind sie damit immer öfter auf Konflikte untereinander, aber auch mit Links- und Rechtspopulisten angewiesen, die solche Repräsentationslücken nutzen.“
Gleichzeitig erzeuge die zunehmende globale Verflechtung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Systeme eine Komplexität, die die Handlungs- und Lösungsfähigkeit von Nationalstaaten vor teils enorme Herausforderungen stelle und politische Entscheidungsprozesse für die Bürger schwerer durchschaubar mache. Die kompetente Teilnahme am politischen Diskurs sei daher mit wachsenden Ansprüchen verbunden, während Populisten scheinbar glasklare Problemlagen und einfache Lösungen propagieren.
Rechtspopulisten betonen ihre Verfassungstreue
Dabei stilisieren sich Rechtspopulisten als Vertreter „des Volkes“, das sie sowohl nach oben gegen das „Establishment“ abgrenzen, als auch strikt nach außen, etwa gegen andere ethnische und religiöse Minderheiten. Politische Themen und Sachfragen werden laut Borbath ethnisch-kulturell aufgeladen. Soziale Missstände, Gewalt und Kriminalität würden mit rassistischen und kulturellen Merkmalen erklärt. Sie würden einen nationalen, identitätsstiftenden Kurs fordern, der gegen EU und die Globalisierung als solche gerichtet sei.
Um sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen, betonen Rechtspopulisten laut BpB ihre Verfassungstreue, während Rhetorik und Programmatik Grundwerte wie Minderheitenschutz oder Diskriminierungsverbote infrage stellen. Erfahrungen auf EU-Ebene und in EU-Ländern, in denen sie in Regierungsverantwortung sind, zeigen, dass sie im Mehrparteiensystem ihre Agenda nicht einfach durchdrücken können, so Borbath. Ein Abgleiten in eine gelenkte Demokratie oder ein autoritäres Regime stellt der Forscher auch deshalb nicht fest.
Links- und Rechtspopulismus hat mehr gemeinsam, als es scheint
„Links- und Rechtspopulismus haben mehr gemeinsam, als man denkt“, sagt Florian Hartleb, Politikwissenschaftler und Habilitand an der Uni Passau. Viele linke Gruppierungen wie etwa die Partei „Die Linke“ seien im Kern zwar antifaschistisch, würden aber trotzdem Merkmale aufweisen, die man eher dem Rechtspopulismus zuschreibe. Neben einer Skepsis gegenüber Establishment und EU zählen dazu Globalisierungs- und Kapitalismuskritik. Anders als beim Rechtspopulismus würden die dahinterstehenden politischen Themen mit Vorstellungen von einer sozialeren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verknüpft.
Ängste etwa vor Arbeitslosigkeit, Armut oder Sozialabbau nutzt linker Populismus, um „das Volk“, also die „Wir-Gruppe“, von den „Anderen“ nach außen abzugrenzen, so Hartleb. Das sind je nach politischer Strömung „die Reichen“, der Neoliberalismus oder Immobiliengesellschaften, die für Missstände verantwortlich gemacht werden. Zugleich suggerieren Links- wie Rechtspopulisten die Rückkehr zu einer heilen Welt, die sich vor globalen Konjunkturverläufen schützen lässt, so Hartleb.
Genauso könne linker Populismus nationalistische Züge annehmen, so Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden. So etwa in der Slowakei, wo der linke Regierungschef Robert Fico im Zuge der Flüchtlingskrise und den in Westeuropa identifizierten Herausforderungen mit Parallelgesellschaften und islamistischer Terrorgefahr beschlossen habe, keine muslimischen Flüchtlinge aufzunehmen. Eine wichtige Strategie gegen Populisten ist Patzelt zufolge, dass demokratische Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien aktiver auf Bürger zugehen und deren – auch unbequeme – Anliegen ernst nehmen. Differenzierte gesellschaftliche Muster könnten so abgebildet werden, um der Bevölkerung ein vielseitig anschlussfähiges und zukunftstaugliches Angebot zu machen