Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Interview: Annette Schavan

Schavan: „Politisch sein und fromm sein, sind zwei Seiten einer Medaille“

Sie war schon mit 36 Jahren Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, viele Jahre sogar dessen Vizepräsidentin. Annette Schavan (CDU), die frühere Kultusministerin Baden-Württembergs und Bundeswissenschaftsministerin, kennt den Vatikan als ehemalige Botschafterin am Heiligen Stuhl besonders gut. Im Interview spricht sie über die Rolle der Kirche in gesellschaftlichen Diskussionen.

Annette Schavan, damals deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl, wird 2016 im Apostolischen Palast in der Vatikanstadt von Papst Franziskus begrüßt.

dpa/Uli Deck)

Staatsanzeiger: Wie politisch sind Päpste?

Annette Schavan: Der Vatikan ist ein Staat, der Papst Staatsoberhaupt und steht in Beziehung zu 180 Staaten der Welt. Vor allem aber hat jeder Papst im Kontext seiner Zeit und der Weltkirche, die auf allen Kontinenten präsent ist, Akzente gesetzt.

Dürfen oder müssen sogar Päpste in besonders bewegten Zeiten, auch besonders politisch sein?

Auf ihre Weise politisch waren alle Päpste zu allen Zeiten. Das Besondere an Papst Franziskus ist, dass er der erste Papst in der globalen Welt war, er wurde weltweit sehr aktuell mit seinen Botschaften wahrgenommen. Und das gilt natürlich auch für seine wichtigen Dokumente. In der Enzyklika Laudato si‘ aus dem Jahr 2015 befasst er sich sehr konkret sich mit Umwelt- und Klimaschutz. Das war verbunden mit herausragenden politischen Botschaften.

Deshalb wird Papist Franziskus ja als politisch sehr progressiv beschrieben. Aber schon Paul VI. hatte so zentrale Themen wie Klimawandel und soziale Gerechtigkeit aufgegriffen, drang damals aber weniger durch, wie die Entwicklung lehrt. Ist es heute in der neuen Medienwelt einfacher?

D as glaube ich nicht. Nehmen wir Leo XIII., der das Fundament für die katholische Soziallehre gelegt hat. An ihm zeigt sich der Einfluss auch von früheren Päpsten auf konkrete Politik exemplarisch. Denn dieses Fundament hat eine Bedeutung bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gehabt: Föderale Struktur, kleine Einheit vor großer Einheit, Achtung vor der Person, das alles ist grundgelegt in der katholischen Soziallehre. Die hat also unmittelbar politische Wirkung gehabt. Auf die eine oder andere Weise haben alle Impulse von Päpsten die Welt bewegt und immer eine Rolle gespielt in der jeweiligen Debatte. Aber es ist wahr, dass bei Umwelt- und Klimaschutz erst Laudato si‘ diese große Aufmerksamkeit erfuhr. Papst Franziskus hat sehr viel Fachwissen eingeholt und sich sehr intensiv mit dem Thema befasst. Das Dokument wurde in Rom vorgestellt von einem Kardinal und einem Klimaforscher, Professor Schellnhuber, was einen wichtigen Hinweis auf den Stellenwert und auf die Herangehensweise gibt.

Braucht es, um die aktuelle Debatte in Deutschland über politische Stellungnahmen von Kirchen aufzugreifen, ein Tempolimit zum Erhalt der Schöpfung?

(lacht): Auf jeden Fall schadet ein Tempolimit dem Erhalt der Schöpfung sicher nicht. Aber im Ernst: Viel mehr Fragen, als wir denken, haben eine ethische Dimension. Und: Kirchliche Stellungnahmen zu dieser und jener Frage müssen uns ja nicht passen. Sie können fast immer auch nicht eins zu eins umgesetzt werden. Aber neugierig darauf sollten wir auf jeden Fall sein und bleiben.

Auch Angela Merkel hat eben erst beim Evangelischen Kirchentag mehr Anstrengungen im Umweltschutz verlangt, also politisch Position bezogen …

… aber natürlich, denn das Christentum ist politisch von Anfang an. Zum Christentum gehört die Sorge um den Menschen, die Schöpfung, die Gerechtigkeit und all das, was wir in den Schriften des Neuen Testaments nachlesen können. Politisch sein und fromm sein, das sind zwei Seiten einer Medaille immer gewesen.

Was bedeutet das gerade für die Parteien mit dem C im Namen? Es gibt zahlreiche Positionierungen, von der Stammzellenforschung bis zum Paragrafen 218, bei denen die Kirche eine große Rolle gespielt hat und noch immer spielt.

Selbstverständlich, als Forschungsministerin habe ich das unmittelbar erfahren, zum Beispiel als es um einen neuen Stichtag in der Stammzellenforschung ging. Die Haltung der Kirchen dazu hat mich beschäftigt. Kirchen sind auch so etwas wie Sparringspartner. Deshalb spielen die Impulse immer eine Rolle. Wir sind es aus der Vergangenheit eher gewohnt, dass zu bioethischen Fragen Akzente gesetzt werden. Jetzt geschieht das mehr und mehr zu umwelt- oder sozialpolitischen Fragen, weil in einer globalen Welt diese Themen und die damit verbundenen ethischen Fragen zugenommen haben.

Das trifft den Kern der Migrationsdebatte.

Natürlich. Oder Armut und Gerechtigkeit, oder eben die Bewahrung der Schöpfung. Das alles sind ethische Fragen, die viel mit Leben und Überleben zu tun haben. Wir müssen und mit der Haltung der Kirchen dazu befassen …

… aber die ist ja nicht eins zu eins umzusetzen. Wie weit geht ihr Einfluss dann?

Die Haltung der Kirchen ist Teil der Politik in Deutschland, und sie muss es auch sein. Das ist übrigens kein Monopol der Parteien mit dem C im Namen, sondern einer, wie ich sie erfahren haben, guten und notwendigen Diskussionskultur zwischen den Kirchen und den Parlamenten. Die muss erhalten bleiben und gefördert werden. Der ernsthafte Austausch von Argumenten hat uns noch immer weitergebracht.

Kehren wir nochmals zu den vergangenen Tagen in Rom zurück. Was hat Sie besonders berührt?

Für mich persönlich der Abschied von Papst Franziskus am offenen Sarg. Allgemein war bewegend zu erleben, wie die Welt Abschied genommen hat und wie klar wurde, dass die Armen dieser Welt ihren wichtigsten Fürsprecher verloren haben.

Wie groß wird der Einfluss der unzähligen Würdigungen auf den Verlauf des Konklaves sein? Sind die Weichen dort schon gestellt?

Sie sind vielleicht noch nicht gestellt. Aber der Einfluss ist natürlich vorhanden. Jeden Tag findet eine Messe für Papst Franziskus im Petersdom statt. Es wird gepredigt, es wird noch einmal auf sein Leben und seine Arbeit geblickt. Es gab diese sensationelle Predigt beim Requiem. All das erleben die Kardinäle: die große Trauer, die große Dankbarkeit. Sie haben gesehen, wie sich Zehntausende Menschen verabschiedet haben. Und sie haben sich täglich getroffen, um zu beraten. Dann sind sie in die Sixtinische Kapelle eingezogen. Da sind alle Handys und elektronische Geräte untersagt, um die Kommunikation nach außen zu unterbrechen, Kommunikation drinnen aber findet unter dem Bild Michelangelos vom Jüngsten Gericht statt. Wir haben das alle oft gesehen, im Original für einige Minuten, die Besucher kommen, staunen und gehen wieder. Die Kardinäle sehen es jetzt tagelang und müssen unter diesem Eindruck entscheiden. Jedenfalls ist auf vielfache Weise sehr deutlich geworden, wie groß das Erbe ist, das Franziskus hinterlässt. Und dass dieses Erbe auch in Zukunft zu würdigen sein wird. Von seinem Nachfolger und von uns allen.

Eine vergleichsweis profane Schlussfrage: Lohnt es sich, gerade in diesen Tagen, Edward Bergers Film „Konklave“ anzusehen, um ein realistisches Bild von den Geschehnissen hinter den Mauern zu bekommen? Oder steckt doch zu viel Kino darin?

Das ist ein toller und empfehlenswerter Film. Natürlich stimmt vieles nicht zu hundert Prozent, wie sollte es auch? Aber die Aura, die mit einem Konklave verbunden ist, kommt wunderbar zur Geltung. Wer daran interessiert ist, muss ihn gesehen haben.

Annette Schavan kennt den Vatikan sehr gut. Sie war Botschafterin am Heiligen Stuhl und spricht über die Rolle der Kirche bei gesellschaftlichen Diskussionen. Foto: IMAGO/Achim Zweygarth

Zur Person

Annette Schavan ist 1955 geboren. Sie trat 1973 in die CDU ein, saß von 1982 bis 1984 im Gemeinderat in Neuss und wechselte 1987 als Bundesgeschäftsführerin zur Frauen-Union. 1996 holte Ministerpräsident Erwin Teufel sie als Kultusministerin nach Baden-Württemberg. Von 1998 bis 2012 war sie stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, von 2005 bis 2013 Bundeswissenschaftsministerin. Für Aufsehen sorgte sie nach dem Scheitern der Ampel und der Übernahme ihres früheren Hauses durch Bundeslandwirtschaftsministerin Cem Özdemir. Denn Schavan empfahl dem Grünen – erfolgreich und auf dessen Bitten – ihren früheren Spitzenbeamten Karl-Eugen Huthmacher als Staatssekretär.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch