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Polizeianwärter gehen an ihre Grenzen und darüber hinaus

Sieht harmloser aus, als es ist: Die 14 Studierenden müssen dieses Hindernis bewältigen, ohne den Boden zu berühren.
Jennifer Reich)Stetten. Vera Tornow macht die Gruppe warm. Sieben Polizeianwärterinnen und sieben Polizeianwärter laufen mitsamt Haltegurten und Helm auf dem Kopf große Runden über den Schotterplatz auf einer Waldlichtung des Truppenübungsplatzes in Stetten am kalten Markt. „Jetzt ein paar Burpees, auf geht’s“, ruft die Kriminalhauptkommissarin. Die Polizisten in Ausbildung absolvieren die Kombination aus Hocke, Liegestütze und Strecksprung. Die Karabiner der Gurte scheppern, die Geräuschkulisse erinnert an eine Kuhherde. Und noch zehn Liegestütze. Dann heißt es: „Material aufnehmen und im Vollschutz zurück.“
Die Gruppe wird an diesem Tag mit dem Parcours vertraut gemacht, den sie zwei Tage später auf Zeit absolvieren wird. Ziel ist, ihn in zwei bis drei Stunden zu schaffen. Klingt erst einmal viel, aber wenn man weiß, was die Studierenden erwartet und unter welchen Bedingungen sie die Hindernisbahn zu absolvieren haben, relativiert sich das. Der Rekord von Bundeswehrangehörigen liegt bei 59 Minuten zu acht.
Hauptfeldwebel Knaus weist die Studierenden ins Material ein
Kämpferbahn oder Bahn der Selbstüberwindung hieß die Strecke früher mal. Der Name ist Programm, auch wenn die Bundeswehr heutzutage von Hindernisbahn mit besonderen Anforderungen spricht. Aber egal unter welchem Namen: Der Parcours bringt alle mal an die eigene Grenze. Für den einen ist es das Abseilen aus der Höhe, das große Überwindung kostet, für den anderen ist es die enge, dunkle Röhre, die es zu durchkrabbeln gilt.
Drei Tage ist die Gruppe der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg (HfPol) mit Sitz in Villingen-Schwenningen bei der Bundeswehr zu Gast. Vor diesem Termin haben die Teilnehmer des zweisemestrigen Wahlmoduls bereits gelernt, wie sie sich sichern und abseilen, und sie waren ein Wochenende in den Bergen unterwegs. Wandern, Zelten, Feuer machen.
Begleitet werden sie vom Ersten Polizeihauptkommissar Bernd Grünbaum, der die Fachgruppe Einsatztraining leitet, und von Psychologe Knut Latscha, der Dekan der Fakultät Sozialwissenschaften ist. Auch Vera Tornow und Polizeihauptkommissar Benjamin Bronner, beide im Team Einsatztraining von Grünbaum – den hier alle nur Greeni nennen –, begleiten das Wahlmodul. Sie waren selber vor einigen Jahren als Studierende in Stetten dabei und begleiten es mit einigen Jahren Berufserfahrung heute als Ausbilder gerne wieder.
Von der Bundeswehr haben sie eine Einweisung ins Material bekommen. Hauptfeldwebel Tobias Knaus betreut die Gruppen, die aufs Gelände zum Üben kommen. 6000 bis 12.000 Personen sind es im Jahr, wie er sagt. Neben Soldaten sind oft Einsatzkräfte von Polizei und Zoll zu Gast, aber auch Reservisten. Knaus weist die Ausbilder in die Bahn ein und begleitet je nach Bedarf. Greeni, Latscha, Tornow und Bronner waren schon einige Male da, bei einer solch erfahrenen Gruppe braucht es laut Knaus weniger Betreuung. Man kennt und schätzt sich.
Kriechen, robben, krabbeln – jeder entwickelt seine eigene Technik
Zunächst geht es für die Studierenden durch eine von drei Betonröhren, die eine leichte Steigung haben. Wie man durchkommt, ist Grünbaum egal – ob kriechend, robbend, krabbelnd, jeder entwickelt seine eigene Technik, es muss auch nicht schön aussehen. Ziel ist, alle Hindernisse zu überwinden. Und zwar mit allen – und auch mit allem, was die Studierenden mit sich herumtragen. „Verteilt die Last, verteilt eure Kräfte, es kann nicht einer immer allen anderen helfen. Passt alle gegenseitig aufeinander auf, helft euch. Los geht’s“, sagt Greeni.
Nach den Röhren kommt ein Hindernis, das Balance erfordert. Über einen schräg gestellten Baumstamm gehen die Studierenden zunächst über einen schmalen Stahlträger und weiter über einen Baumstamm. Am Ende des Stamms gehen sie in die Hocke, umarmen den Stamm und drehen sich so vom Hindernis herunter. Springen ist verboten. Die ersten beiden Hindernisse laufen gut, beim dritten wird es schon schwieriger. Die Studierenden haben es nun mit einem Hindernis zu tun, für das man Kraft braucht. Greeni zeigt, was zu tun ist. Über einen Steig klettert er an der Betonwand nach oben, greift nach dem ersten Handlauf und hangelt sich daran entlang, bis zum nächsten Handlauf. Er greift um und lässt sich dann unten fallen, gibt noch ein paar Tipps. Die ersten Studierenden tun es ihm nach. Drei dürfen zugleich auf der Strecke sein.
Die Studierenden werden auf der Hindernisbahn zu einem Team
Gleich der erste fällt kurz vor dem Ziel beim Umgreifen runter. Und alle noch mal zurück. Wenn einer einen Fehler macht, fangen alle noch mal mit an. Es geht noch einige Male schief. Als Greeni zum wiederholten Mal die Übung abbricht, sagt er: „Das Hindernis wird nicht weniger, die Strecke immer länger, vor allem für die, die schon drei Mal durch sind. Ihr müsst euch besser abstimmen, redet miteinander.“ Latscha erklärt, dass es nicht nur darum geht, dass alle die Bahn überwinden, es geht vor allem auch darum, als Team zusammenzufinden, die Stärken und Schwächen der einzelnen zu erkennen, damit umzugehen, zu lernen, wie man es gemeinsam schafft. Aber auch darum, die eigenen Grenzen auszutesten und vielleicht die eine oder andere zu überwinden, indem man sich ihr stellt.
Dabei bieten die Einsatztrainer Hilfestellung, sie haben in ihrem Berufsleben bei der Polizei vieles erlebt. Greeni etwa war Ausbilder in einer Spezialeinheit, Latscha war jahrelang als Psychologe bei Einsätzen dabei. Auch Tornow und Bronner kennen sich aus mit Ausnahmesituationen. Und daher verwundert es nicht, wie geübt sie reagieren, als eine Studentin in einer dunklen, engen Röhre, in der noch dazu Paletten liegen, Panik bekommt. Sie beruhigen die junge Frau, erörtern mit ihr gemeinsam, woher die Angst kommt und wie sie damit umgehen könnte. Das funktioniert. Greeni gibt ihr den Tipp, die Augen geschlossen zu halten. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen meistert auch sie das Hindernis.
Ein weiteres erfordert Geschick beim Klettern. Hier lässt die Gruppe viel Zeit liegen. Ein Betonstein mit Absätzen und zwei Öffnungen, durch die man klettern muss, ohne den Boden zu berühren, stellt die Gruppe auch organisatorisch vor Herausforderungen. Die Übung wird mehrmals abgebrochen, weil jemand oder etwas den Boden berührt hat. Es geht alles ein wenig durcheinander, nicht alle sind immer voll bei der Sache.
Zwei Stunden 20 Minuten und zwei Sekunden
Im Laufe des Vormittags hat sich aber bereits ein Student als Anführer herauskristallisiert. Er übernimmt nun das Kommando und sorgt dafür, dass alles koordinierter abläuft. Er ist der einzige im Team, der aus dem mittleren Dienst kommt und Berufserfahrung mitbringt, das macht sich nun bemerkbar.
Und trotzdem nimmt das Hindernis noch viel Zeit in Anspruch. Irgendwas ist immer. Gerade hat der Zopf einer Anwärterin den Boden berührt. „Aber der war doch gar nicht am Boden“, protestiert jemand. Der eine nicht, aber es gibt eben einen zweiten Zopf, erklärt ein anderer. Alle lachen. Die Stimmung ist gut, trotz der Anstrengungen. Einer in der Gruppe zückt gerade ein Notizbuch. Er wurde als Schriftführer auserkoren. Es wird gesammelt, worauf bei welchem Hindernis geachtet werden muss. Für Freitag will das Team gut vorbereitet sein. „Schreib mal auf, was wir gelernt haben.“
Derweil gibt es auf dem Hindernis wieder etwas, was den Boden berührt hat. Diesmal war es ein Teil des Haltegurts, das „Po-Bändel“. Auf den muss man ganz besonders aufpassen, wie sich herausstellt. Nebenan erklärt Bronner gerade, wie man einen Flaschenzug baut. Den befestigen die Studierenden zwischen zwei Bäumen, dafür braucht es ein paar spezielle Knoten.
Es werden an dem Tag Sprünge gemacht, geklettert, am Seil gehangelt und am Seil geschwungen. Die Puste geht den meisten nicht so schnell aus. Am nächsten Tag werden sie mit dem Soldaten Knaus im Gelände sein. Sie klettern unter einer 90 Meter langen Brücke durch , schwimmen durch die Donau, bauen behelfsmäßige Flöße und seilen sich am Fels ab, aus etwa 30 Metern. Dabei wird ihnen das erlernte Know-how des ersten Tages helfen. Am dritten Tag folgt dann der Parcours, diesmal auf Tempo. Sie brauchen zwei Stunden 20 Minuten und zwei Sekunden. Besser als die Gruppe im Jahr davor, berichtet Bronner, der als Ausbilder schon einige Male dabei war. Die Studierenden haben eine Menge mitgenommen für den Polizeialltag, der sie auch jederzeit an ihre Grenzen bringen kann. Sie sind zu einem Team zusammengewachsen, haben ihre individuellen Stärken und Schwächen kennengelernt und vor allem, sie gemeinsam auszugleichen. Alle haben den Parcours gemeistert, jeder für sich, aber vor allem sie alle als Team.
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Das Wahlmodul hat immer mehr Bewerber als Plätze
Seit dem Jahr 2009 gibt es das Wahlmodul der Fachgruppe Einsatztraining an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. Auf 16 verfügbare Plätze kommen jedes Jahr deutlich mehr Bewerber, meist sind es um die 100. Die Fachgruppe bildet Anwärter in den Bereichen Zwangsmittel- und Schießtraining, Abwehr- und Zugriffstraining, Taktische Verwundetenversorgung sowie Erste Hilfe- und Integrationstraining aus, um sie auf den Polizeialltag vorzubereiten.