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Projekt an der Hochschule Kehl sucht Wege für mehr Vielfalt in der Verwaltung

Hochschulen für Verwaltung wollen diverser werden.
Adobe Stock/sabelskaya)Kehl. „Also ich habe immer, wenn ich eine neue Gruppe betrete, irgendwie Angst, dass da angenommen wird, ich wäre anders, weil ich halt einen Migrationshintergrund habe.“ Doch sei das gar nicht der Fall, sondern vielmehr allen egal. Das sagte eine Studentin im Interview einem Team der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl. Ziel des Projekts „Vielfalt@BW“ (siehe Kasten) dort ist es, die öffentliche Verwaltung interkulturell zu öffnen und Vielfalt zu einer Selbstverständlichkeit in Karrierewegen und Kommunen zu machen. Denn bisher sind etwa Menschen mit Migrationsgeschichte dort unterrepräsentiert
Studierende mit Migrationsgeschichte sind zahlreicher als vermutet
Um Einblicke in die Lebensrealitäten von Studierenden mit Migrationshintergrund an der Hochschule Kehl zu erhalten, führte das Team aus den Professoren Frank Drzensky, Beatrice Hurrle, Claudia Trippel und Projektmitarbeiterin Lena Steinel Befragungen unter den Studierenden durch. Erfreulicherweise fühlen sich die Studierenden mit Migrationshintergrund in überwiegendem Maße sehr gut an der Hochschule Kehl aufgenommen.
Eine Überraschung gab es für das Team, als sie die Zahlen der Studierenden mit Migrationshintergrund erhoben. Die Befragung mit einem hohen Rücklauf von 75 Prozent ergab, dass 22 Prozent der Kehler Studierenden einen Migrationshintergrund nach der Definition des Statistischen Bundesamts aufweisen: Sie selbst oder mindestens ein Elternteil von ihnen sind nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren. Dies entspricht dem Anteil Studierender mit Migrationshintergrund an anderen Hochschulen und ist höher als vermutet.
Und sie unterscheidet sich Trippel zufolge deutlich von früheren Erhebungen, etwa im Jahr 2016: Damals lag der Anteil bei 11,5 Prozent, war also nur etwa halb so hoch. „Allerdings kann man diese Werte nicht direkt vergleichen“, erläutert Claudia Trippel „da die Frage im Fragebogen unterschiedlich formuliert war“. Klar sei in jedem Fall: „Tendenz steigend“. Doch habe sich sicherlich auch die Studierendenschaft selbst verändert, meint die Soziologin Lena Steinel.
Auch in der Verwaltung sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund präsent. So heißt es in einem weiteren Interview: „Also zum Teil sind da auch viele selbst mit Migrationshintergrund gewesen. Also das war ganz cool.“ Freilich gaben 18,3 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund an, in den Kommunen diskriminierende Erfahrungen gemacht zu haben. Bei Studierenden ohne Migrationshintergrund waren es 8,3 Prozent.
Aus Theorie und Praxis weiß man, dass es einer „kritischen Masse“ bedarf, um sich nicht als „Exot“ oder Minderheit zu fühlen, die sich beweisen muss. Allein diese ist bislang noch nicht erreicht. Der Anteil der Personen im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund entwickelt sich zwar, allerdings auf niedrigem Niveau, während er in der Gesamtbevölkerung – vor allem in der jüngeren – in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Dadurch vergrößert sich die Repräsentationslücke sogar.
Um hier gegenzusteuern, ist es für das Projekt von besonderer Bedeutung, zu untersuchen, wie der Zugang zum Studium an der Hochschule für öffentliche Verwaltung erfolgt: Was ist die Motivation, warum studieren Menschen mit Migrationshintergrund Verwaltungswissenschaften und wie sind sie auf das Studium aufmerksam geworden? Derzeit ist die Studie dazu gerade in der Auswertungsphase. Doch erste Ergebnisse zeichnen sich schon ab. Den befragten Studierenden wurden mehrere Auswahlmöglichkeiten gegeben. „Ein Learning war“, erläutert Lena Steinel, „dass die Inhalte des Studiums selbst für Studierende mit Migrationshintergrund vergleichsweise signifikant relevanter waren.“
Allgemein die wichtigste Motivation überhaupt waren allerdings die Rahmenbedingungen: also der spätere sichere Arbeitsplatz, die Tätigkeit als Beamter. Auf einer ansteigenden Skala (1 – 5) mit mehreren vorgegebenen Motivationsgründen lag der Mittelwert für die Anwärterbezüge bei 3,84 und für die späteren Rahmenbedingungen sogar bei 4,45 – „also scheint der Blick der Studierenden schon ziemlich auf die Zukunft gerichtet zu sein“, kommentiert Steinel. Das passe zu der starken Sicherheitsorientierung, die man auch von den Studierenden insgesamt kenne.
Weiterhin berichtet Steinel: „Studierende ohne Migrationshintergrund haben oft schon Verwandte, die im öffentlichen Dienst tätig sind oder waren.“ Eine weitere Auffälligkeit: Studierende mit Migrationshintergrund wechseln häufiger von anderen Studiengängen, Hochschulen und Universitäten an die Hochschule Kehl als solche ohne Migrationshintergrund.
Vergleichbare Projekte sind bisher eher selten in Deutschland
Im Weiteren soll auf Basis dieser Ergebnisse nach Wegen gesucht werden, wie potenzielle Bewerber mit Migrationshintergrund gezielter angesprochen werden können und die Verwaltungshochschulen ihr Marketing anpassen können.
Gibt es vergleichbare Projekte zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung in anderen Bundesländern? Auf Anfrage bei anderen Hochschulen für öffentliche Verwaltung habe man keinen aussagekräftigen Rücklauf bekommen und daher den Eindruck gewonnen, dass die Auseinandersetzung damit noch nicht überall stattfinde. „Tatsächlich sind wir da unter den Vorreitern“, sagt Claudia Trippel.
Integrationsministerium fördert das Projekt „Vielfalt@bw“
Eine vielfältige Verwaltungskultur ist gesetzliches Ziel im Südwesten. Wie mehr Menschen mit Migrationsgeschichte für den öffentlichen Dienst gewonnen werden können, untersucht ein vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration gefördertes Projekt an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl. Zunächst wird die Ist-Situation an der Hochschule Kehl, in den Kommunen und bei potenziell Studieninteressierten untersucht. Im zweiten Schritt geht es dann um das Ausarbeiten und Umsetzen datenbasierter Maßnahmen, um den Anteil Studierender mit Migrationsgeschichte nachhaltig zu steigern.