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Essay

Transparenz scheitert – wie einst der Rollkoffer

Ein Blick auf Ängste, Machtverhältnisse und das uneingelöste Versprechen der Informationsfreiheit im Land in einem Essay von Johanna Henkel-Waidhofer.

Ein Leben ist möglich, aber sinnlos – ohne Transparenzgesetz und Rollkoffer.

dpa/Sorge)

Es gibt Erfindungen, die das Leben erleichtern sollten und sich trotzdem nur schwer durchsetzen ließen. Das Lieblingsbeispiel des Ministerpräsidenten ist der Rollkoffer. Amüsiert erzählt Winfried Kretschmann bei passender Gelegenheit, wie lange es dauerte, bis die Idee einer Gepäckbeförderung auf Rädern realisiert wurde und mühseliges Schleppen zum Auslaufmodell machte.

Der Rollkoffer hat es geschafft, doch das Transparenzgesetz steckt noch immer fest im Strudel von Halbwissen und Vorurteilen. Die CDU hatte sich 2021 im Koalitionsvertrag verpflichtet, auf Basis der Evaluationsergebnisse das Landesinformationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterzuentwickeln, „das einen angemessenen Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung gewährleistet und eine sachgerechte, proaktive Veröffentlichung von Daten vorsieht“.

„Zeit für Transparenzgesetz reif“

Seit inzwischen vier Jahren liegen dazu Empfehlungen vor. Aus Sicht des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI) sei „die Zeit reif für ein Transparenzgesetz, welches dem aktuellen Stand der Informationsfreiheit in Deutschland gerecht wird“. Das schrieb schon Stefan Brink, der Vorgänger des aktuellen LfDI Tobias Keber. Brink appellierte bereits und versuchte, mit Argumenten zu überzeugen.

Auch Keber findet seit seinem Amtsantritt im Juli 2023 nicht ausreichend Gehör, um die beiden Koalitionsparteien gemeinsam zum Handeln zu bewegen. Jetzt hat er die Idee ins Spiel gebracht, seine Behörde könne selbst ein Portal entwickeln. Das wiederum muss dann die Vorteile, von denen ganz offensichtlich zu wenige Entscheider in Politik und Verwaltung überzeugt sind, unter Beweis stellen. Dass das gelingen kann, davon geht der LfDI aus, gerade aufgrund etlicher praktischer Beispiele.

Wie groß das Interesse an gemeinsamen Fortschritten eigentlich sein müsste, zeigt die Meldung aus der Landeshauptstadt, dass die Ausländerbehörde erst vor wenigen Tagen ein neues digitales Antrags- und Anfragemanagement eingeführt hat. „Mit diesem Schritt setzen wir Maßstäbe in der digitalen Verwaltung und steigern die Servicequalität für unsere Kundinnen und Kunden“, freut sich Susanne Scherz, die Leiterin des Amts für öffentliche Ordnung. Unter anderem würden die Anträge automatisiert den zuständigen Stellen direkt zugeordnet.

Kreise und Kommunen zögern noch

In Sachen Transparenz könnten zum Beispiel viele Informationen, die Bürger und Bürgerinnen nachfragen, ebenfalls automatisch zur Verfügung gestellt werden. Gerade die Entscheider in Kreisen und Kommunen zögern jedoch, aus der Befürchtung heraus, es werde zusätzliche Bürokratie auf- statt abgebaut. Keber hält mit den guten Erfahrungen aus anderen Ländern dagegen – bisher ohne Erfolg.

Dabei war Baden-Württembergs CDU-Alleinregierung unter Lothar Späth 1980 stolz darauf, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ruth Leuze wurde die bundesweit erste Landesdatenschutzbeauftragte – ausdrücklich auch, um Hemmschwellen gegenüber dem neuen, sperrigen Thema Datensammlung zu senken.

Inzwischen geht es um deutlich mehr. Führende Fachleute, etwa der Informationsrechtler Friedrich Schoch, der jahrelang Professor an der Uni Freiburg war, halten Transparenz für entscheidend für die Demokratie. Weil nicht mehr ausreiche, „dass die Verwaltung nur parlamentarisch kontrolliert wird“. Die Öffentlichkeit müsse umfassend informiert sein, etwa um fundierte Wahlentscheidungen treffen zu können. Immerhin hat die CDU/CSU/SPD-Koalition ihre ursprüngliche Idee, das Informationsfreiheitsgesetz vollständig abzuschaffen, inzwischen verworfen. Stattdessen hat die Formulierung Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden, die bisherigen Regelungen „mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung“ zu reformieren.

Da kommt noch einmal der Rollkoffer ins Spiel. Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg zeigte in der Ausstellung „Reisebegleiter – Koffergeschichten von 1750 bis heute“, dass Vorläufermodelle schon 1850 in einem Handbuch Reisenden empfohlen wurden – ohne großes Interesse. Belegt ist überdies, warum aus der so großen Erleichterung für Millionen von Menschen so lange nichts wurde. Einerseits, weil Betuchte auf Billiglöhner zurückgreifen konnten. Anderseits, weil Männer ihre Kraft und Stärke beweisen wollten. Letzteres könnte durchaus aktuell zu einem neuen Anlauf in Sachen Transparenzgesetz führen.

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