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Deutsch-Französische Brigade: Von einer besonderen Militäreinheit und einer langen Freundschaft

Französische Soldaten nehmen an einer Gefechtsübung der Deutsch-Französischen Brigade in der Lüneburger Heide teil.
dpa/Moritz Frankenberg)Müllheim. Es ist ein besonderer Tag für die Deutsch-Französische Brigade mit Sitz in Müllheim . Denn am 22. Januar vor 62 Jahren wurde die Freundschaft zwischen zwei ehemaligen Feinden besiegelt. Mit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags legten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle in Paris den Grundstein für die Freundschaft. Diese wird in Müllheim seit über 30 Jahren auch militärisch gelebt.
Es ist ein grauer Tag – zumindest bei der Anfahrt über die zum Großteil weiß eingebettete Autobahn kommt ab und an die Sonne heraus. Ein Lichtblick bei dem zähen Verkehr. Fast drei Stunden später an der Robert-Schuman-Kaserne angekommen, ist es grau und es nieselt ein wenig. Auf dem Kasernen-Gelände sind kaum Menschen unterwegs. Der Pförtner an der Wache begrüßt freundlich und verweist darauf, dass die Besucher abgeholt werden.
Im Stabsgebäude geht es die Treppe nach oben und über einen langen Flur zum Büro von Brigadegeneral Christian Friedl. Es ist kein typischer, kahler Kasernen-Flur. Direkt vor Friedls Büro ist die Regionale Ausstellung der Brigade untergebracht. „Dem Besten verpflichtet – Devoir d’excellence“ – steht dort an der Wand. Die Ausstellung soll die Vielfalt und die Einzigartigkeit des binationalen Großverbands, dessen Auftrag, seine Fähigkeiten und Truppenteile vorstellen. Interessierten sei gesagt, dass die Ausstellung nur nach vorheriger Anmeldung besucht werden kann. Auf dem Flur sind aus den angrenzenden Büros immer wieder Gesprächsfetzen zu hören – mal auf Deutsch und mal auf Französisch.
Zur Freude der Redakteurin ist der Staatsanzeiger Teil der Ausstellung. Gezeigt wird eine Titelseite aus dem Jahr 1991, es geht um die Nutzungskonzeption für Militärkasernen. Freilich sah der Staatsanzeiger etwas dröger aus, kostete eine D-Mark – und ist sich doch, was die Themenpalette angeht, treu geblieben.
In Müllheim wird die deutsch-französische Freundschaft gelebt
Das Büro von Friedl liegt mitten in der Ausstellung. Der Kommandeur der Deutsch-Französischen Brigade erwartet seinen Besuch gemeinsam mit seinem französischen Stellvertreter Colonel Nicolas Rivière. Die beiden sind ein eingeschweißtes Team. Den Eindruck erhält man recht schnell. Seit Juli 2023 führen sie die Geschicke der Brigade. Ganz im Sinne des Elysée-Vertrags, der die Regierungen beider Länder dazu verpflichtet, sich in Fragen der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik abzusprechen und möglichst zu einer gemeinsamen Haltung zu gelangen. Politisch gelingt dies mal mehr, mal weniger gut.
Doch in Müllheim wird diese Freundschaft Tag für Tag gelebt. Rund 800 französische Soldaten und Soldatinnen leben in der Stadt. Die Zusammenarbeit mit der Stadt beschreibt Brigadegeneral Friedl als sehr gut, „wir fühlen uns hier sehr wohl“.
Die Deutsch-Französische Brigade besteht aus deutschen und französischen Truppen. Sie gilt als ein zentrales Element der Reaktionsfähigkeit von EU und NATO. Die Brigade beteiligt sich an Großübungen und wird weltweit eingesetzt. Laut Bundeswehr leistet sie nicht nur zu den Einsätzen von Bundeswehr und französischer Armee einen Beitrag, sondern trage zu Freundschaft und „zur Erhaltung des Vertrauens der Länder durch die Entwicklung gemeinsamer Grundsätze, Verfahren und Regelungen bei“. Das sei für aktuelle multinationale Einsätze wertvoll.
Rund 5000 Soldaten dienen in der Brigade, sechs Verbände gehören zu ihr, sie ist auf sechs Orte in zwei Ländern verteilt. In Müllheim sitzt der Stab. Die Arbeit der Brigade hat sich Friedl zufolge seit dem 22. Februar 2022 komplett verändert. „Wir sind mit deutschen und französischen Soldaten regelmäßig mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten beschäftigt“, berichtet er. In den vergangenen 18 Monaten sei seine Truppe über sieben Monate auf Übungsplätzen in Deutschland und Frankreich eingesetzt gewesen und habe viele ukrainische Soldaten ausgebildet, Infanteristen, Pioniere, Artilleristen. Auch die Grundausbildung ukrainischer Soldaten übernehmen Soldaten der Brigade. „Wir werden das auch dieses Jahr wieder machen.“
Ausbildung ukrainischer Soldaten: „Das ist ernst, das ist keine Übung“
In Frankreich läuft das ähnlich, sagt Colonel Rivière. Der Bedarf auf ukrainischer Seite sei groß. Pro Jahr werden Tausende Soldaten ausgebildet, in verschiedenen Ausbildungsgängen. Danach werden die Soldaten über Polen in die Ukraine zurückverlegt. „Unsere Soldaten wissen genau, wenn diese Kameraden in der Ukraine ankommen, dann dauert es meist nur noch ein paar Tage und dann finden sich die allermeisten von ihnen an der Front wieder und kämpfen. Sie führen Krieg gegen russische Soldaten“, sagt Friedl ernst. „Das macht es auch ziemlich ernsthaft für unsere Soldaten. Sie wissen, dass die ukrainischen Soldaten das, was sie ihnen beibringen, demnächst brauchen werden.“ Die Verantwortung, die damit einhergehe, sei daher bei den deutschen und französischen Soldaten ungemein ausgeprägt. „Das ist ernst, das ist keine Übung. Hier geht es ans Eingemachte, das ist das scharfe Ende unseres Berufes, auf das wir unsere ukrainischen Kameraden vorbereiten.“
Und so kommt der Krieg den Soldaten nah, er ist sichtbar. „Denn sie wissen: Die Kameraden gehen demnächst in den Krieg“, sagt Friedl. Der Colonel ergänzt, dass allzu persönliche Kontakte, so gut es geht, vermieden werden sollten, weil dies das Ganze für die Soldaten der Brigade noch schwieriger machen könne.
Während der Krieg für die Soldaten der Brigade ganz nah ist, ist er in der Bevölkerung wieder weit weggerückt. „Im Februar 2022 war das für einige Monate unglaublich nah an allen dran, alle haben gespürt: Es ist Krieg in Europa, dieser ist nicht weit weg“, so Friedl. Mittlerweile ist diese Wahrnehmung seiner Meinung nach eine andere. „Der Druck, dass wir etwas ändern müssen“, die Betroffenheit, die Wahrnehmung sei einer Routine gewichen. Nach dem Motto: „Nichts Neues im Osten.“
„Wir bereiten uns auf den Kernauftrag vor“
Die Bundeswehr aber spürt die Zeitenwende. Man bilde nicht nur Soldaten aus der Ukraine aus, man bereite sich auch selbst vor, um Krieg führen zu können. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine habe das noch einmal ein anderes Gewicht bekommen. „Die Zeitenwende ist, was unseren Auftrag betrifft, sowohl in Frankreich als auch in Deutschland im Militär absolut angekommen“, sagt Friedl. Rivière nickt zustimmend. „Wir bereiten uns auf den Kernauftrag vor.“
Gleichzeitig berichtet Friedl, dass er beobachte, dass sich der Blick auf die Bundeswehr positiv gewandelt habe. „Man schätzt unsere Arbeit, unseren Dienst unvergleichlich mehr, als das vor dem Ukraine-Krieg der Fall war“, sagt er. Wenn er in Uniform in der Bahn unterwegs sei, suchten viele Bürger das Gespräch, er könne auf viele positive Erlebnisse blicken. In Frankreich habe das Militär schon immer einen hohen Zustimmungswert, berichtet Colonel Rivière mit französischem Akzent. Er verweist auf die Inland-Operation Sentinel, das Militär sei in Frankreich viel präsenter. Was sich aber klar geändert habe, sei die Priorisierung der Streitkräfte – in Richtung Europa, in Richtung NATO und vor allem an ihre Ostflanke.
Die Brigade ist derzeit auch im Kosovo im Einsatz, mit rund 200 deutschen Soldaten. Auch ein paar französische Soldaten sind dabei. Der Einsatz geht noch bis Mai, dann übernimmt eine andere Brigade. Französische Soldaten sind seit 2024 in Estland stationiert, weitere im Libanon. Derzeit bereiten sich 300 Soldaten auf ihren Einsatz im Libanon vor.
Die Brigade ist klar in Richtung Nordosten, Richtung Polen und die baltischen Länder orientiert. Sie beteiligt sich an Großübungen, 2024 zum Beispiel in Litauen im Rahmen der Quadriga. „Da orientieren wir uns auch mit den nächsten Übungen, die anstehen, klar hin“, sagt Friedl.
In Litauen nimmt die Bevölkerung die Bedrohung anders wahr
In Litauen bereite man sich darauf vor, die NATO gegen Russland zu verteidigen. Dazu gehöre auch, dass man die Gegend kennt. Das Kennenlernen ist also Vorbereitung auf die Verteidigung. Und so soll in Litauen eine deutsche Brigade stationiert werden. Aus Friedls Brigade haben sich einige Soldaten freiwillig gemeldet. Ein Aufbaustab ist vor Ort, nun werde sukzessive, je nach Baufortschritt der Kasernen, die deutsche Truppe dorthinverlegt. „Wir werden dort unglaublich wertgeschätzt, nicht nur vom Militär, sondern auch von den Bürgern. Das wurde uns während der Übung Quadriga bewusst“, berichtet Friedl. „Die Wahrnehmung der Bedrohung durch die Bürger in Litauen ist eine ganz andere, die sind an der Grenze zu Weißrussland und Kaliningrad. Das ist anders als 1500 Kilometer entfernt in Müllheim oder noch weiter weg in Marseille“, sagt er.
Zwar findet in Deutschland und in der Ostsee Spionage und Sabotage bereits statt, aber in der Bevölkerung und in den Medien werde das kaum wahrgenommen. „Ich glaube, wir sind gut beraten, Deutschland gut vorzubereiten“, sagt Friedl. Die ersten Schritte würden gemacht, Stichwort Operationsplan Deutschland. Da sei man dran. „Gott sei Dank.“
Im Anschluss führen Friedl und Rivière über das Gelände. Immer wieder laufen Soldaten vorbei. Sobald sie Friedl erblicken, grüßen sie militärisch. Etwas lockerer geht es in der Truppenküche zu. Bei guten Portionen unterhält man sich. Mal auf Deutsch, mal auf Französisch. Und manchmal auch in einem Durcheinander aus beiden Sprachen.
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Die Ära Kohl und Mitterrand
Die Deutsch-Französische Brigade – ein politisches Projekt von Kanzler Helmut Kohl und dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand – wurde im Jahr 1989 in Böblingen aufgestellt. 1992 wurde der deutsch-französische gemischte Stab von Böblingen dann ins südbadische Müllheim verlegt. Die dortige Kaserne trägt seither den Namen des Wegbereiters der europäischen Einigung, Robert Schuman, von 1948 bis 1952 französischer Außenminister.

