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Essay

Warum die Bundeswehr von allem mehr braucht

Es fehlt der Truppe nicht nur an Material und Personal, wie der aktuelle Wehrbericht einmal mehr zeigt, sondern auch am gesamtgesellschaftlichen Rückhalt, findet Redakteurin Jennifer Reich. 

Nach dem aktuellen Wehrbericht fehlt es der Bundeswehr nach wie vor an Material, vor allem aber an Personal.

dpa/Hannes P Albert)

Die Bundeswehr hat nach wie vor von allem zu wenig. Zwar verzeichnet die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, Fortschritte. Doch die machen sich mit Blick auf Material und Personal bislang kaum bemerkbar. Im Prinzip wiederholte Högl vieles, was sie seit Jahren sagt, als sie den Wehrbericht für 2024 vorstellte. Und doch wirken ihre Worte in der angespannten sicherheitspolitischen Lage viel bedrückender. Deutschland und Europa haben es nicht mehr nur mit der Gefahr aus Russland zu tun, sondern zugleich mit einem unberechenbaren US-Präsidenten, auf dessen Schutz man sich nicht verlassen kann.

Dass Deutschland sich in Sachen Verteidigungsfähigkeit besser aufstellen muss, steht außer Frage. Umso wichtiger, dass Politiker nun signalisieren, dass sie verstanden haben und dass sie handeln werden. Die Einigung von CDU, SPD und Grünen auf das Milliardenpaket ist ein immens wichtiges Signal in diesen Tagen. Für die Bevölkerung, für die Truppe, für Freund und Feind.

Für die vielen neuen Aufgaben braucht es zunächst genug Geld. Mit rund 52 Milliarden Euro standen 2024 gegenüber dem Vorjahr rund 1,8 Milliarden Euro mehr im Verteidigungshaushalt bereit. Aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen waren Ende 2024 rund 82 Prozent belastet. Högl appelliert, dass Gelder künftig auch schneller ausgegeben werden, dass die Beschaffung einfacher wird. Auch ein Wunsch der Truppe, denn die Trägheit sorge bei den Soldaten für Frust. Mit Blick auf deren persönliche Ausrüstung hat sich aber immerhin etwas getan: Schutzwesten und Helme sowie Kälte- und Nässeschutz sind vorhanden.

Die Lehren aus dem Ukraine-Krieg müssen gezogen werden

Nach wie vor mangelt es aber an funktionstüchtigem Großgerät und Ersatzteilen, was zum Teil auch daran liegt, dass Material an die Ukraine abgegeben wurde. Und man muss die Lehren aus dem Krieg in der Ukraine ziehen: Die Auswertung der Kriegsführung dort beinhalte Lehren, die das „gesamte Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr“ beträfen. Dies wirkt sich auf die Beschaffung aus. So spielen etwa Drohnen in militärischen Konflikten eine zentrale Rolle.

Wohl mit das größte Problem dürfte aber der Mangel an Personal sein. Dem ursprünglich bis 2025 gesteckten, später auf 2031 verschobenen Ziel, eine Personalstärke von 203 000 Soldaten zu erreichen, ist man nicht nähergekommen. Fraglich ist, ob dies überhaupt ausreichen wird. Ende 2024 gab es 181 174 aktive Soldaten. Dazu wird die Bundeswehr immer älter. Lag das Durchschnittsalter Ende 2019 noch bei 32,4 Jahren, liegt es nun bei 34.

Rund 20 290 Soldaten haben 2024 ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten, acht Prozent mehr als 2023. Doch jeder Vierte ist innerhalb der sechsmonatigen Probezeit wieder gegangen. Derweil steigt die Zahl unbesetzter Dienstposten. 2020 waren 18 Prozent des militärischen Personals in den Laufbahnen oberhalb der Mannschaften unbesetzt, Ende 2024 waren es fast 20 Prozent. Bei den Mannschaften waren rund 28 Prozent aller Dienstposten unbesetzt.

Reservedienst: Arbeitgeber müssen für Freistellungen sensibilisiert werden

Die Wehrpflicht – in welcher Form auch immer – ist deshalb unerlässlich. Wohlgemerkt aber in einem Umfang, denn die Bundeswehr bewältigen kann. Denn es fehlen nicht nur Stuben für die Neuanwärter, sondern auch die Ausbilder.

Außerdem müssen Arbeitgeber sensibilisiert werden, dass diese etwa Reservisten für Ausbildung und Übungen freistellen. Dies gestaltet sich nach dem Wehrbericht oft schwierig – gerade auch im öffentlichen Dienst. Es braucht aber gut ausgebildete Reservisten – denn wer sonst soll im Kriegsfall die kritische Infrastruktur schützen?

Wer noch immer daran zweifelt, dass die Bundeswehr von allem mehr braucht, dem sei die Lektüre des Wehrberichts nahegelegt. Wichtig ist nun, dass die Politik die Kommunikation über die Bedrohungslage und die mit ihr einhergehenden Herausforderungen verändert. Denn die Lage ist ernst. Das Militär ist seit Jahren in einem Modus, der in weiten Teilen von Politik und Gesellschaft ausgeblendet wird. Letztere muss mitgenommen werden, ihr muss klar werden, was es bedeutet, wenn Deutschland im Falle eines Angriffs der Ostflanke zur Drehscheibe der NATO würde, denn das Militär ist dann auf ihre Unterstützung angewiesen.

Gefordert sind Landkreise, Kommunen, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste, aber auch die Bürger und ja, auch Arbeitgeber. Sonst wird die zivil-militärische Zusammenarbeit nicht funktionieren. Dies soll nun auch mit dem „Operationsplan Deutschland“ sichergestellt werden.

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