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Warum immer mehr Bürger der Bundesrepublik freiwillig dienen

Drei Reservistinnen und 30 Reservisten haben am Sonntag feierlich ihr Gelöbnis abgelegt. Kommandeur Michael Giss gratuliert.
Jennifer Reich)Stetten. „Antreten!“ Eben haben sich die 33 Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr noch unterhalten, nun laufen sie zügig über den Platz. Geschlossen verschwinden sie aus dem Blickfeld. Knapp 100 Familienangehörige und Freunde haben sich am Sonntag in der Albkaserne in Stetten am kalten Markt eingefunden, um am feierlichen Gelöbnis teilzunehmen. Es sind Pavillons aufgebaut, Getränke stehen bereit und auch für Deko ist gesorgt. Militärisch versteht sich: Tarnnetz, Wappen und Maschinenpistolen.
Es ist ein ganz besonderer Tag für die 30 Rekruten und drei Rekrutinnen, die sich seit Kurzem als Ungediente für die Reserve ausbilden lassen. Denn sie geloben an diesem sonnigen Tag, der Bundesrepublik Deutschland zu dienen und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen. Das Gelöbnis gilt als Auftakt in der soldatischen Laufbahn.
Es geht los. Punkt 14.25 Uhr marschiert der Reservistenmusikkorps 28 aus Ulm auf den Platz. Dahinter drei Soldaten, einer von ihnen trägt die Truppenfahne. Im Gleichschritt, in Reih und Glied, folgen die Rekruten. Das Gelöbnis hat einen genauen Ablaufplan. Wie alles bei der Bundeswehr ist es penibel durchgetaktet. Die Rekruten stellen sich in drei Reihen auf. Darunter Oliver aus Heidelberg und Trutz aus Villingen-Schwenningen, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchten. Solange es keinen Befehl gibt, stehen sie und ihre Kameraden regungslos.
Im Ernstfall sind die Heimatschützer die „Last Line of Defence“
Oliver ist 48 Jahre alt, verheiratet, und Vater von zwei kleinen Kindern. Er ist freiberuflich im Artenschutz tätig und arbeitet auch als Intensivpfleger. Die militärische Ausbildung wird ihm einiges abverlangen, denn alle Blöcke laufen parallel zum Beruf. Wenn auch überwiegend an den Wochenenden, so haben die Rekruten bis August ein strammes Programm.
Sein Kamerad Trutz ist in der Immobilienbranche und hat gerade sein zweites Masterstudium abgeschlossen. Für den 24-Jährigen ist schon lange klar, dass er mal zur Bundeswehr will. Jetzt hat es zeitlich gut für ihn gepasst. Denn auch sein Vater ist Reservist und zugleich sein Arbeitgeber im Familienbetrieb. „Mein Vater steht voll hinter der Ausbildung.“ Er sei kulant und verständnisvoll, was etwa Übungen angeht. Seine Mutter vertraue darauf, dass die Ausbildung fundiert ist.
Die Bundeswehr braucht Freiwillige wie Oliver und Trutz. Denn Frieden und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Das betont Michael Giss, der Kommandeur des Landeskommandos vor den Rekruten und deren Familien. „Das freie Europa hat einen Gegner – Russland unter dem Regime von Putin.“ Giss geht es darum, die Werte zu schützen und notfalls zu verteidigen. „Das geht nicht ohne die Reserve.“ Denn wenn die aktive Kampftruppe der Teilstreitkräfte im Spannungsfall an die Ostflanke der NATO verlegt wird, dann sind die Heimatschützer die „Last Line of Defence“. Giss schwört die Rekruten ein: „Machen Sie sich mit dieser Aufgabe mental vertraut. Sie müssen kämpfen können, Sie müssen sich im Gefecht durchsetzen können.“
Den Willen dazu haben die Rekruten, die nun das Gelöbnis ablegen. Es folgt der Fahneneid, der Höhepunkt des Tages. Eine Abordnung von sechs Rekruten tritt stellvertretend für alle nach vorne zur Truppenfahne. „Zum Gelöbnis stillgestanden!“ Der Fahnenträger hebt die Fahne nach oben und dann horizontal zwischen die Rekruten. Sie legen ihre linke Hand darauf. Giss spricht vor: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen.“ Die Rekruten sprechen nach. „Und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Erst Giss und dann die Rekruten. „So wahr mir Gott helfe.“
Oliver und Trutz wollen darauf vorbereitet sein, ihre Heimat zu verteidigen
Nach dem Zeremoniell folgt die Nationalhymne. Giss hebt zum Salut seine rechte Hand an die Stirn. Alle stehen still und singen mit. Es ist ein feierlicher Moment, ein starkes Gefühl von Gemeinschaft. Im Ernstfall werden die Reservisten das Land verteidigen. Nach ihnen kommt keiner. Die Verantwortung und die Gefahren sind den Reservisten bewusst. „Dafür sind wir hier, dafür lassen wir uns gut ausbilden“, sagt Trutz. „Besser vorbereitet sein und es nicht brauchen, als es zu brauchen und nicht vorbereitet zu sein“, findet er. „Deswegen machen wir uns die Arbeit, wenden unsere Zeit unsere Energie auf, geben uns Mühe.“ Sie wollen vorbereitet sind. Oliver sagt, dass nicht jeder mit der Bundeswehr etwas anfangen können muss. Doch: „Dieses Spiel können wir 80 Millionen Mal machen, nur wenn jeder nein sagt, haben wir ein Problem“, sagt er.

Was sie bislang gelernt haben? Viel Theorie und sie seien viel gelaufen. „Und wenn wir dann noch Zeit hatten, sind wird gelaufen“, sagt Trutz und lacht. Die Ausbildung „Ungedienter für die Reserve“ läuft über das Landeskommando Baden-Württemberg. Dieses hat als erstes Landeskommando 2018 eine solche angeboten, um den Bedarf an Mannschaftssoldaten für die Heimatschutzkompanien (siehe Kasten) zu decken.
Die Ausbildung wird in vier Modulen durchgeführt, an verlängerten Wochenenden. Im ersten Modul ging es um politische Bildung, um die Rechte und Pflichten von Soldaten sowie die Ausrüstung. Nach dem Gelöbnis folgen praktische Inhalte: Auch für Trutz und Oliver stehen Gefechts- und Sanitätsdienst, Orientieren im Gelände, die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit auf dem Stundenplan. Und marschieren. Zum Abschluss der Ausbildung gibt es einen einwöchigen Aufenthalt in Stetten, dann wird auch geprüft.
Besonders ist für Trutz und Oliver die Kameradschaft. „Man lebt zusammen, man verpflegt sich zusammen, man kommt von den anderen nicht weg, will das aber auch gar nicht“, sagt Trutz. „Es macht Spaß.“ Auch leiden alle gleichermaßen, alle laufen dieselbe Strecke, alle tragen dasselbe im Rucksack. „Eine Kameradschaft ist einfach was Schönes.“
Ob sie ihre Entscheidung schon mal infrage gestellt haben? „Wir sind freiwillig Wehrdienstleistende, wir müssen nicht hier sein“, sag Trutz. Oliver findet, dass „jeder etwas tun muss, für unsere Freiheit, für unser Land, für unsere Heimat“.
„Freiheit fällt halt nicht vom Himmel“
Oliver hat einst seinen Zivildienst geleistet, doch 2014 hat er seine Kriegsdienstverweigerung zurückgezogen, als Russland die Krim annektierte. „Da war für mich ein Punkt erreicht, an dem ich dachte, da verändert sich was.“ Er war aber zunächst beruflich und familiär stark eingebunden. Mit dem Ukraine-Krieg war der Wunsch, aktiv etwas zu tun, wieder da. „Freiheit fällt halt nicht vom Himmel.“ Als er mit der Reservisten-Ausbildung am 8. Mai begonnen hat, da wurde diese Freiheit 80 Jahre alt. Er will sie bewahren und zur Not auch verteidigen.
„Nicht nur für mich, sondern auch für meine Kinder.“ Die sind ein und fünf Jahre alt. Seine Frau trägt die Entscheidung mit. Aber sie wundert sich noch immer darüber. Organisatorisch sei das nicht einfach. „Das ist ein Kraftakt.“ Die ganze Familie unterstützt, weil Oliver überzeugt ist, das Richtige zu tun: „Ich glaube, die Gesellschaft kann soziales Engagement in alle Richtungen vertragen.“ Trutz ergänzt: „Und wenn nicht Bundeswehr, es gibt genügend Wege, diesem Land etwas zurückzugeben. Es gibt immer eine Option.“ Für Oliver und Trutz ist das die Bundeswehr. Sie und ihre Kameraden leisten ihren Dienst, weil sie es wollen. Da beißt man sich auch mal durch. „Wir ziehen alle an einem Strang.“ Für diesen Tag folgt nun aber der gemütliche Teil, der, den sie so schätzen: Kameradschaftspflege und Zeit mit Familie und Freunden.
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Heimatschutzkompanien
Nach der Ausbildung gehören die Reservisten einer Heimatschutzkompanie an. Dort finden sie ihre militärische Heimat und lernen im praktischen Dienst weitere Fähigkeiten für einen Einsatz. Aktuell gibt es in Baden-Württemberg vier Heimatschutzkompanien. Die Kompanie „Schwäbische Alb“ ist in Stetten am kalten Markt stationiert, die Kompanie „Oberrhein“ in Bruchsal, die Kompanie „Odenwald“ in Walldürn und die Kompanie „Linzgau“ in Pfullendorf.