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Kommentar

Wyhl: Der Protest kam aus der Mitte

Am 18. Februar 1975 verhinderten Frauen und Männer den Baubeginn für das Atomkraftwerk im südbadischen Wyhl.

Vor 50 Jahren demonstrierten in Wyhl tausende von Atomkraftgegnern.

Axel Mayer)

Man musste vor exakt 50 Jahren kein Grüner sein, um sich gegen den Bau von Kernkraftwerken auszusprechen und ökologisch zu denken. Denn die Partei gab es 1975 noch gar nicht, sondern war letztlich die Folge davon. Dafür gab es Menschen aller politischen Couleur, die am 18. Februar 1975 im südbadischen Wyhl Geschichte schrieben.

An jenem Tag stellten sich Frauen und Männer vor die Baumaschinen, um die geplanten Atomkraftwerke der Badenwerk-AG zu verhindern. Das waren vorwiegend Kaiserstühler Winzerinnen, konservative Landfrauen und dörfliche Honoratioren. Allesamt aber eigentlich ziemlich unverdächtig, als ‚linke Spinner‘ tituliert und abgewertet zu werden, wie man das in den folgenden Jahrzehnten immer wieder hörte.

Der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) hatte prophezeit, dass ohne ein Kernkraftwerk in Wyhl in Baden-Württemberg bald die Lichter ausgehen werden. Ein halbes Jahrhundert später leuchten die Lichter aber immer noch im Ländle.

In Wyhl traute man sich über alle Gesellschaftsschichten hinweg, auf die enormen Risiken eines Nuklearkraftwerks aufmerksam zu machen, wie es 1986 in Tschernobyl oder 2011 in Fukushima Wirklichkeit wurde. Die damaligen Atomlobbyisten spielten die Gefahr herunter und schlossen einen möglichen Super-Gau nahezu zu Hundertprozent aus. Wenige Tage später nach der Besetzung im Wyhler Wald kam es 1975 zu einer Großdemonstration mit knapp 30 000 Teilnehmern. Es folgte ein langer rechtlicher und politischer Streit, bis 1994 die Baupläne endgültig begraben wurden, seit 1998 ist der Wyhler Wald Naturschutzgebiet.

„Der Wyhl-Protest war nicht nur das kämpferische ‚Nai hämmer gsait‘, sondern auch das Ja zu damals absolut neuen und exotischen Dingen wie Solar- und Windenergie“, betont Axel Mayer, ehemaliger Bauplatzbesetzer, langjähriger BUND-Geschäftsführer und Gründer der Mitwelt Stiftung Oberrhein, immer wieder in seinen Vorträgen. Im Sommer 1976 etwa wurde die weltweit erste und größte Ausstellung zu alternativen Energien in Sasbach am Kaiserstuhl veranstaltet.

50 Jahre nach Wyhl wird wieder über Atomkraft gesprochen. Die AfD und Teile der CDU fordern eine Rückkehr zu der Technologie. Doch schon 1975 war der Protest dagegen bürgerlich, es gab und gibt keine gesellschaftliche Mehrheit für Atomkraft. Angesichts der Alternative von erneuerbaren Energien, die schon fast 60 Prozent der Stromproduktion ausmachen, auch keine Notwendigkeit.

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