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10.000 Lehrstellen sind immer noch unbesetzt

Azubis gesucht: Aktuell kommen im Schnitt auf 100 Ausbildungsplätze nur 75 Bewerber.
IMAGO/Zoonar II / Bihlmayerfotografie)Stuttgart . „Wir raten dringend allen Jugendlichen, die noch keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, sich mit unseren Beratungsstellen in Verbindung zu setzen“, erklärt Martina Musati, die Regionalchefin der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart. Tatsächlich sind in Baden-Württemberg immer noch rund 10.000 Lehrstellen unbesetzt. Das ist jede Siebte. Etwa 8000 Jugendliche seien immer noch auf der Suche, heißt es auf einem Spitzentreffen von Arbeitsmarktexperten, Gewerkschaftsbund, Handwerk sowie Wirtschafts- und Sozialministerium in Stuttgart.
Auf 100 Ausbildungsplätze kommen nur 75 Bewerber
Zugleich haben die Unternehmen im Südwesten große Mühe, ihre Lehrstellen zu besetzen. Im Schnitt kommen auf 100 Ausbildungsplätze nur 75 Bewerber. Das sind immerhin fünf mehr als im Vorjahr. Dabei haben die Betriebe krisenbedingt ihr Angebot um fünf Prozent reduziert.
Seit zehn Jahren registriert die Bundesagentur einen Rückgang von Angebot und Nachfrage am Ausbildungsmarkt. Die Spezialisten verfolgen diesen Trend mit Sorge, denn damit verschärft sich der Fachkräfteengpass weiter. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat ermittelt, dass jeder fünfte zwischen 20 und 34 Jahren keine Berufsausbildung hat. Auch in diesem Jahr sind sieben Prozent aller Schulabgänger ohne eine Ausbildung in die Arbeitswelt eingestiegen.
Mit einem Plus von 27 Prozent ist auch die Nachfrage von Jugendlichen mit ausländischem Pass angestiegen. Knapp ein Drittel ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen. „Vor allem die Zahl der ukrainischen Bewerber ist stark gestiegen, auf zuletzt 1900“, teilt die Bundesagentur in Stuttgart mit.
Trotz des großen Angebots an Ausbildungsplätzen kommen nicht alle Jugendlichen zum Zug. Einige haben sich bereits im Vorjahr erfolglos beworben. „Nicht alle bringen nach der Schule die notwendige Ausbildungsreife mit“, erläutert Kultusstaatssekretärin Sandra Boser (Grüne) in Stuttgart. Die Gründe seien vielfältig. Neben Sprachdefiziten fehlt es oft auch an Grundfähigkeiten wie Rechnen oder Rechtschreibung. Bei den Flüchtlingen sind es vor allem fehlende Sprachkenntnisse. Hier hat das Bundesamt für Migration das Kursangebot zuletzt reduziert.
Seit gut zehn Jahren beobachten die Experten ein neues Phänomen bei den jungen Bewerbern: Der „extreme Medienkonsum“ beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit von jungen Menschen. „Den Kindern wird weder erzählt noch vorgelesen“, beschreibt Boser die Defizite in manchem Elternhaus, wo dann schon Kleinkinder mit Handy oder Tablet unterhalten werden. Die Folge ist, dass die Kleinen bereits in der Kita mit großen Entwicklungsunterschieden ankommen. Ebenfalls beobachten die Experten, dass viele Kinder und Jugendliche soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit vermissen lassen.
Politik will lesen, schreiben und rechnen besser fördern
Die Politik will noch mehr in der Grundschule gegensteuern. Besonders auf die Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen werde verstärkt geachtet, so Kultusstaatssekretärin Boser. Und in den nachfolgenden Schularten soll das Angebot an Stützkursen auf bis zu vier Wochenstunden ausgebaut werden. „Praktika bekommen eine immer größere Bedeutung“, betont Musati.
„Wir müssen intensiv daran arbeiten, dass wir auch morgen genug Fachkräfte haben“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkskammertags rief dazu auf, die Ausbildungsinhalte mehr an die tatsächliche Arbeitswelt anzupassen. Verlangt werde immer mehr die Fähigkeit, sein Wissen problemorientiert anzuwenden. Aus Sicht des Handwerkspräsidenten müssten die Berufsschulen auch stärker Inhalte über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz vermitteln.
Kai Burmeister, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Baden-Württemberg, warnte vor einem Abbau von Lehrstellen, wie er in der Industrie zu beobachten sei. Hier sei das Angebot um 15 Prozent zurückgegangen. Wenn die Unternehmen im Südwesten keine geeigneten Bewerber finden, sollten sie diese in anderen Bundesländern rekrutieren. Es bestehe nicht überall ein so großes Angebot wie hierzulande.