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Sommergespräche

Dorothea Kliche-Behnke: Eine Sozialdemokratin aus einer Unternehmerfamilie

Dorothea Kliche-Behnke widerspricht so gut wie allen Klischees über typische SPD-Mitglieder. Sie stammt aus einer Unternehmerfamilie und ist in der katholischen Kirche engagiert. Die SPD-Landesvizechefin geht jetzt im Sommer gezielt in AfD-Hochburgen.

Dorothea Kliche-Behnke ist Vizechefin der SPD-Landespartei und Landtagsfraktion.

Achim Zweygarth)

Stuttgart/Tübingen . Im Büro von Dorothea Kliche-Behnke steht ein rotes Sofa, dahinter hängt ein wunderbar buntes Stuttgart-Porträt des Künstlers Thitz. Die Landeshauptstadt ist dort ein buntes Potpurri an farbigen Impressionen. „Ich mag das Gemälde“, sagt die 44-jährige SPD-Politikerin.

Die dreifache Mutter hat ein gewinnendes Lächeln und geht offen auf das Gegenüber zu. Eine Eigenschaft, die ihr als Politikern entgegenkommt. Das Bild hängt nicht aus purem Zufall im Parlamentsbüro. In Stuttgart ist sie aufgewachsen, daher hat sie eine besondere Beziehung zur Landeshauptstadt. Die Sozialdemokratin entstammt dem Stuttgarter Fahrradunternehmen Paul Lange und Co, das ihre Großeltern gegründet haben. „Ich identifiziere mich sehr mit der Firma“, sagt sie. Eine Zeitlang war sie auch als Vorstandsreferentin mit involviert, nun aber überlässt sie die Geschäfte der zahlreich vorhandenen Verwandtschaft.

Denn Kliche-Behnkes Herz schlägt für die Politik. Sie kämpft für ein gutes SPD-Ergebnis am 26. März bei der Landtagswahl. Auf die Frage nach einem Tipp lacht sie: „Ich sage mal, 14 Prozent.“ Aber natürlich sind das Werte, die für die SPD auch in Baden-Württemberg zu niedrig sind. Die „Partei der kleinen Leute“, wie sich die Sozialdemokraten immer gerne nannten, hat zu Teilen ihrer Stammwählerschaft den Kontakt verloren.

Die SPD-Frau geht auf Sommertouren in AfD-Hochburgen

Geht sie deswegen auf ihrer Sommertour gezielt in AfD-Hochburgen? „Ich will zuhören, raus aus meiner Bubble, gerade mit den Menschen sprechen, die wir nicht mehr erreichen“, sagt sie. Ein spannender Ansatz, der für die gesamte Südwest-SPD Vorbild sein könnte. Dorothea Kliche-Behnke glaubt an die Chancen der Partei. „Wir haben einen guten und starken Spitzenkandidaten“, sagt sie, „Andreas Stoch ist der Einzige mit in einer Landesregierung.“

Die stellvertretende SPD-Landeschefin und Fraktionsvize hofft zudem auf Berlin: „Da zeigen wir, dass wir gut regieren können“, sagt sie. Schließlich sei es immer die Rolle der SPD als „Staatsapartei“ gewesen, in der Krise Probleme zu lösen.

Wie kam sie überhaupt zur Politik? Das geschah bereits mit 14 Jahren in Stuttgart . Es kam im heimischen Haushalt ein Brief vom damaligen OB Manfred Rommel (CDU) an, der Werbung für den Jugendgemeinderat gemacht hat. „Der erste Brief landete noch im Papiermüll, den zweiten habe ich dann ernst genommen“, schmunzelt Kliche-Behnke. Sie wurde Jugendstadträtin, Sprecherin des Gremiums in Stuttgart-Süd, und wurde politisiert.

Die Partei kam später. Erst mal studierte sie in Tübingen Politikwissenschaft, Germanistik katholische Theologie und promovierte über die Erinnerungskultur in der Literatur, analysierte Günter Grass und Martin Walser. Sie blieb in Tübingen, wohnt bis heute im Stadtteil Lustnau.

Und sie bekommt drei Kinder, die inzwischen 17, 15 und 7 Jahre sind. Kliche-Behnke wird 2009 Stadträtin in der diskussionsfreudigen Stadt Tübingen, und dort Vize-Fraktionsvorsitzende. „Das war eine gute Schulung für den Politikbetrieb“, sagt sie. Vor Ort bleibt sie verwurzelt, noch immer ist sie Leiterin der Familienbildungsstätte in Tübingen, hat bei der Landratswahl mit dem letztlich erfolgreichen SPD-Kandidaten Hendrik Bednarz mitgefiebert. Und sie sitzt im katholischen Kirchengemeinderat in Lustnau. Den Weg zur SPD bereitete auch Hertha Däubler-Gmelin, der großen Tübinger Sozialdemokratin. Die ehemalige Bundesjustizministerin holt sie für eine Hospitanz nach Berlin, das hat die junge Frau fasziniert. So sehr, dass sie selbst später in die Politik einstieg. Im Jahr 2016 kandidiert Dorothea Kliche-Behnke erstmals für den Landtags, scheitert ganz knapp. „Ich habe in der Wahlnacht lange gezittert“, erinnert die 44-Jährige sich.

Fünf Jahre später klappt es dann. Sie wird direkt Vize-Fraktionsvorsitzende und kommt damit in den Fraktionsvorstand um Andreas Stoch. Nicht nur, weil sie ein ungewöhnliches Profil in die SPD mitbringt, ihre direkte Ansprache, ihre zupackende Art, ihr Pragmatismus, und ihre Analysefähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen, damit verschafft die Tübingerin sich Respekt und Anerkennung.

Jetzt geht es um alles, die SPD muss um jede Stimme kämpfen. Daher so gibt es nur ganz wenig Familienurlaub in diesem Sommer. Stattdessen rackern für die Partei. Dorothea Kliche-Behnke glaubt an das Momentum: „Acht Monate vor der Wahl ist noch nichts entschieden.“ Und die fehlende Machtperspektive? Für eine Deutschland-Koalition mit CDU und FDP zieht man eher nicht in den Wahlkampf, aber natürlich schließt sie nichts aus. Und betont gute Verbindungen zu FDP-Politikern. Andere Perspektiven gibt es laut den aktuellen Umfragen nicht, die Wunschlösung Grün-Rot ist utopisch, selbst für eine Ampelkoalition wird es nicht reichen. Aber das ist für die SPD in Baden-Württemberg schon immer eine schwierige Konstellation gewesen, das Land war seit jeher konservativ geprägt.

Außerhalb der klassischen Arbeiterzentren Esslingen, Mannheim oder Stuttgart waren die Genossen immer schwach aufgestellt.

Die SPD sucht eine andere Ansprache an die Bürger

Braucht es daher auch eine andere Ansprache, um die gut verdienende Mittelschicht im Südwesten zu erreichen? „Ja, wir haben hier eine andere Interessenlage als in anderen Bundesländern“, sagt die 44-Jährige. Auch deswegen macht sie im Sommer eine Tour in AfD-Hochburgen, die manchmal früher SPD-Hochburgen waren.

Sie wirbt für bessere frühkindliche Bildung, mehr Kita-Plätze, Ganztagesbetreuung, und hat dazu auch eine Begründung, die man in der SPD selten hört: „Das ist nicht nur gesellschaftlich wichtig, sondern auch für die Wirtschaft.“ Die Frauenerwerbsquote sei in Baden-Württemberg zu niedrig.

Dass in der Partei auch über andere Themen diskutiert wird, über Krieg und Frieden, die Nato, die Ukraine und das „Manifest“ einiger linker Pazifisten, nimmt sie zur Kenntnis: „Natürlich gibt es dazu unterschiedliche Meinungen, auch in der Landespartei.“ Ihr Vater stammt aus dem Baltikum, daher hat die 44-Jährige hier eine klare Meinung: „Wir müssen zur Ukraine stehen.“ Die Folgen der „Zeitenwende“ von Wehrpflicht – die sie ablehnt – bis hin zu den wirtschaftlichen Folgen müsse die SPD aber thematisieren.

Und auch in der Bildungspolitik hat sie viel Praxiserfahrung: „Ich bekomme das Bildungssystem durch die drei Kinder in allen Phasen hautnah mit. Wenn die Kita vier Stunden früher schließt, ist das ganz wunderbar, wenn man eine Rede im Landtag halten will.“ Klassische SPD-Politik soll da helfen, Grundschullehrer mit A 13 bezahlen etwa: „Wie in anderen Bundesländern.“

Die Sozialdemokraten kämpfen um ihren Platz

Auch hier verweist Kliche-Behnke auf das Tübinger Beispiel, wo es 3 Gymnasien, 4 Gemeinschaftsschulen und eine Waldorfschule gibt: „Wir haben schon ein zweigleisiges Shulsystem, und es funktioniert sehr gut.“ Weil es gute Schulen mit engagierten Lehrern gebe. So ein Modell will sie gerne im ganzen Land etablieren.

Ein wenig Zeit zum Durchschnaufen bleibt imm September, mit Familienurlaub in Südfrankreich. Dann beginnt der Marathonlauf bis zur Wahl, der aus ihrer Sicht weit mehr ist als ein Duell zwischen Cem Özdemir und Manuel Hagel von Grünen und CDU. „Wir werden mit einem eigenen Profil auffallen und haben auch einen guten Kandidaten.“ Und, das zeigt Dorothea Kliche-Behnke, auch in der zweiten Reihe viele interessante Persönlichkeiten.

„Wir sind bereit zu regieren und haben als Programmpartei gute Rezepte“, sagt Kliche-Behnke zum Abschied und lächelt. Die Frage ist nur, ob die Partei Gelegenheit bekommt, das auch zu zeigen.

Am Ende setzen wir uns noch einmal auf das rote Sofa in ihrem Büro im Haus der Abgeordneten am Schlossplatz, das Stuttgart-Bild hat einen Henkel unten. Das ist typisch für Thitz, der immer gerne Teile  von Tüten einbaut. So bunt, so quirlig und lebendig das Bild ist, wenn er SPD-Wahlkampf mit ihr so ausfällt, wird man vielleicht noch mehr von den Sozialdemokraten hören, als man derzeit denkt.

Zur Person

Dorothea Kliche-Behnke wuchs zunächst in Weibersbrunn im Landkreis Asschaffenburg, ab 1989 in Stuttgart auf, wo sie sich im Jugendrat Stuttgart-Süd engagierte und ihr Abitur machte. Sie studierte von 2000 bis 2006 an der Universität Tübingen Deutsch, Geschichte und Katholische Theologie auf Lehramt. Dort promovierte sie 2015. Bei dem Großhandelsunternehmen für Fahrradteile Paul Lange & Co., das ihre Großeltern 1949 in Stuttgart gegründet hatten, war sie von 2015 bis 2021 Referentin der Geschäftsführung. Sie ist katholisch und sitzt im Kirchengemeinderat der Lustnauer St. Petrus-Gemeinde. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt im Tübinger Stadtteil Lustnau.

Dorothea Kliche-Behnke mit Staatsanzeiger-Chefredakteur Rafael Binkowski in ihrem Abgeordneten Büro im Haus des Landtages, auf dem roten Sofa. Foto: Achim Zweygarth
Achim Zweygarth)

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