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Nachgehakt

Stuttgart 21: Die Kritiker von damals sehen sich heute bestätigt

Jetzt muss sich also der sechste Chef der Deutschen Bahn ins Projekt Stuttgart 21 einarbeiten. Seit mehr als drei Jahrzehnten wird um den Tiefbahnhof gerungen. Und Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hadert damit, dass sich keiner der Befürworter für die vielen Falschbehauptungen entschuldigt hat.

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 nimmt nach und nach Gestalt an. Im Dezember 2026 soll er eröffnet werden.

dpa/Arnulf Hettrich)

Wie ist der aktuelle Stand beim Bahnprojekt Stuttgart 21?

Ein Eingangsportal ist eröffnet, eine „erste weithin sichtbare Konstruktion aus Stahl und Glas “, wie die Deutsche Bahn (DB) mitteilt. Und die Verantwortlichen sind auch weiterhin sicher, dass „der Kopfbahnhof Mitte 2027 ans Netz geht “. Das bezweifeln nicht nur jene Hardcore-Gegner stark, die sich am Wochenbeginn zur inzwischen 767. Montagsdemo treffen. Auch langjährige Kenner des Projekts gehen von weiteren Verzögerungen aus. Unter anderem läuft ein Bürgerbegehren, das die Bebauung des direkten 16-gleisigen Vorfelds verhindern will.

Außerdem wird seit Anfang der konkreten Planungen immer wieder darauf verwiesen, dass oberirdische Gleise weiterhin gebraucht werden, um den versprochenen hochmodernen Bahnknoten in Betrieb nehmen zu können. Auch Schlichter Heiner Geißler (CDU) hatte im Sommer 2011 einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet unter dem Titel „Frieden in Stuttgart“.

Warum ist es nie zu solchen alternativen Planungen gekommen?

Die Grünen, neben anderen der damalige Fraktionschef Fritz Kuhn und der heutige Verkehrsminister Hermann, hatten 1996 an die CDU/SPD-Landesregierung appelliert, auch Varianten von Stuttgart 21 ernsthaft zu prüfen. „Im Projekt Stuttgart 21 stecken große Chancen für die Verbesserung des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart und im gesamten Land“, hieß es in einem parlamentarischen Antrag. Es gelte daher „die unter Berücksichtigung aller Belange günstigste Variante von Stuttgart 21 zu verwirklichen“. Der 2022 verstorbene Verkehrsminister Hermann Schaufler (CDU) wollte diese Prüfung, auch um Verzögerungen zu vermeiden, allein der Deutschen Bahn überlassen.

Inge Gräßle (CDU), die frühere Landtags- und Europaabgeordnete, die heute im Bundestag sitzt, rechnete in einer Landtagsdebatte im Jahr 1996 diese Verzögerungen auch vor: Eine vergleichende Planung bedeute eine Verlängerung um den Faktor drei: „Aus einem Jahr werden drei Jahre, und damit ist Stuttgart 21 nicht mehr in diesem Jahrhundert zu realisieren.“

Seit wann sind die Gründe für die wiederholte Verschiebung der Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs und für die vielfachen Kostensteigerungen bekannt?

Hermann hatte ebenfalls schon im Jahr 1996 vor Planungsfehlern gewarnt und davor, dass das Projekt umweltpolitisch nicht auf der Höhe der Zeit sei. Auch die Kapazitätsversprechungen, so seine Prognose, würden nicht eingehalten werden können. Hartmut Bäumler, 2011 Hermanns erster Amtschef, erinnert sich an Akten, die im Keller lagerten. Aus ihnen sei eindeutig hervorgegangen, dass schon Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) von erheblichen Finanzproblemen wusste, die aber nicht öffentlich werden sollten.

Und vor der Volksabstimmung im Jahr 2011, die bekanntlich zugunsten des Bahnprojekts ausging, wollten wiederum Spitzengrüne, angeführt vom damals neuen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, nicht Stimmung mit diesem Sachverhalt machen: Die damals neu gebildete Koalition mit der SPD und deren S21-Befürwortern durfte nicht gefährdet werden.

Wie geht es weiter?

Kretschmann, Hermann und viele andere Tiefbahnhofgegner sehen sich mit allen ihren grundsätzlichen Einwänden zu Stuttgart 21 bestätigt. Der Verkehrsminister spricht von einer Fehlentscheidung, die allerdings unumkehrbar sei. „Eine Entschuldigung der Befürworter“, kritisiert Hermann, sei bisher ausgeblieben.

Er habe nicht vergessen, „wie wir von diesem Konzern behandelt worden sind als Gegner“, erklärte auch Ministerpräsident Kretschmann kürzlich auf einer Pressekonferenz. Die Grünen seien „mit Arroganz abgebürstet“ worden, „und heute tritt all das ein, was wir damals gesagt haben, von A bis Z“, sagt er. Er lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er dem neuen Bahnchef oder der -chefin seine Sicht der Dinge auch nahebringen wird.

Mehr zum Thema Suttgart 21 lesen Sie in unserem S21-Ticker .

Ungeklärte Zukunft

Das Gesamtprojekt Stuttgart 21 hängt am neuen Pfaffensteigtunnel zum Flughafen. Er wird der längste der Republik sein und soll bis 2032 in Betrieb gehen. Was bisher fehlt, ist eine klare Finanzierungszusage vom Bund und von der DB. „Ein weiterer Verzug würde den Anschluss der Gäubahn massiv schwächen und den ÖPNV in der Region zurückwerfen“, so der Verkehrsexperte der FDP-Landtagsfraktion Hans Dieter Scheerer. Denn es handle sich um „das zentrale Infrastrukturprojekt für die Zukunft und die Mobilität Zehntausender Pendlerinnen und Pendler“.

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