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Interview

Innenminister Strobl: „Die Infrastruktur muss bundeswehrtauglich sein“

Innenminister Thomas Strobl (CDU) spricht im Interview über die innere und äußere Sicherheit. Und darüber, wie er den Katastrophenschutz, aber auch die zivil-militärische Zusammenarbeit stärken möchte und warum die Polizei Palantir braucht.
Zwei Männer im Gespräch, einer trägt eine EU-Weste, der andere eine Jacke mit Aufschrift.

Innenminister Thomas Strobl im Gespräch mit einem Helfer bei der länderübergreifendenen Großübung Magnitude.

IM BW, Steffen Schmid)

Staatsanzeiger: Diese Woche hat das Kabinett die Änderung des Polizeigesetzes auf den Weg gebracht. War denn die Aufregung um Palantir berechtigt?

Thomas Strobl: Ich bin froh und dankbar, dass wir es in der Koalition hinbekommen haben und eine klare Entscheidung für die Sicherheit getroffen haben. Unsere Sicherheitsbehörden brauchen modernste Technik, um vor die Lage zu kommen und mit hochprofessionellen, internationalen Kriminellen Schritt halten zu können. Gerade im digitalen Zeitalter gilt: Unsere Polizei muss wissen, was sie weiß – und das möglichst sekundenschnell. Dafür muss sie die Daten, die sie schon hat, schnell zusammenführen können. In vielen Fällen ist Geschwindigkeit eben ein entscheidender Faktor, etwa bei der Terrorabwehr. Und deswegen bin ich dankbar, dass wir uns darauf verständigt haben. Wir werden jetzt kurzfristig die Software von Palantir nutzen und langfristig eine europäische Lösung auf den Weg bringen. Selbstverständlich präferiere auch ich eine souveräne europäische Lösung und leiste auch meinen Beitrag dafür, dass diese entwickelt wird. Das wird aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Hier einfach abzuwarten wäre aus meiner Sicht nicht verantwortungsvoll gewesen.

Auf der Straße ist es völlig normal, dass die Polizei Sonder- und Wegerechte, also Blaulicht, hat. Warum ist das im digitalen Raum so schwierig?

Manches ist in der Tat schwierig zu verstehen. Nehmen Sie das Thema Videoschutz. Wir entwickeln gerade einen intelligenten Videoschutz, KI-gestützt, der viel weniger in Grundrechte eingreift, als das bisher der Fall ist. Dazu kommt: Alle filmen alles, nur einer darf nicht filmen und das ist die Polizei. Das ist schwer nachzuvollziehen. Selbstverständlich kann Videoschutz nicht alles verhindern, aber da hängt doch etwas schief, wenn wir die Messlatte in bestimmten Bereichen absolut ansetzen. Jedenfalls ist meine Meinung, dass wir den Datenschutz dahingehend weiterentwickeln müssen, denn wir leben in einer digitalen Welt. Die Polizei braucht auch in diesem Bereich mehr Rechte.

Der Datenschutz muss also mit anderen Grundrechten harmonisiert werden?

Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, der Datenschutz ist für manche ein absolutes Recht, das über allen anderen Grundrechten steht. Das sehe ich ausdrücklich nicht so. Selbstverständlich anerkenne ich die Rechtsprechung zum Datenschutz. Freilich muss dies immer in eine Abwägung gebracht werden zu anderen Grundrechten, etwa der körperlichen Unversehrtheit. Da gibt es teils eine Schieflage, die wir gemeinsam korrigieren müssen. Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger muss eine größere Rolle spielen.

Kürzlich war Warntag. Sind Sie denn zufrieden, wie man nun aufgestellt ist?

Ja, wir sind gut aufgestellt. Wir setzen in Baden-Württemberg auf einen Warnmix. Wir haben zum einen Warn-Apps wie Nina und wir haben einen Warndienst für Mobilfunk, das sogenannte Cell-Broadcasting. Wir setzen gleichzeitig auch auf klassische Wege wie Sirenen. All das haben wir am Warntag unüberhörbar wahrgenommen. Dazu kommen Radio, Fernsehen und Lautsprecherwagen. Wir müssen die Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen, an ganz unterschiedlichen Orten erreichen.

Das Land unterstützt den Wiederaufbau von Sirenen. Wie kommt man voran?

Land und Bund unterstützen den Sirenenaufbau 2025 mit rund 1,5 Millionen Euro. Das fördern wir bereits seit einigen Jahren und das zeigt Wirkung. Der Landkreis Heilbronn etwa hat ein weitgehend flächendeckendes Sirenennetz, auch dank der Förderung. Wir kommen voran, auch wenn der flächendeckende Ausbau freilich nicht von heute auf morgen geht.

Das Land bekommt ein neues Katastrophenschutzgesetz. Die Hilfsorganisationen begrüßen dies. Kritik gibt es aber daran, dass nicht vorgesehen ist, Ehrenamtlichen im Rettungsdienst dieselben Rechte einzuräumen wie Ehrenamtliche bei Freiwilliger Feuerwehr und THW. Warum geht man das nicht an?

Das Kabinett hat das Katastrophenschutzgesetz diese Woche auf den Weg gebracht – und damit stärken wir den Bevölkerungsschutz in ganz wesentlichen Bereichen. Zum einen stärken wir das Ehrenamt. Wir entlasten die Kommunen im Katastrophenfall finanziell und bauen die Vorsorge weiter auf. Gerade in diesen Zeiten ist das ganz wichtig: Investitionen in den Bevölkerungsschutz sind im Ernstfall auch Investitionen in den Zivilschutz.

Und die Gleichstellung der Helfer?

Unsere ehrenamtlichen Helfer sind die tragende Säule unseres Bevölkerungsschutzes. Wir haben ein starkes Ehrenamt – das stärken wir weiter, mit einer ausdrücklichen Regelung zur Ehrenamtsförderung. So erhöhen wir zum Beispiel die Jahrespauschale für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer spürbar, von 130 auf 180 Euro. Das ist eine Wertschätzung des Ehrenamts, die sehr in meinem Sinne ist. Wir haben freilich auch dafür gesorgt, dass alle Helferinnen und Helfer in einer außergewöhnlichen Einsatzlage gleichgestellt sind.

Wenn sie denn ausgerufen ist.

Genau. Mit dem Gesetz geben wir dem Katastrophenschutz vor Ort mehr Möglichkeiten, die außergewöhnliche Einsatzlage auszurufen. Sie wird nun künftig leichter auszurufen sein, weil die Voraussetzungen dafür mit dem neuen Gesetz herabgesetzt werden.

Im Moment fehlt es an Einheitlichkeit. Jeder Landkreis regelt das anders.

So ehrlich muss man sein: Jede Lage ist anders und jede Lage ist dynamisch. Da kann man nicht abschließend alle Fälle über einen Kamm scheren und auch nicht alles vorhersehen. Wichtig ist uns: Sobald die außergewöhnliche Einsatzlage ausgerufen ist, gibt es eine absolute Gleichstellung der Helfer, was Verdienstausfall und Versicherungsleistungen angeht. Alleinerziehende und pflegende Helfer können künftig Auslagen für Kinderbetreuung oder für die Betreuung von Pflegebedürftigen während des Einsatzes geltend machen. Auch für Spontanhelfer haben wir die Helferrechte geöffnet. All das ist neu.

Die zivilmilitärische Zusammenarbeit gewinnt an Bedeutung. Ist das denn überall angekommen?

In vielen Köpfen, in den Regierungspräsidien, den Landkreisen und den Kommunen findet ein Umdenken statt. Eines müssen wir klar sehen: Die bisherige Denke, die Bundeswehr ist für uns da, wenn wir im zivilen Bereich ein Problem haben, ist überholt. Wir leben in Zeiten, in denen wir uns darauf einstellen müssen, dass der zivile Bereich die Bundeswehr unterstützt. Wir haben eine Zeitenwende – und dafür haben wir in den letzten Monaten entsprechend sensibilisiert. Mein Eindruck ist: Inzwischen gibt es ein Bewusstsein dafür, dass eine Lage eintreten kann, in der wir öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen, jedenfalls vorübergehend, für Soldatinnen und Soldaten bereitstellen müssen. Wir müssen quasi eine bundeswehrtaugliche Infrastruktur vorhalten. Daran arbeiten wir flächendeckend. Freilich machen wir das nicht erst seit gestern. All das zahlt ein.

Das Land hat zuletzt mehr Geld in den Katastrophenschutz gesteckt.

Wir sind in Baden-Württemberg sehr gut aufgestellt, gerade auch durch unser starkes Ehrenamt. Freilich haben wir in den letzten Jahren immer wieder kräftig in den Bevölkerungsschutz investiert und dafür ordentlich Geld in die Hand genommen. Das kommt uns jetzt zugute: Ein gut ausgestatteter Bevölkerungsschutz bedeutet eben auch, dass wir beim Thema Zivilschutz in Baden-Württemberg sehr gut aufgestellt sind.

Der Bund will zehn Milliarden Euro mehr in den Katastrophenschutz investieren. Genau die Summe hatten Sie gefordert.

Die ehemalige Bundesinnenministerin konnte sich in der Ampel nicht gegen den damaligen Finanzminister durchsetzen. Damals hatte man, um das klar zu sagen, für den Bevölkerungsschutz im Bund nichts übrig. Das hat sich in der neuen Bundesregierung geändert. Die Haushaltsplanung sieht zehn Milliarden Euro für die Stärkung des Bevölkerungsschutzes vor. Diese Gelder sind dringend notwendig. Es ist gut, dass der Bund nun endlich nachzieht. Zehn Milliarden sind ein beachtlicher Betrag, auch wenn er nicht ausreichen wird.

Der Handlungsdruck ist groß und die geopolitische Entwicklung macht ihn eher größer. Stichwort Drohnen in Polen.

Wer es jetzt nicht verstanden hat, dem ist wirklich nicht zu helfen. Ich bin weit davon entfernt, Alarmismus zu verbreiten oder die Menschen in Panik zu versetzen. Die Lage ist nun einmal so, wie sie ist. Wir sind nicht im Krieg, freilich auch nicht richtig im Frieden. Bedauerlicherweise muss ich sagen, dass sich die Lage nicht verbessert. Sie sprechen Polen an. Das macht mehr als deutlich: Wir müssen uns auf ernste Lagen vorbereiten, auch wenn wir alles daran setzen müssen, dass eine solche Lage gar nicht erst eintritt. Meine Haltung ist hier ganz klar: Nur wenn wir das Schlimmste denken und uns darauf vorbereiten, können wir die Menschen bestmöglich schützen.

Was laut Verfassungsschutz ein großes Problem ist, sind hybride Bedrohungen, also etwa Cyberangriffe, aber gerade auch das Thema Desinformation.

Desinformation ist zu einer ernsthaften Bedrohung unserer Demokratie geworden. Und dabei geht es nicht um die Verbreitung von irgendwelchen Unwahrheiten oder Fake News, sondern es geht um gezielte Desinformationskampagnen feindlicher Staaten, aktuell vor allem durch Russland. Sie haben ein einziges Ziel: Unsere Demokratie zu schwächen und zu destabilisieren. Das ist eine außerordentlich ernst zu nehmende Gefahr. Deswegen haben wir in Baden-Württemberg eine Taskforce Desinformation eingerichtet. Sie allein löst das Problem freilich nicht, das erfordert die Wachsamkeit der gesamten Gesellschaft. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir hier zunehmend zur Zielscheibe von Desinformationskampagnen werden – und müssen alles dafür tun, uns entsprechend abzuhärten.

Auch hierzulande gab es bereits Angriffe. Etwa durch Low-Level-Agenten.

Wir sind in der ersten Stufe eines Angriffs. Wir haben eindeutig eine hybride Bedrohungslage, dazu zählen neben Desinformation auch Cyberattacken, Spionageaktivitäten sowie Sabotageakte unter anderem auf kritische Infrastrukturen. Auch müssen wir vermehrt Angriffe von sogenannten Low-Level-Agenten verzeichnen. Diese Leute lassen sich für diffuse Sabotageaktionen anheuern, wissen aber oft gar nicht, dass sie für einen feindlichen Staat tätig sind. Das Ziel ist immer dasselbe: Die Menschen zu verunsichern.

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Zur Person

Thomas Strobl ist seit neun Jahren Innenminister von Baden-Württemberg. Für die kommende Landtagswahl hat er bereits angekündigt, dass er in seinem Wahlkreis Heilbronn wieder für die CDU antritt. Wie seine politische Karriere sonst weitergeht, ist offen. Woran er aber festhält, ist der Stolz darauf, dass auch dieses Jahr die Gelder aus der Feuerschutzsteuer komplett den Feuerwehren zugutekommt. So könnten erneut alle Anträge bewilligt werden. Auch freut er sich darüber, dass der Nachwuchs bei der Feuerwehr gesichert ist, das Interesse sei ungebrochen groß.

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