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Streit um Losvergabe in der Bau- und Planungswirtschaft

Der Rechtswissenschaftler Martin Burgi ist Gutachter und Kommentator zu Fragen des öffentlichen Auftragswesens.
Privat)Stuttgart . „Es geht hoch her in diesen Tagen, schließlich steht die heilige Kuh der Bau- und Planungswirtschaft zur Debatte“, sagt Tim-Oliver Müller, der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bauindustrie. Große und mittelständische Betriebe streiten, ob es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mehr Flexibilität bei der Abweichung von der bisher strikten Fach- und Teillosvergabe geben darf. Das nämlich plant das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Vergabebeschleunigungsgesetz.
Bislang verpflichtet der Losgrundsatz (Paragraf 97 Abs. 4 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB) öffentliche Auftraggeber, größere Aufträge in Teillose (nach Menge) oder Fachlose (nach Art der Leistung) aufzuteilen, um insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Teilnahme an Ausschreibungen zu erleichtern.
Nun soll die Pflicht zur Losvergabe für die aus dem Sondervermögen finanzierten Infrastrukturvorhaben gelockert werden. Öffentliche Auftraggeber können vom Losgrundsatz abweichen, „wenn dies zeitliche Gründe erfordern – auch wenn dies nicht von den bisher für die Abweichung vom Losgrundsatz anerkennenswerten Gründen wirtschaftlicher und technischer Natur umfasst ist“, heißt es im Gesetzentwurf.
Gesamtvergaben erleichtern den Einsatz industrieller Bauweisen
Die großen Unternehmen der Bauindustrie unterstützen dies. Etwa um industrielle Bauweisen und Verfahren besser einsetzen zu können, wie Verbandschef Müller erklärt. Er warnt jedoch zugleich: Es dürfe nicht darum gehen, Unternehmen unterschiedlicher Größenklassen gegeneinander auszuspielen.
Müller zufolge müsse es vielmehr darum gehen, den öffentlichen Auftraggebern, insbesondere den Städten und Gemeinden, ein praktikables Vergaberecht an die Hand zu geben, damit sie bei den enormen Baubedarfen und mit Blick auf die eigene Handlungsfähigkeit eine kluge und rechtssichere Vergabeentscheidung treffen können. Dazu gehört für ihn, aus der gesamten Vielfalt aller Beschaffungsvarianten auswählen zu können. „Denn nur wenn wir kleine, mittlere, und größere Betriebe mit entsprechend leistbaren Projektvergaben aktivieren, werden wir am Ende zum Ziel kommen“, so Müller.
Auch bei der Bauwirtschaft Baden-Württemberg wägt man ab: „Dort, wo eine Gesamtvergabe Projekte schneller, wirtschaftlicher und innovativer macht, muss sie möglich sein“, sagt Rainer Mang, im Verband für Wirtschaftsrecht zuständig. Andere Stimmen fürchten gar, dass die geplante Abweichung von der Fach- und Teillosvergabe weiterhin an zu hohe Hürden geknüpft sei und zudem einen erheblichen Dokumentationsaufwand erfordern würde.
Die mittelständischen Bauunternehmen würden das Vorhaben gerne verhindern und wehren sich mit einem Gutachten. Die Bundesvereinigung Bauwirtschaft und der Zentralverband des Deutschen Handwerks haben dafür den Vergaberechtsexperten Martin Burgi von der Ludwig-Maximilians-Universität und den Betriebswirtschaftler Michael Eßig von der Universität der Bundeswehr in München beauftragt.
In ihrem Fazit warnen die Wissenschaftler davor, den Grundsatz der losweisen Vergabe partiell einzuschränken und damit die Zugangshürden zu öffentlichen Aufträgen für den Mittelstand zu erhöhen. „KMU und Handwerksbetriebe werden dadurch faktisch von der Teilnahme am Markt ausgeschlossen.“ Sie würden in Zukunft gar keine oder signifikant weniger öffentliche Aufträge bekommen. Sie fordern vielmehr, im Sinne der öffentlichen Auftraggeber, die Rolle von KMU zu stärken – sowohl um den Wettbewerb überhaupt zu ermöglichen als auch, um die spätere Leistungserbringung sicherzustellen.
Dem Mittelstand fehlen Ressourcen für großvolumige Aufträge
Die Unterteilung von Aufträgen in „passende“ Volumina ermögliche es KMU, überhaupt in Wettbewerbsverfahren einzutreten, da sie die Ressourcen für großvolumige Aufträge oftmals nicht bereitstellen könnten. Wolle der Gesetzgeber also diesen Wettbewerb erhalten und sogar ausbauen, dürfe er auf Instrumente der Volumensteuerung nicht verzichten. „Die losweise Vergabe ist im Moment das einzige vergaberechtliche Instrument, das ihm dazu zur Verfügung steht“, so Burgi und Eßig. „Eine ausgewogene Losbildung ist daher von zentraler Bedeutung für Vergabestellen, wollen sie erfolgreich Aufträge am Lieferantenmarkt platzieren.“
Losvergabe als Regelfall
Am 9. September 2025 hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit eine Entschließung zur Reform der EU-Vergaberichtlinien verabschiedet. Ein zentrales Anliegen darin ist es, die durchgehende Aufteilung öffentlicher Aufträge in kleinere Lose zum Regelfall zu machen, um insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu ermöglichen. Ziel der Europäischen Kommission ist es, bis Ende 2026 einen Verordnungs- oder Richtlinienentwurf vorzulegen.