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Tritt Manuel Hagel aus Cem Özdemirs Schatten?

Cem Özdemir (links) und Manuel Hagel wetteifern um das Amt des Ministerpräsidenten.
dpa/Marijan Murat)Stuttgart/Reutlingen. Da sage noch einer, dass es schadet, wenn man aus der Provinz kommt. Der Älbler Manuel Hagel mag kein Abitur haben, mag in seinem früheren Leben Sparkassendirektor gewesen sein – manchmal wirkt er immer noch so – und mag von allen Spitzenkandidaten die stärkste dialektale Färbung haben: All dies spricht nicht dagegen, dass er der nächste Ministerpräsident wird. Zumal der CDU-Landes- und Fraktionschef beginnt, aus dem Schatten von Cem Özdemir zu treten, dem Grünen-Spitzenkandidaten, den so gut wie jeder kennt, weil er schon alles Mögliche war, zuletzt Bundeslandwirtschaftsminister.
Nach der Rede in Rust bekommt Hagel einen Anruf vom Kanzler
Das Momentum jedenfalls ist auf Hagels Seite. Am Samstag hält er eine bemerkenswerte Rede beim Deutschlandtag der Jungen Union in Rust . Er widerspricht dem Kanzler, als der meint, die Jugendabteilung der CDU schurigeln zu dürfen. Er nimmt seine Aufforderung an die jungen CDU-Bundestagsabgeordneten, im Bundestag gegen den Rentenkompromiss zu stimmen, am Sonntag im ZDF nur teilweise zurück. Und er hat die zweifelhafte Ehre, unter der Woche von Friedrich Merz persönlich angerufen zu werden.
Wobei: Als er auf Einladung der Familienunternehmer am Dienstag in der Europazentrale der Firma Lapp in Stuttgart -Möhringen sitzt, bezeichnet er dieses Gespräch als angenehm. Geht aber nicht in die Details.
Beim Kabel-Weltmarktführer findet die zweite der drei Debatten statt, in der sich die Spitzenkandidaten dieser Tage für die Landtagswahl einem breiteren Publikum präsentieren. Premiere ist am vergangenen Donnerstag in der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Stuttgart-Mitte. Ihren dritten Auftritt haben diejenigen, die am 8. März Ministerpräsident werden wollen oder auch nur eine Regierungsbeteiligung anstreben, am Mittwoch vor rund 700 Bürgermeistern und anderen Kommunalvertretern bei einer Veranstaltung des Gemeindetags in Reutlingen .
Und von Mal zu Mal hat man den Eindruck, dass Hagel seinen Respekt vor Özdemir ablegt, dem einzigen Konkurrenten, der ihm die Tour vermasseln könnte. Denn nur der Christdemokrat und der Grüne können nach Stand der Dinge die nächste Landesregierung anführen; mit der AfD, die sich in der jüngsten Umfrage zwischen die beiden geschoben hat, will niemand koalieren.
Wirkt Hagel bei der IHK noch hibbelig – immer wieder schwätzt er dazwischen, kassiert sogar einmal einen Anpfiff, weil der Moderator den Eindruck hat, dass er nicht bei der Sache ist –, ist dieser Eindruck in Reutlingen verflogen. Stattdessen erntet er den Applaus, den sich Özdemir vermutlich gewünscht hätte, der die Rathauschefs als „Bürgermeischter“ umgarnt. Özdemir wirkt so, als spule er nur ein Programm ab, statt mit Haut und Haar um das Amt des Ministerpräsidenten zu kämpfen. Nur wenn es darum geht, die AfD zu verhindern, blitzt Leidenschaft auf: „Lasst uns, die demokratischen Parteien, zeigen, dass wir Probleme lösen. Vielleicht würden wir die Menschen überraschen. Das wäre ein kraftvolles Signal an diejenigen, deren Geschäftsmodell es ist, unser Land schlechtzureden“, sagt er.
Hagel wiederum erntet abwechselnd freundlichen und donnernden Applaus. Etwa, wenn er verspricht, den Kommunen keine goldenen Zügel anzulegen. Oder wenn er ihnen erlauben will, über Videoüberwachung zu entscheiden. „Und wenn es entschieden ist, dann muss sich auch der Landesdatenschutzbeauftragte heraushalten.“ Oder wenn er dazu rät, Zauneidechsen in einen Eimer zu tun und woanders hinzutragen, wenn sie in ihrem bisherigen Habitat einem Bauprojekt im Wege stehen. „Das ist gesunder Menschenverstand.“
Die Tatsache, dass es nur zwei Kandidaten gibt, die sich Hoffnungen auf die Nachfolge von Winfried Kretschmann (Grüne) machen können, ist in der Reutlinger Stadthalle unübersehbar. Bei SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch hören die Bürgermeister noch höflich zu, bei Stochs FDP-Pendant Hans-Ulrich Rülke lichten sich die Reihen. Und als Kim Sophie Bohnen, die Spitzenkandidatin der Linken, in die Bütt tritt, gibt es kaum noch ein Halten. Immer mehr strömen aus dem Saal, und vor der Essensausgabe im Foyer wächst die Schlange.
Auch Markus Frohnmaier, der für die AfD ins Rennen geht, erntet nicht mehr als vereinzelten Applaus. Allerdings versucht der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, der neulich bei „Maischberger“ die Russland-Politik seiner Partei verteidigte, auch erst gar nicht, gezielt auf seine Zuhörer zuzugehen. Stattdessen hört man Sätze, die man schon in der IHK und bei Lapp gehört hat. Wieder geht es um irreguläre Migration und den Krieg in der Ukraine. Dort, das hat er schon am Vortag beim Kabel-Hersteller gesagt, liegen die Einsparpotenziale. Damit würde er etwa den Wegfall der Erbschaftsteuer gegenfinanzieren, den die Familienunternehmer fordern.
Ohnehin fällt auf, dass die drei Spitzenkandidaten, die nicht im Landtag sitzen, wenig landespolitische Akzente setzen. Stattdessen zieht Özdemir über die Mütterrente der CSU her, Frohnmaier preist die „Friedensinitiativen“ der Herren Trump und Orbán, und Bohnen referiert das Parteiprogramm der Linken. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Personen aufzustellen, die sich in den Verästelungen der Landespolitik nicht so gut auskennen.
Stoch trägt Kretschmann das Nein zum Bildungsfrieden nach
Andererseits wird auch Expertentum nicht belohnt, wenn man in den Umfragen unter ferner liefen oder sogar in der Nähe der Fünf-Prozent-Hürde rangiert. Dieses Los teilen Andreas Stoch und Hans-Ulrich Rülke. Dabei würde Hagel am liebsten mit ihnen koalieren. Das macht er am Dienstag bei den Familienunternehmern deutlich – interessanterweise erst, nachdem Özdemir, der einen Anschlusstermin beim Verband der Bauwirtschaft hat, gegangen ist. „Wenn wir die Möglichkeit haben, eine Regierung zu bilden ohne die Grünen, ist dies die höherrangige Alternative.“
Das ist sie wieder, die „Deutschlandkoalition“, über die während der gerade zu Ende gehenden Legislaturperiode immer wieder spekuliert wurde. Auch weil sich die SPD, die in der Wahlnacht 2021 noch davon träumte, wieder wie von 2011 bis 2016 mit den Grünen zu regieren, von der Ökopartei entfernt hat. Bis heute hat Stoch nicht verwunden, dass Kretschmann den von Rülke und ihm ins Spiel gebrachten Vorschlag eines Bildungsfriedens ausschlug. Stoch erinnert sich noch genau, dass es nicht Hagel war, der nein sagte.