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Bürgerhaushalt als Beteiligungsinstrument

Ein Instrument zur Bürgerbeteiligung mit Schattenseiten

Bürger wissen oft am ehesten, was ihre Stadt braucht. Deshalb hat die Idee, sie an der Aufstellung der kommunalen Finanzplanung per Haushalt zu beteiligen, Charme. Doch das Format Bürgerhaushalt oder Bürgerbudget hat seine Grenzen. Vor allem braucht es viel Einsatz von Zeit und Personal vonseiten der Verwaltung.

Der Mannheimer Gemeinderat gewährt dem Bürgerhaushalt eine halbe Million Euro an Haushaltsmitteln.

dpa/Markus Prosswitz)

Mannheim. Die Anlage des „ Tiny Forest “ im Mannheimer Stadtteil Lindenhof hat Mitte Dezember 2023 bundesweit Schlagzeilen gemacht. Der kleine Stadtwald mit hoher Artendichte soll das Stadtklima verbessern. Er ist die Umsetzung eines Vorschlags, der im Beteiligungshaushalt 2022 der Stadt Mannheim auftaucht und vom Gemeinderat beschlossen wurde Eingebracht hat die Idee die Bürger-Interessen-Gemeinschaft aus dem Mannheimer Stadtteil Lindenhof, die nun auch die Kosten für die Umsetzung vor Ort tragen wird. Weitere Standorte sind in Planung.

Niederschwelliges Angebot zur Beteiligung am Haushalt

Seit 2015 gibt es in Mannheim einen Beteiligungshaushalt. Er soll ein niederschwelliges und innovatives Beteiligungsangebot sein. Alle Mannheimer ab 16 Jahren können Ideen einstellen, kommentieren und voten. 2022 waren Ideen gesucht, die das Ziel einer klimaneutralen Stadt bis 2030 unterstützen und einen Bezug zum Local Green Deal haben. Über 120 Ideen wurden über das Beteiligungsportal online eingebracht.

Die Bürger konnten für die Vorschläge stimmen: Besonders populär war der Vorschlag, für jeden Stadtteil ein Lastenfahrrad anzuschaffen oder die Idee eines öffentlichen Backhauses. Über die 18 bestplatzierten Ideen wurde nochmals online abgestimmt. Die letzte Entscheidung blieb dem Gemeinderat vorbehalten. Fünf Ideen sind mittlerweile in der Umsetzung. Vier weitere Ideen werden genauer ausgearbeitet.

„Beteiligungsinstrument mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung“

Mannheim stellt für diese Art der direkten Bürgerbeteiligung 500 000 Euro über den städtischen Haushalt zur Verfügung. „Mit dem Beteiligungshaushalt ist es gelungen, ein Beteiligungsinstrument zu schaffen, das eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung hat. Dazu gehörte aber auch, sich immer wieder ‚neu erfinden‘ zu müssen und Abläufe anzupassen“, erklärt Petra Seidelmann, Projektleiterin des Mannheimer Beteiligungshaushaltes, in einem Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Trotzdem sei ein Bürgerhaushalt kein Selbstläufer: „Je mehr zeitlicher und personeller Einsatz vonseiten der Verwaltung möglich ist, desto mehr Menschen können aktiviert werden und desto höher ist die Qualität des Beteiligungsverfahrens.“

Vielleicht ist deshalb die Zahl der Kommunen, die einen Bürgerhaushalt haben, übersichtlich (siehe Kasten). Ähnliche Bürgerbudgets wie in Mannheim gibt es etwa in Lahr oder in Eislingen. Hechingen hat das Angebot für 2024 aufgrund der aktuellen Haushaltslage ausgesetzt. Stuttgart und Freiburg beteiligen ihre Bürger direkt an der städtischen Haushaltsplanung. Insgesamt führt die Seite Netzwerk Bürgerhaushalt knapp 20 Kommunen im Land an.

Nicht in allen Aspekten attraktiv

Neben dem Einsatz an Zeit und Personal, den ein Bürgerhaushalt der Verwaltung abverlangen kann, erscheint das Beteiligungsinstrument auch bei anderen Aspekten weniger attraktiv – gerade auf politischer Ebene. In einer aktuellen, international vergleichenden Studie wurden diese Vorbehalte der politischen Entscheidungsträger aktuell untersucht. Viele Gemeinderäte sehen die Haushaltsplanung als ihr „Königsrecht“ an – und fühlen sich als gewählte Repräsentanten durchaus nah dran am Bürger und seinen Bedürfnissen.

Tatsächlich, so teilt die Stadtverwaltung Lahr mit, schlagen die Bürger im Beteiligungsprozess viele neue Projekte vor,  doch gebe es „auch immer wieder Ideen, die bereits bei der Stadtverwaltung auf der Agenda stehen und sich zum Teil schon in der Umsetzung befinden“. Dass es allerdings gelingt, den Bürgern über einen Beteiligungshaushalt die Komplexität städtischer Haushalte zu verdeutlichen, ist bisher auch nicht hinreichend bewiesen.

Oft melden sich die privilegierten Gruppen der Stadtgesellschaft

Die Mannheimer Projektleiterin Seidelmann führt auch ein Gerechtigkeitsproblem an. „Die bereitgestellten finanziellen Ressourcen gehen oft an bereits privilegierte Gruppen, da sich diese auch vermehrt beteiligen. Wie auch andere Beteiligungsverfahren laufen Bürgerhaushalte Gefahr, bestimmte Bevölkerungsgruppen, sogenannte ‚beteiligungsferne‘ Menschen, gar nicht zu erreichen.“

Und es bleibt auch schwierig, die Bürger bei der Stange zu halten, wenn nicht auch die politischen Entscheidungsträger hinter dem Format stehen und es mittragen. Ihr Schluss ist deshalb: „Nur eine möglichst breite Beteiligung legitimiert einen Beteiligungshaushalt.“

Nicht immer ein Instrument von Dauer

Deutschlandweit haben in den vergangenen Jahrzehnten rund 200 Kommunen Erfahrungen mit Bürgerhaushalten gesammelt. Die Stadt Esslingen hatte 2003, also vor 20 Jahren, ein Projekt für einen „Haushalt im Dialog“ gestartet. Es gab jedoch nie einen „klassischen“ Bürgerhaushalt. Aktuell gibt es keine Planungen zur Einführung.

Auch in Geislingen an der Steige, in Friedrichshafen, in Kehl oder in Konstanz gab es einmal einen Bürgerhaushalt oder Diskussionen um eine Einführung.

sta

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