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Interview: Ulrich Arndt

Leiter der Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung: „Das nimmt Gemeinderäten gar nichts weg“

Ulrich Arndt leitet die Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung. Diese unterstützt alle Behörden und Verwaltungen bei der Bürgerbeteiligung mit zufällig ausgewählten Teilnehmern.

Ulrich Arndt leitet die Servicestelle, die Bürgerforen organisiert.

Staatsministerium/Pohl)

Staatsanzeiger: Wird Bürgerbeteiligung für Kommunen künftig noch wichtiger?

Ulrich Arndt: Davon gehen wir aus. Schlicht und einfach deshalb, weil es mehr fundamentale Veränderungen, eine Transformation gibt und diese von den Menschen immer empfindlicher wahrgenommen wird. All die Konflikte, die wir in Talkshows und Bundestagsdebatten erleben, kochen sehr häufig dann vor Ort hoch.

Welchen Nutzen bringt es, Bürger bei Projekten frühzeitig über die Dialogische Bürgerbeteiligung einzubinden?

Es stärkt die Repräsentanten in der repräsentativen Demokratie. Wir machen die Dialogische Bürgerbeteiligung nicht, damit es Bürgerinnen und Bürger erfreut, sondern damit die gewählten Gemeinde- und Stadträte, damit die Hauptamtsleiterin und Hauptamtsleiter, damit die Verwaltungsmitarbeitenden eine bessere Entscheidungsgrundlage haben.

Was ist das Besondere daran im Vergleich zu anderen Beteiligungsformen?

Man muss das immer wieder deutlich machen: Es ist etwas anderes als das, was viele Menschen unter Bürgerbeteiligung verstehen. Es geht nicht um die direkte Demokratie, sprich Bürgerentscheide. Es geht nicht um die Öffentlichkeitsbeteiligung. Dort sind ja zum Beispiel bei Planfeststellungsverfahren nur sehr schmale Korridore dessen zugelassen, worüber überhaupt gesprochen werden darf.

Und welchen Vorteil bietet demgegenüber die Dialogische Bürgerbeteiligung?

Dass wir, wie die frühere Staatsrätin Gisela Erler gesagt hat, eine gesellschaftliche Tiefenbohrung machen können. Das Gesetz über die Dialogische Bürgerbeteiligung hat einen mediativen Ansatz. Es geht von vornherein um die Bedürfnisebene, und das ist der große Vorteil. In der öffentlichen Debatte dominieren sonst oft vorgeschobene Argumente.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Pläne für Flüchtlingsunterkünfte. Da wird dann oft eingewendet, deren Bau verstoße gegen den Naturschutz. Doch eigentlich geht es den Gegnern gar nicht um den Naturschutz. Die große Stärke und der Vorteil der Dialogischen Bürgerbeteiligung sind, dass man es schafft, über diese Bedürfnisse so zu sprechen, dass man diese innere Schere im Kopf nicht haben muss. 

Gibt es weitere Vorzüge eines Gremiums wie dem Zufallsbürgerrat?

Ja, dort bekommen auch die Stillen eine Stimme. Das tut in jedem Fall dem öffentlichen Diskurs gut. Was am Ende allerdings dabei inhaltlich herauskommt, ist nicht Gegenstand unserer Arbeit. Wir sind neutral.

Ist das nicht zeitaufwendig?

Mit dieser Form der Bürgerbeteiligung sparen wir in aller Regel sogar Zeit, beziehungsweise sorgen überhaupt erst einmal dafür, dass es wieder weitergeht. Erst durch die Dialogische Bürgerbeteiligung wird das Wollknäuel an verschiedenen Interessen und historischen Streitpunkten sortiert. Dadurch sind Verwaltung und Kommunen überhaupt erst in der Lage, wieder konstruktiv zu entscheiden.

Können Sie schildern, wie es in verfahrenen Situationen so wieder voranging?

Im Ostalbkreis musste die Kliniklandschaft neu geordnet werden. Dort ging es zwischen den Städten um einen klassischen Verteilungskonflikt: Die eigenen Kliniken fallen weg und es gibt künftig eine große weit weg. Das ist auch für den Kreistag schwierig, zu entscheiden. Dann haben wir unser Standardverfahren durchgeführt. Der große Vorteil bei Einschaltung zufällig ausgewählter Bürger ist deren Klarheit und Rationalität. Als bunt gemischte Gruppe sind sie nicht repräsentativ, sondern sehr vielfältig. Das Argument des Fachkräftemangels hat am Ende entschieden. Es ging gar nicht mehr um verkehrliche Erschließung oder Standorte. Sondern um die nüchterne Überlegung, wenn es in Mutlangen, Ellwangen und Aalen Krankenhäuser gibt, werden wir nicht mehr das Personal dafür haben – und dann gar keine funktionierende Krankenhausversorgung mehr.

Haben Sie noch ein Beispiel?

Denken sie auf Landesebene an das Bürgerforum zu G8 / G9. Da haben die Zufallsbürger ganz klar gesagt, ihr müsst euch etwas völlig Neues einfallen lassen und könnt nicht einfach nur zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren. Das war dann Basis für die nun erfolgte Gesetzgebung.

Berater für Beteiligungsprozesse gibt es doch schon viele. Warum sollte eine Stadt oder Gemeinde sich an Sie wenden?

Es liegt ja in der Natur der Sache, dass private Dienstleister Geld verdienen wollen und jeder Kommune einen Beteiligungsprozess als hoch individuelles Gesamtpaket anbieten. Unser Ansatz ist es, Prozesse zu verschlanken und so Kosten zu sparen. Und gleichzeitig durch eine Vereinheitlichung – im Kern ist der Ablauf immer gleich –, die Qualität und Akzeptanz der Ergebnisse zu steigern.

Inwiefern kann Letzteres gelingen?

Es ist ein gutes Argument, wenn eine Behörde sagen kann, unser Prozess ist genau gleich wie im Nachbarort. Wenn sie das ganz individuell angehen, heißt es sonst schnell: „Ja, der Bürgermeister hat so lange rumgetrickst, dass genau das herauskommt, was er wollte.“ Deshalb ist diese Vereinheitlichung der Verfahren schon ein Wert an sich, weil sie die betroffenen Behörden schützt.

Steht ein solcher Bürgerrat nicht in Konkurrenz zum Gemeinderat?

Nein. Die Dialogische Bürgerbeteiligung hilft bei streitigen Verfahren. Im Bürgerrat werden oft mit unglaublicher Präzision Argumente gewichtet. Ein solcher Beteiligungsprozess nimmt den Gemeinderäten gar nichts weg. Im Gegenteil. Befragungen und die Evaluationen ergeben immer wieder, dass die Zufallsbürger selbst sagen, unser Respekt für die repräsentative Demokratie ist gestiegen. So ein Verfahren steigert also die Wertschätzung für die Arbeit der Gewählten.

Das Gespräch führte Christoph Müller

Bürgerforen und -räte

Die Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung ist ein Angebot des Landes an alle Behörden und Verwaltungen. Die Servicestelle unterstützt diese, wenn sie für ein Vorhaben eine Dialogische Bürgerbeteiligung durchführen wollen – etwa mit einem Bürgerforum oder -rat aus zufällig ausgewählten Teilnehmern. Die Servicestelle „berät und unterstützt kostenfrei und unbürokratisch“, heißt es auf der Website.

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