Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Letzte Generation: Stuttgart reagiert mit Bußgeldern auf den Klimaprotest

Stuttgart ist bekannt für seine vielen Staus. Nun will die Stadtverwaltung eine Ursache dafür abschaffen. Nach Straßenblockaden der „Letzten Generation“ hat sie nun per Allgemeinverfügung Demonstrationen verboten, bei denen sich Menschen unangemeldet auf dem Asphalt festkleben.
Aktivistinnen und Unterstützer der Gruppierung Letzte Generation demonstrieren in Stuttgart mit Transparenten. Nach der Razzia gegen einige ihrer Mitglieder setzt die Klima-Protestgruppe Letzte Generation vorerst wohl auf Demonstrationen anstatt auf Straßenblockaden. Die Aktivisten blockierten seit Anfang 2022 immer wieder große Straßen in vielen Städten und fordern mehr Maßnahmen für den Klimaschutz.

Unangemeldete Klimaschutzdemos, bei denen Straßen blockiert werden, sind in Stuttgart nun auch durch eine Allgemeinverfügung verboten.

dpa/Andreas Rosar)

STUTTGART. Kurz vor der Gemeinderatssitzung am 6. Juli trudelte auf den Handys und Laptops der Stadträte die Nachricht ein: Die Landeshauptstadt verbietet mit einer Allgemeinverfügung den Klimaprotest, bei dem sich Menschen unangemeldet auf Straßen kleben. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) reagierte damit auf eine Aktion der „Letzten Generation“ am 1. Juli. „Wir können nicht zulassen, dass unsere Straßen unangemeldet nach dem Gutdünken Einzelner blockiert werden – völlig unabhängig davon, dass Klimaschutz ein wichtiges Anliegen ist“, sagt der OB zur Allgemeinverfügung, der sie selbst erlassen kann. Der Gemeinderat entscheidet hier nicht. 

Räte des linken Lagers kritisieren Unverhältnismäßigkeit

Umso überraschender kam die Veröffentlichung. Spontan setzen sich Räte des Linksbündnisses „Die Fraktion“ in Stuttgart auf die Straße und verbreiteten ihren Protest gegen das Protestverbot über Soziale Medien. Die juristische Prüfung haben sie am gestrigen Donnerstag mit ihrem Widerspruch eingeleitet. Die Räte der Linkspartei, der linken Bürgerliste SÖS, der Piraten- und Tierschutzpartei stoßen sich an der Gültigkeit bis Jahresende. Die Stadt solle weniger schwere Maßnahmen ergreifen. 

Sollen Städte Klebeblockaden der letzten Generation verbieten?
  • Ja 75%, 119 Stimmen
    119 Stimmen 75%
    119 Stimmen - 75% aller Stimmen
  • Nein 25%, 39 Stimmen
    39 Stimmen 25%
    39 Stimmen - 25% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 158
13. Juli 2023 - 20. Juli 2023
Die Umfrage ist beendet.

Außerdem erinnern sie sich noch an die Einschätzung des städtischen Rechtsamts im Frühjahr. Damals hatte dessen Leiterin den Räten noch vorgerechnet, dass mit einem Verbot solcher Versammlungen bloß die Aufforderung der Polizei entfallen würde, andernorts zu demonstrieren, bevor sie die Demo auflöst und Lösungsmittel für den Kleber einsetzt. Das bringe dem Autoverkehr 15 Minuten, so die Einschätzung damals. 

Daran erinnert sich auch SPD-Fraktionssprecherin Jasmin Meergans. Die Verfügung sei unverhältnismäßig, die Art des Protests stehe schon unter Strafe. Dem pflichtet der Sprecher der größten Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat zu. Laut dem Grünen Andreas Winter seien die 16 Stadträte aber noch in der Abwägung bezüglich rechtlicher Schritte. Man wolle am kommenden Mittwoch im Verwaltungsausschuss erst OB Nopper hören. Winter missfällt, dass der OB nicht einmal den Ältestenrat vorab informiert habe. „So geht man nicht mit dem gemeindlichen Zentralorgan um.“

Glasklar dagegen ist die CDU. Fraktionssprecher Alexander Kotz begrüßt die Allgemeinverfügung, immerhin gehörte sie zu den Forderungen der Fraktion, mit denen sie schon vor den Aktionen Anfang Juli dem Protest begegnen wollte. Ob sich allerdings Protestierende durch die Bußgeldandrohungen vom Ankleben abhalten lassen, mochte Kotz nicht vorhersagen. SPD-Frau Meergans glaubt das zum Beispiel nicht. Eine entsprechende Anfrage des Staatsanzeigers ließ die „Letzte Generation“ unbeantwortet, ein Aktivist erklärte aber im SWR, es werde trotz der Allgemeinverfügung Proteste geben.

190 Straßen und Plätze sind für Klebe-Protest tabu

Dafür lässt Stuttgart aber wenig Platz. Das Rathaus hat 190 Straßen und Plätze unter Klebeverbot gestellt. Andere Städte sind da zurückhaltender. Passau etwa hat aktuell zwei Verbotsverfügungen laufen, bei denen insgesamt 21 Straßenabschnitte, Brücken und Plätze in der Innenstadt genannt sind.  Die niederbayerische Unistadt ist allerdings auch deutlich kleiner. Dort wohnen knapp 54 000 Menschen, in Stuttgart sind es mit fast 633 000 zwölf Mal so viele.

Zusätzlich hatte Passaus sozialdemokratischer OB Jürgen Dupper 17 Protestierenden, die wiederholt in der Drei-Flüsse-Stadt Straßen blockiert hatten, die verkehrswidrige Straßennutzung verboten. Bei  zwei Protestierenden seien mittlerweile Zwangsgelder von je 50 000 Euro angefallen. „Zwangsgeld ist ein sehr probates Mittel, zumal es mehrfach fällig werden kann“, erklärte eine Sprecherin.

In Baden-Württemberg nimmt die Landeshauptstadt eine Sonderrolle ein. Laut Gemeindetag gebe es keine weitere Kommune mit solch einer Verfügung. In Freiburg und Karlsruhe wird es wohl so bald auch keine geben. Beide Uni-Städte planen keine Einschränkungen, obwohl es dort zu Protesten gekommen ist. 

Tübingen kenne keine Protestaktionen, so eine Rathaussprecherin. OB Boris Palmer (parteilos) hatte sich einige Ziele der „Letzten Generation“ nach einem Gespräch im Frühjahr zu eigen gemacht. Ähnlich hielt es Hannovers Grünen-OB Belit Onay, was Kritik ausgelöst hatte: Sie hätten einer Erpressung nachgegeben. In Ulm kam es trotz eines Gesprächsangebots der „Letzten Generation“ zu keinem Kontakt zum Rathaus.

Peter Schwab

Peter Schwab kümmert sich um verschiedene Journale der Zeitung und arbeitet außerdem im Crossmediateam und im Ressort Kreis und Kommune. Schon während seines Jura-Studiums hat er für verschiedene Zeitungen geschrieben, später volontiert und als Lokalredakteur gearbeitet. Nach seiner Zeit als Pressesprecher hat er erneut die Seiten gewechselt und ist 2022 zum Staatsanzeiger gegangen – und damit zum guten alten Journalismus zurückgekehrt.

0711 66601 292

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 167,00 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesermeinungen

Bitte loggen Sie sich ein, um zu kommentieren.

Lesen Sie auch