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Interview: Florian Hassler

„Alle wissen, was auf dem Spiel steht“

Freier Marktzugang, dynamische Übernahme von EU-Recht, Streitbeilegung: Das sind die zentralen Bausteine des geplanten Abkommens zwischen der Schweiz und der EU, für das sich Europastaatssekretär Florian Hassler (Grüne) in Bern und Brüssel stark macht.

Der baden-württembergische Europastaatssekretär Florian Hassler (rechts) – hier mit dem Schweizer Außenminister Ignazio Cassis in Stuttgart – hat in den vergangenen Jahren zahllose Gespräche geführt, um Bern und Brüssel nach dem Scheitern des Rahmenabkommens wieder zusammenzubringen.

Staatsministerium Baden-Württemberg)
Staatsanzeiger: Wie oft waren Sie seit Ihrem Amtsantritt in der Schweiz? Und wie oft wegen der Schweiz in Brüssel?

Florian Hassler : Bestimmt zehn Mal in der Schweiz. Die Reisen nach Brüssel habe ich gar nicht mehr gezählt. Unmittelbar nach meinem Amtsantritt im Mai 2021 ist ja das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU gescheitert. Das hatte auch ganz direkt Auswirkungen auf Baden-Württemberg. Für die Wirtschaft – etwa bei der Medizintechnik oder bei unseren unzähligen Wissenschaftskooperationen. Wir sind mit der Schweiz einfach sehr eng verbunden, das zeigt sich allein bei unseren zahlreichen Grenzpendlern. Kurzum: Es war in den letzten Monaten eines der wichtigsten Themen überhaupt in meinem Arbeitsbereich.

Wie könnte Baden-Württemberg vom neuen Abkommen profitieren?

Ein neues Abkommen eröffnet die Chance, die Zusammenarbeit in den zentralen Zukunftsfeldern voranzutreiben, etwa in den Bereichen Energie und Gesundheit. Unsere langjährige grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Schweiz als einen unserer wichtigsten Handelspartner hat dabei Modellcharakter in Europa, sei es am Oberrhein, am Hochrhein oder am Bodensee. Nutznießer wären zum Beispiel auch unsere Handwerker, die Aufträge in der Schweiz annehmen. Die Aufträge müssten nur noch vier Tage zuvor angemeldet werden und nicht mehr acht Tage wie bisher.

Wie schwer fiel es Ihnen, in Brüssel für ein Land zu werben, das sich mit Entscheidungen so schwertut?

Ich werbe nicht für die Schweiz, ich sehe mich nicht als Botschafter der Eidgenossenschaft, sondern versuche, eine Rolle als Brückenbauer einzunehmen und in Brüssel – auch im wohlverstandenen Eigeninteresse von Baden-Württemberg – dafür zu werben, dass wir in Europa zusammenarbeiten und dabei die Schweiz einbeziehen. In dieser Rolle wird Baden-Württemberg in Brüssel sehr ernst genommen und geschätzt.

Wie groß ist Ihre Befürchtung, dass das Ganze am Ende am Schweizer Volk, also an der direkten Demokratie, scheitert?

In der Schweiz hat sich nach dem Abbruch der Verhandlungen etwas getan. Die Universitäten haben gemerkt, wie wichtig die Einbindung in europäische Forschungsprogramme ist. Viele Unternehmen haben verstanden, dass es ohne enge Anbindung an die EU nicht funktioniert. In der Schweiz ist angekommen: Wenn man sich mit der EU nicht auf ein Paket verständigt, dann wird das auf vielen Ebenen negative Auswirkungen haben – ökonomisch, kulturell, sozial. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass am Ende auch der Volksentscheid positiv ausgeht.

Eine EU-Mitgliedschaft steht in der Schweiz jedoch nicht zur Debatte.

Das stimmt, und das ist schade. Einen EU-Beitritt der Schweiz werde ich in meiner politischen Karriere wohl kaum mehr erleben. Vielleicht meine Kinder oder Enkelkinder. Aber die Akteure in der Schweiz, alle politischen Parteien bis auf die SVP, haben verstanden, was auf dem Spiel steht und sind nach meiner Beobachtung nun auch bereit, dafür Überzeugungsarbeit zu leisten, dass das neue Abkommen nicht scheitert.

Der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis sagt: „Je mehr wir mit der EU zu unseren Zielen kommen, desto weniger müssen wir innenpolitisch Konsequenzen fürchten.“ Kann die EU der Schweiz noch weiter entgegenkommen?

Die Europäische Kommission ist der Schweiz bereits entgegengekommen – etwa bei der Personenfreizügigkeit oder dem Lohnschutz, um Befürchtungen in der Schweiz erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ich rate davon ab, jetzt noch einmal neue Fässer aufzumachen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, liegt auf dem Tisch. Das ist jetzt die zweite Chance. Eine dritte wird es nicht geben.

Was würde eigentlich passieren, wenn sich die Schweizer etwa beim Thema Zuwanderung von den im Dezember vereinbarten Grundlagen für ein neues Abkommen verabschieden würden?

Dann droht ein Scheitern des gesamten Pakets.

Das würde auch Baden-Württemberg hart treffen.

Deshalb lautet mein Appell: Nutzen wir das Momentum auf beiden Seiten und schließen wir die Verhandlungen bis Ende 2024 ab. Die Amtszeit der aktuellen Europäischen Kommission endet Ende Oktober. Dann sollte alles unter Dach und Fach sein.

Mehr zum Thema lesen Sie hier:

Verhandlungen mit der EU„Eine dritte Chance gibt es für die Schweiz nicht“

Kommentar: Der Schweiz geht es einfach zu gut

Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

0711 66601-599

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