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„Wir waren und sind gesprächsbereit“

Franziska Brantner führt die Landesliste der Grünen in Baden-Württemberg an.
Achim Zweygarth)Staatsanzeiger: Sie sind Spitzenkandidatin der Grünen in Baden-Württemberg, Direktkandidatin im Wahlkreis Heidelberg, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und Bundesvorsitzende der Grünen. Hat der Tag überhaupt genügend Stunden für Sie?
Franziska Brantner (lacht): Natürlich ist viel los, ich habe jetzt noch mehr Termine als gewöhnlich, aber ich mache das auch gern. Gerade im Wahlkampf kommt man noch mal mehr mit den Menschen ins Gespräch und kann überzeugen.
Ins Gespräch gekommen sind die Grünen mit den Küchengesprächen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Ich mag das Format sehr gerne und habe einige Küchentischgespräche geführt – gerade im ländlichen Raum. Wir haben so die Gelegenheit, mit Menschen, die das wollen, ins Gespräch zu kommen, ihnen zuzuhören, ihre Sichtweise zu hören. Für mich ersetzt – bei aller Bedeutung der digitalen Kanäle – nichts das direkte Gespräch.
Robert Habeck hatte bei der Vorstellung des Wahlprogramms gesagt, dass Themen der Bürger aus den Küchentischgesprächen eingeflossen seien. Haben Sie ein Beispiel?
Uns haben Auszubildende im ländlichen Raum gesagt, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln früh morgens oft nicht zu ihrem Arbeitsplatz kommen können. Eigentlich müssten sie mit dem Auto fahren. Doch die Kosten für den Führerschein seien mit dem Ausbildungsgehalt nicht zu bezahlen. Deswegen haben wir im Wahlprogramm jetzt auch den Zuschuss zum Führerschein für Auszubildende drin. Ein anderer Punkt ist die Erhöhung des Pauschbetrags bei der Steuer. Unser Vorschlag ist, den auf 1500 Euro zu erhöhen. Damit müsste etwa die Hälfte der Steuerzahler künftig keine Belege mehr beim Finanzamt einreichen.
Sie fordern deutlich mehr Investitionen in die Infrastruktur. Was bedeutet das für die Schuldenbremse?
Ein Teil unserer Infrastruktur muss dringend saniert werden – übrigens auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Das ist eine gemeinsame Herausforderung. Das gilt genauso für Schulen, Sportstätten oder – hier in Baden-Württemberg – für die Neckarschleusen, die Teil der Bundeswasserstraße sind. Wir müssen die Sanierungen jetzt angehen, bevor die Infrastruktur so kaputt ist, dass wir sie komplett neu bauen müssen. Jahrelang wurde das nicht ausreichend getan, und der Sanierungsstau ist mittlerweile so groß, dass er weder von den Kommunen noch vom Bund aus den laufenden Haushalten zu stemmen ist, auch wenn richtigerweise gekürzt und alles auf Effizienz hin überprüft werden muss.
Wie wollen Sie das finanzieren?
Wir schlagen dafür einen Deutschlandfonds vor. Das wäre ein Instrument, mit dem wir gezielt Kredite für die Sanierung der Infrastruktur aufnehmen. Man könnte das auch über ein Sondervermögen oder eine Reform der Schuldenbremse realisieren. Es gibt dazu mehrere Vorschläge von Wirtschaftswissenschaftlern. Unser Ziel ist es, dieses Land zu sanieren. Beim Weg sind wir offen.
Beim Klimaschutz haben viele Menschen das Gefühl, das sei nur etwas für Menschen mit genügend Geld. Eigentlich war auch eine Rückzahlung des CO 2 -Preises angedacht. Warum hat das bislang in Deutschland nicht geklappt?
Wir hatten bislang keinen Mechanismus, um vom Staat direkt Geld an die Bürgerinnen und Bürger auszuzahlen. Das haben wir auch während der Coronazeit schmerzhaft bemerkt, als es darum ging, wie die Studierenden an die Hilfen kommen sollten. Jetzt haben wir eine entsprechende Möglichkeit auf den Weg gebracht. Aber gerade die Einnahmen aus dem CO 2 -Preis haben wir – wenn auch nicht auf direktem Weg – an die Bürger zurückgegeben, indem wir die EEG-Umlage abgeschafft haben. Das waren milliardenschwere Entlastungen beim Strompreis.
Der Strom mit den erneuerbaren Energien soll eigentlich deutlich günstiger werden. Die Strompreise für Bürger und Wirtschaft sind aber immer noch sehr hoch. Warum wird das nicht besser?
Die gute Neuigkeit ist, dass wir zum Glück mit den Preisen für Neukunden inzwischen wieder auf Vorkrisenniveau sind. Die Stromgestehungskosten der Erneuerbaren sind wirklich die günstigsten, die es gibt. Das Problem sind die Systemkosten.
Also der Netzausbau?
Genau. Dieser wird seit vielen Jahren geplant und wurde nochmals um Milliarden teurer, weil die Kabel plötzlich alle unterirdisch verlegt werden sollten. Das ging maßgeblich von der bayerischen Landesregierung aus. Hinzu kam, dass vorherige Regierungen keine tragfähige Finanzierung hinterlegt hatten. Stattdessen sollten die Kosten für den Ausbau auf die jeweiligen Nutzer verteilt werden. Damit würden die ersten Nutzer über die Netzentgelte die komplette Infrastruktur zahlen, die auch für die nächsten Generationen gebaut wird. Das geht nicht. Wir wollen diese Investitionen über mehrere Generationen strecken. Deshalb wollen wir die Netzentgelte senken. Die Stromsteuer wollen wir ebenfalls weiter auf das EU-Minimum senken.
Gefühlt sind die Grünen gerade der Sündenbock für alles. Ärgert Sie das?
Ich nehme es mittlerweile mit Humor. Es gibt drei Ausreden: Der Bruder war es, der Hund hat’s gegessen und die Grünen sind schuld. Wenn Dinge gut laufen, sind wir übrigens auch verantwortlich. Aber das wird dann gerne unterschlagen.
Würden Sie sich nach den Erfahrungen mit der FDP wieder an einer Koalition mit den Liberalen beteiligen?
Eine Dreierkonstellation ist immer schwierig. Das erschwert auch Abstimmungsprozesse. Ich war am Ende persönlich auch enttäuscht, dass es kein Interesse mehr daran gab, gemeinsam wirklich voranzukommen. Aber wir schließen keine Koalition mit einer demokratischen Partei aus. Davon halte ich nichts.
Was würden Sie denn künftig anders machen?
Da braucht es neue Regeln. Etwa mit Blick auf Europa. Es kann nicht sein, dass Deutschland sich immer enthalten muss, wenn ein Koalitionspartner ein Veto einlegt. Hier könnte man für jede Partei ein Vetorecht in zentralen Punkten vereinbaren. Ansonsten geht es nach der Mehrheit in der Koalition. Auch müsste man insgesamt klare Regeln für die Zusammenarbeit aufstellen.
Könnten Sie sich – nachdem CDU-Chef Merz sich mithilfe der AfD Mehrheiten für Gesetzesvorhaben sichert – nach der Wahl noch eine Koalition mit der CDU vorstellen?
Friedrich Merz muss die Frage beantworten, ob er wieder zurück in die demokratische Mitte kommt und sein Wort hält. Wir waren immer und sind gesprächsbereit, und haben Vorschläge gemacht, um die Sicherheit in unserem Land zu erhöhen. Wir sind bereit, um in Verhandlungen zu einer demokratischen Mehrheit zu kommen. Denn unter Demokraten muss man immer miteinander reden und arbeiten können. Merz sagte aber: Entweder so wie er möchte oder er nimmt Stimmen der AfD in Kauf – das ist Erpressung und keine Zusammenarbeit.
Zur Finanzierung der Krankenkassen hat Robert Habeck vorgeschlagen, auch auf Kapitalerträge Sozialabgaben zu erheben. Kann das für die Grünen zu einem Problem wie beim Veggie Day werden?
Wir haben im Januar alle gemerkt, dass die Beiträge für die Krankenversicherung gestiegen sind. Ein Problem ist, dass viele Dinge, wie auch die Krankenhausreform, nur durch die gesetzlich Versicherten finanziert werden. Genau das macht den Faktor Arbeit in Deutschland teuer und das ist ungerecht. Deshalb stellt sich auch die Gerechtigkeits- und Entlastungsfrage, wie man mit Kapitalerträgen umgeht. Wir haben drei Wege vorgeschlagen, dazu gehört auch, Kosten durch Effizienzen und Digitalisierung einsparen. Die CDU will nur den Wettbewerb der Krankenkassen erhöhen. Das wird aber dazu führen, dass entweder die Beiträge weiter steigen oder die Leistungen gekürzt werden.
Viele Menschen, die für ihre Rente etwas sparen, haben jetzt Angst, dass die Grünen ihnen das nehmen wollen.
Diese Menschen sind davon nicht betroffen. Es geht um Menschen, die Millionen auf dem Konto haben.
Zur Person
Franziska Brantner ist seit November Bundesvorsitzende der Grünen. Dem Bundestag gehört sie seit 2013 an. 2021 zog sie erstmals als direkt gewählte Kandidatin für den Wahlkreis Heidelberg in das Parlament ein – ein Mandat, dass Brantner gerne verteidigen würde. Brantner ist derzeit zudem Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium.
Brantner, die Politikwissenschaften mit einem Schwerpunkt auf Internationale Beziehungen und Europapolitik studiert hat, gehörte vor ihrer Zeit im Bundestag von 2009 bis 2013 dem Europaparlament an und war davor in Bereichen der Vereinten Nationen tätig.