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Interview

CDU-Energieexperte Raimund Haser: „Biogas ist der schlafende Riese der Energiewende“

Raimund Haser, Energie- und Klimaexperte der CDU-Landtagsfraktion, plädiert dafür den Netzausbau noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, um die Netze nicht überdimensioniert auszubauen und die Kosten hochzutreiben. Auch sieht er viele ungenutzte Möglichkeiten für Biogasanlagen im Land.

Raimund Haser macht sich im Landtag nicht zuletzt für eine bessere Nutzung von Biogasanlagen stark.

IMAGO/Arnulf Hettrich)

Staatsanzeiger: Im Landtag wurde gerade über Biogasanlagen diskutiert. Sind diese Anlagen ein unterschätzter Faktor in der Energiewende?

Raimund Haser: Absolut. Die Diskussionen im Landtag haben gezeigt, dass die kritischen Debatten nicht die Realität widerspiegeln. Die Anlagen, über die wir heute sprechen, sind so konzipiert, dass sie gezielt in schwachen Stromzeiten den Ausgleich liefern und damit auch die Preise erzielen, die sie benötigen. Zweitens sind sie der Wärmelieferant schlechthin. Keine andere erneuerbare Energie kann so viel Wärme erzeugen – und zwar als Nebenprodukt.

In der Kraftwerksstrategie spielen sie bislang aber keine Rolle.

Sie könnten das aber. Zwar ist ihr Gesamtvolumen in Deutschland im Vergleich zu den 21 Gigawatt aus der Kraftwerksstrategie marginal, aber in den regionalen Netzen sind sie wichtige Stromdienstleister. Wir sollten sie stärker einbinden, um den Anlagenpark maximal zu nutzen. Stattdessen drosseln wir sie – sie produzieren weniger als sie könnten – und legen bei der Genehmigung Steine in den Weg. Ich bin überzeugt: Biogas ist der schlafende Riese der Energiewende.

Wie groß kann der Beitrag von Biogasanlagen sein?

Es gibt unterschiedliche Zahlen. Ich gehe davon aus, dass die Anlagen heute schon 15 bis 20 Prozent zur erneuerbaren Energieerzeugung beitragen könnten, wenn wir die Leistung der bestehenden Anlagen verdoppeln würden, was ohne Neubau möglich ist. Mit der zusätzlichen erneuerbaren Wärme könnte Biogas langfristig bis zu einem Viertel der erneuerbaren Energien bei Strom und Wärme liefern. Besonders in Baden-Württemberg kann durch den Einsatz von Reststoffen, wie etwa Grasschnitt am Straßenrand oder Lebensmittel-Reste, einen großen Beitrag leisten, ohne zusätzliche Flächen zu beanspruchen.

Warum wird das bislang nicht genutzt?

Bei der Verwertung von Speiseabfällen, Grünschnitt oder Mist von Sportpferden gibt es Restriktionen, die nicht aus dem Energiewirtschaftsrecht, sondern aus dem Abfallrecht stammen.

Wie weit ist man da vom Bund abhängig, und inwieweit könnte das Land selbst vorangehen?

Wir könnten bei der Genehmigung mutiger sein, ohne Umwelt oder Menschen zu gefährden. Natürlich gibt es Regeln aus dem Abfall- oder Wasserrecht. Aber teilweise muss man sich fragen, ob die Auflagen und die Genauigkeit noch zeitgemäß sind. Ein Beispiel ist die Anschlussnutzung von Gärrestelagern. Die Gülle darf der Landwirt lagern. Die Gärreste aus der Biogasanlage sind Abfall und dürfen nicht mehr gelagert werden. Dafür gibt es keinen fachlichen Grund.

Sind andere EU-Staaten da schon weiter als wir?

Ja. In Dänemark beispielsweise speisen viel mehr Anlagen ins Gasnetz ein. Hier wird der Vorteil, dass Gas speicherbar ist, genutzt. Und diese Infrastruktur ist bereits vorhanden.

Wind- und Solarenergie tragen in Deutschland inzwischen mit über 50 Prozent zur Stromerzeugung bei. Studien gehen davon aus, dass der Strombedarf insgesamt steigt, je mehr Bereiche wir elektrifizieren. Sind wir beim Ausbau der Erneuerbaren in Baden-Württemberg zu langsam?

Wir sind, gemessen am technisch Möglichen, da wo wir sein können. Windkraft lohnt sich in Baden-Württemberg erst seit wenigen Jahren, da wir auf Schwachwindtechnologie angewiesen sind. Diese neuen Anlagen bieten neben der Photovoltaik und anderen erneuerbaren Energien große Chancen für Baden-Württemberg. Deswegen würde ich auch raten, unabhängig vom Koalitionsvertrag im Bund, auf jeden Fall an den aktuellen Flächenausweisungen im Land festzuhalten. Nachjustierungen brauchen wir lediglich bei den Ausschreibungen. Es darf nur gebaut werden, was sich für alle lohnt und nicht nur für den Betreiber.

Die meisten Windkraftanlagen stehen im Norden. Große Stromtrassen sollen den Windstrom von dort künftig in die Verbrauchszentren im Süden bringen. Sie haben kürzlich gesagt, dass der geplante Netzausbau überdimensioniert sei. Wie geht es anders?

Der Netzausbau ist an zwei Stellen überdimensioniert. Zum einen gehen wir bei der Offshore-Windkraft immer weiter hinaus in die Nordsee, was die Anlagen und den Netzanschluss extrem verteuert und zu sehr hohen Netzkosten führt. Wir sollten das Thema, noch mehr Windkraft in einer Region, in der schon zu viel Windkraft ist, neu bewerten. Zum anderen müssen wir uns den Netzausbau anschauen. Hinter den aktuellen Ausbauplänen steckt die Idee, dass jede erzeugte Kilowattstunde theoretisch über das Netz transportiert werden können muss. Damit wird die Infrastruktur nicht für den dauerhaften Betrieb gebaut, sondern für den absoluten Peak. Und das ist oft Strom, den dann aktuell niemand braucht, wenn er eingespeist wird.

Was bedeutet das für den Netzausbau?

Wir müssen stärker schauen, was wirklich für die Netzstabilität vor Ort notwendig ist, was es braucht, um Überkapazität abzufangen und wo Überkapazitäten vor Ort abgeregelt werden müssen. Heute wird eine Region mit Biogasanlage, Windkraft und Photovoltaik im Netz so behandelt, als würden alle drei Anlagen gleichzeitig die maximale Strommenge liefern. Das ist Unsinn. Man muss definieren: Wie viel Leistung kann man zum Beispiel zu 80 Prozent der Zeit garantieren? Wenn die Photovoltaik den Strom erzeugt, muss die Biogasanlage nicht gleichzeitig Strom einspeisen. Windkraft ist wetterbedingt, gerade im Winter oder an Randzeiten wird sie stärker gebraucht als tagsüber. Mit solchen Anreizmodellen „Speise möglichst stabil ein!“ könnte man viel Geld beim Netzausbau sparen. Es gilt, das Netz intelligenter statt absolut zu planen.

Derzeit gibt es drei Ziele für die Klimaneutralität: 2040 gilt für Baden-Württemberg, 2045 für Deutschland und 2050 für die EU. Wie sehen Sie das Landesziel bis 2040, das die CDU ja mit verantwortet?

Das ist für mich ein politisches Statement. Wir haben den Anspruch, Dinge besser und ambitionierter zu machen und als Bundesland voranzugehen. Was wir aber vermeiden müssen, sind Standortnachteile oder die juristische Angreifbarkeit. Die großen Hebel für Emissionsreduktionen liegen politisch und gesetzlich nicht beim Land, sondern beim Bund und der EU. Man sollte den Menschen deshalb auch nicht vorgaukeln, dass das Land die Instrumente hat, um diese Ziele im Alleingang zu erreichen. Mir wäre es lieber, wir würden uns konkrete Ausbauziele geben, etwa eine bestimmte installierte Leistung oder das Errichten eines weiteren Pumpspeicherkraftwerks bis zum Jahr 2035. Als Bürgermeister könnte ich als Ziele etwa setzen: bis 2035 keine Ölheizung mehr in kommunalen Gebäuden zu haben oder den Stromverbrauch der Straßenbeleuchtung auf 15 Prozent des Standes von 2010 zu senken. Solche Ziele sind nicht abstrakt, sondern greifbar, baubar und nachvollziehbar.

Das Gespräch führte Stefanie Schlüter

Zur Person

Raimund Haser kommt aus dem Allgäu. Dem Landtag von Baden-Württemberg gehört er seit 2016 an. Er ist umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag und Vorsitzender des Landesfachausschusses für Energie, Umwelt und Klimaschutz der CDU. Sein Ziel in der Politik: mit einer klaren Haltung die verschiedenen Interessen in der Gesellschaft zu vereinen.

Haser hat Betriebswirtschaftslehre studiert und als Marketingleiter bei einer Bank gearbeitet, bevor er eine Ausbildung zum Redakteur machte und als Wirtschaftsredakteur bei einer Tageszeitung arbeitete. Seit 2008 ist Haser selbstständig mit einem Verlag und einer Kommunikationsagentur.

Biogasanlagen könnten einen größeren Beitrag zur Energieversorgung leisten, ist der CDU-Energieexperte Raimund Haser überzeugt. Foto: IMAGO/imageBROKER/Lilly

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