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SPD-Landeschef Andreas Stoch: „Grüne und CDU haben sich voneinander entfremdet“

Andreas Stoch hat wenig Aussichten, Ministerpräsident zu werden, aber er würde gerne die SPD in die neue Landesregierung führen.
Achim Zweygarth)Staatsanzeiger: Herr Stoch, Sie wollen sich am Samstag zum Spitzenkandidaten der SPD wählen lassen. Wie wollen Sie neben Cem Özdemir und Manuel Hagel wahrgenommen werden?
Andreas Stoch: Zunächst einmal ist es eine besondere Wahl, weil niemand mit einem Amtsbonus antritt. Wir wissen aus früheren Wahlen, dass der Amtsbonus immer ein sehr bestimmender Faktor war. Den gibt es diesmal nicht, weil Herr Kretschmann nicht mehr antritt. Wenn man auf die aktuellen Umfragezahlen schaut, sehe ich da keinen Zweikampf. Die CDU liegt stabil über 30 Prozent, die Grünen um die 20, teilweise drunter. Da braucht man schon viel Fantasie, um ein Duell zu erkennen. Mein Anspruch ist es, deutlich zu machen, dass ich und meine SPD die besseren Ideen für unser Land haben und ich bereits Regierungserfahrung im Land mitbringe.
Viele wissen nicht, wofür die SPD und Andreas Stoch stehen. Welche Themen und welches Profil wollen Sie anbieten?
Die SPD steht dafür, dass niemand Angst haben muss, abgehängt zu werden, auch nicht in schwierigen Situationen, wie wir sie derzeit erleben. Wir stehen an der Seite der arbeitenden Menschen und kämpfen für deren Arbeitsplätze, für bezahlbaren Wohnraum und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir wollen klarmachen, wie wichtig es für unser Land ist, dass die SPD in der Regierung vertreten ist. In der Bundesregierung sieht man das durch die von der SPD initiierte Investitionsoffensive ganz deutlich. Grüne und CDU haben die Chancen, die in diesem Land stecken, schlicht nicht genutzt.
Was hat die SPD anzubieten, außer mehr Schulden zu machen?
Niemand wünscht sich, Schulden zu machen. Aber wenn die Wirtschaft schwächelt, sind Investitionsimpulse wichtig, auch wenn sie schuldenfinanziert sind, um Schlimmeres abzuwenden und Arbeitsplätze zu erhalten. Das tun weder die Grünen noch die CDU. Dazu braucht es eine SPD. Der Bund nimmt jetzt viel Geld in die Hand, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die ersten Effekte zeigen sich bereits. Für das Land fordern wir eine Transformationsmilliarde, um den klimagerechten Umbau der Wirtschaft zu fördern. Eine Landesregierung muss sich auch darum kümmern, dass es Betreuungsangebote in Kitas und Ganztagsschulen gibt und bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist.
Welche konkrete Perspektive hat die SPD? Werden nicht CDU wieder einfach miteinander weiter regieren?
Zunächst gilt es für uns als SPD, so stark wie möglich zu werden. Ob es dann für eine Koalition mit einer demokratischen Partei eine Mehrheit gibt, entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Am derzeitigen Zustand der Landesregierung und dem Verhältnis von CDU und Grünen sehen wir aber, wie sich diese Parteien immer mehr voneinander entfernen.
Mit wem will die SPD dann regieren? Wie in Berlin mit der Union?
Wir werden ausloten, welche Machto ptionen es gibt. Mein klares Ziel ist, dass wir gemeinsam mit einem anderen Partner eine Mehrheit im Landtag bekommen. Bei der Landtagswahl 2021 wäre Grün-Rot möglich gewesen. Ob eine Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD die Machtoption ist, kann ich heute noch nicht sagen. Wir wollen in diesem Land wieder regieren. Nicht als Selbstzweck. Sondern weil wir glauben, dass wir die besseren Ideen und Rezepte für dieses Land haben.
Dann lassen Sie mal hören!
Das beginnt bei der Wirtschaft und dem Wohnungsbau. Baden-Württemberg ist das Land mit dem größten Wohnungsbauproblem, weil die Landesregierung zu wenig tut. Es gibt Unterrichtsausfall wie noch nie. Und es fehlen 60 000 Kita-Plätze in diesem reichen Land. Deswegen brauchen wir eine neue Regierung.
Eine „Deutschland-Koalition“ aus CDU, SPD, FDP ist für Sie auch eine Option?
Ich glaube, man ist gut beraten, vor Wahlen nichts auszuschließen. Die Parteien des demokratischen Spektrums – und da nehme ich ausdrücklich die AfD aus – müssen miteinander bündnis- und koalitionsfähig sein. Aber nach den Erlebnissen mit der FDP in der vergangenen Bundesregierung ist meine Lust sehr gedämpft, etwas gemeinsam zu machen. Ich möchte, dass dieses Land vernünftig regiert wird.
Sie waren von 2011 bis 2016 Kultusminister. Viele sagen, Sie haben das ordentlich gemacht. Träumen Sie davon, 2026 noch dieses Amt auszuüben?
Die Aufgabe als Kultusminister fiel mir nicht in den Schoß. Es war für mich die politisch anstrengendste, herausforderndste, aber auch erfüllendste Zeit. Das Amt des Kultusministers ist wahrscheinlich eines der schwierigsten. Ich möchte diesem Land dort dienen, wo ich das am besten kann – ob das innerhalb einer Regierung sein wird und wenn ja, in welchem Ministeramt, ist im Moment völlig nachrangig. Es geht darum, die SPD so stark zu machen, dass wir wieder mitgestalten können.
Grün-Schwarz hat einiges verändert, G9 an Gymnasien, die Förderung der frühkindlichen Bildung. Reicht das aus?
Wenn man mit Flickschusterei zufrieden ist, kann man sagen: Es ist etwas passiert. Grün-Schwarz hat sich 2016 im Koalitionsvertrag auf ein Stillhalteabkommen verständigt. Unter Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) wurden Reformen, die wir begonnen hatten, nicht weitergeführt – zum Schaden des Bildungssystems und der Kinder. Die Ministerin Theresa Schopper hätte nichts verändert, wenn sie nicht durch eine Elterninitiative zu G9 gezwungen worden wäre. In dieser Situation hätte ich mir mehr Weitsicht gewünscht, insbesondere vom Ministerpräsidenten.
Damals wurde sogar zwischen CDU, Grünen, SPD und FDP über einen „Bildungsfrieden“ verhandelt. Was ging schief?
Die Signale waren positiv. Aber schnell wurde klar, dass Grüne und CDU uneins waren. Deswegen haben sie sich im Hinterzimmer eingeschlossen, um einen Formelkompromiss zu schließen, der nicht zusammenpasst und nicht geeignet ist, die Probleme im Bildungssystem zu lösen. Und wir, SPD und FDP, hätten nur noch die Möglichkeit gehabt, dem Ganzen zuzustimmen. Das halte ich für einen der größten Fehler, den Herr Kretschmann in seiner Amtszeit begangen hat.
Kommen wir zur Wirtschaftspolitik. Was ist Ihre Idee, wie man die Wirtschaft in Baden-Württemberg ankurbeln kann?
Baden-Württemberg hat in den letzten 20 bis 30 Jahren von Globalisierung und offenen Märkten profitiert. Jetzt haben sich die globalen Vorzeichen geändert. In unserem Land stecken aber immer noch so viel Erfindungsreichtum und Fleiß der Menschen, so dass wir auch zukünftig erfolgreich sein können. Wir müssen aber in der Lage sein, Produkte zu entwickeln, die auf dem Weltmarkt erfolgreich sind. Das bedeutet, dass wir Innovationen vorantreiben müssen, etwa durch den Wissenstransfer aus unseren Hochschulen und den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Der Südwesten hängt an der Automobilindustrie, wie wollen Sie diese lösen?
Meine Wahrnehmung ist, dass sich unsere Automobilfirmen zu lange auf die Verbrennertechnologie verlassen haben und wir jetzt in der Antriebswende zur batteriebetriebenen Mobilität einen Rückstand haben. Dann ist es aber nicht in Ordnung, wenn Firmen wie Mercedes nun Arbeitsplätze ins Ausland verlagern und die Beschäftigten die Leidtragenden sind. Ein grüner Verkehrsminister, der bei solchen Nachrichten nur mit den Schultern zuckt, und mitteilt, das schmerze ihn nicht, hilft da wenig.
Was würden Sie tun? Die Möglichkeiten einer Landesregierung sind begrenzt.
Wir müssen mit Unternehmen, Betriebsräten und Gewerkschaften daran arbeiten, die Standortbedingungen zu verbessern. Der Strukturwandel muss durch aktive Industriepolitik gestaltet werden. Dabei dürfen wir nicht einfach zulassen, dass industrielle Arbeitsplätze verloren gehen. Viele, auch konservative Ökonomen sagen, dass der Transformationsprozess so komplex ist, dass die Unternehmen das alleine nicht schaffen. Sie brauchen Unterstützung, Rahmenbedingungen, Bürokratieabbau – aber nicht nur in Sonntagsreden.
War der Umgang mit Parteichefin Saskia Esken nicht würdelos? Auch aus Ihrem Landesverband gab es Kritik.
Ich habe mit Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans immer vertrauensvoll zusammengearbeitet. Die SPD hat sich immer dann selbst geschwächt, wenn sie öffentlich über ihr eigenes Personal diskutiert hat. Deswegen haben Sie von mir dazu keine Äußerung gehört.
Aber Ihr Generalsekretär Sascha Binder hat Saskia Esken öffentlich angegriffen.
Es war richtig, dass intern darüber diskutiert wurde – daran habe ich mich auch beteiligt. Aber öffentliche Diskussionen über Personal haben uns noch nie weitergebracht. Ich bin Saskia Esken sehr dankbar dafür, dass sie die SPD in schwieriger Lage stabilisiert und geführt hat. Aber es ist richtig, dass ein Signal eines Neuanfangs gesendet wurde. Saskia Esken hat erklärt, als Vorsitzende nicht mehr anzutreten. Diese Entscheidung verdient unseren Respekt.
Das Gespräch führte Rafael Binkowski
Zur Person
Andreas Stoch stammt aus Heidenheim, ist Rechtsanwalt und sitzt seit 2009 im Bundestag. von 2011 bis 2016 war er Kultusminister, wurde danach SPD-Fraktionschef. Seit 2018 führt er auch den zuvor völlig zerstrittenen SPD-Landesverband. Zudem ist er seit 2011 Kreisvorsitzender in Heidenheim. Der dreifache Vater ist großer Fan des FC Heidenheim und hat im Mai in der Relegation mitgefiebert, als sich der Club knapp in der Bundesliga halten konnte. Mit dem Trainer Frank Schmidt hat er schon als kleiner Junge Fußball gespielt. Im März 2026 tritt der 55-Jährige voraussichtlich zum zweiten Mal als Spitzenkandidat der SPD im Südwesten an.
