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Dieter Salomon: „Verfahren müssen schneller und einfacher werden“

Dieter Salomon (links) und Margret Mergen mit Chefredakteur Rafael Binkowski beim Gespräch in den Räumen des Staatsanzeigers in Stuttgart.
Achim Zweygarth)
Staatsanzeiger:
Dieter Salomon:
Ich glaube, wir haben inzwischen die Situation, dass der Staat in manchen Teilen nicht nur nicht handlungsfähig, sondern richtiggehend dysfunktional geworden ist. Das hat dazu geführt, dass die Wahrnehmung des Problems größer geworden ist. Das schlägt sich jetzt in der aktuellen Koalitionsvereinbarung nieder. Es gab ja schon häufig solche Initiativen, etwa von Ex-Innenminister Thomas de Maizière, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und Ex-Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle für einen handlungsfähigen Staat. Aber die Resonanz darauf lag bei null. Das ist jetzt anders.Sie wurden in den Ministerien zu Beginn reserviert empfangen, ist das anders?
Margret Mergen:
Ja, ich glaube schon. Es ist allen Beteiligten bewusst, dass die Handlungsfähigkeit, aber auch die Glaubwürdigkeit des Staates geschwunden ist. Die Wahlergebnisse lassen darauf schließen, dass das Vertrauen der Bürger in den Staat deutlich geschwunden ist. Die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass sie diese Vertrauenswürdigkeit in staatliches Handeln wieder herstellen müssen.Nun gilt in Baden-Württemberg eine Genehmigungsfiktion: Alle Baugesuche sind nach drei Monaten automatisch genehmigt. Reicht das?
Salomon:
Es ist immerhin ein Auftakt. Wir haben der zuständigen Landesbauministerin Nicole Razavi von Anfang an den Rücken gestärkt bei ihrem Vorhaben, proaktiv die Verfahren zu vereinfachen. Es gibt bestimmt zehn oder 20 Gründe, warum Bauen teurer geworden ist und damit verunmöglicht wird. Aber einer davon liegt darin, dass die Genehmigungsverfahren zu langsam sind und sich Projekte dadurch verzögern. Zeitgleich haben andere Ministerien derselben Landesregierung noch große bürokratische Vorhaben auf den Weg gebracht. Das haben wir kritisiert und Frau Razavi gelobt. Das ist auch unser Job.Hat die Entlastungsallianz aus Kommunen und Verbänden Erfolg gehabt?
Mergen:
Unbedingt, hier wurden mindestens 450 Beschwerden aus der Wirtschaft und aus der Verwaltung und der Bürgerschaft aufgenommen. Die drei Entlastungsgesetze haben rein quantitativ einiges auf den Weg gebracht. Auch die aktuellen Gesetze greifen das auf. Durch Digitalisierung, mehr Stichprobenkontrolle statt vollständige Kontrolle. Aber gefühlt für den Bürger ist das noch zu kurz gesprungen. Ich hoffe da auf die neue Koalition in Berlin, die einiges in dieser Richtung angekündigt hat.
Salomon:
Ich glaube, dass auch der neuen Bundesregierung klar ist: Das Sondervermögen nutzt nichts, wenn man nicht die Verwaltungen in die Lage versetzt, die Projekte auch umzusetzen. Voraussetzung dafür ist: Es müssen alle Verfahren einfacher und schneller werden. Und da steckt der Teufel im Detail. Etwa beim Klagerecht. Jeder kann gegen alles klagen, egal ob er betroffen ist oder nicht. Sogar ein Verband aus Norddeutschland gegen ein Projekt im Schwarzwald, nur weil es ein Verbandsklagerecht gibt. Das ist doch absurd.Die grüne Seite der Regierung hält an einem Anti-Diskriminierungsgesetz fest. Kommt das Gesetz noch?
Salomon:
Ich halte das sogenannte Gleichbehandlungsgesetz für überflüssig. Ich höre aus der CDU, dass viele dort glauben, dass das Thema eigentlich in der Versenkung verschwunden sei. Es sei denn, man müsse es als Verhandlungsmasse für andere Gesetze einbringen. Aber ehrlich gesagt, das ist alles Spekulation. Wir haben noch elf Monate bis zur Landtagswahl. Ich glaube nicht, dass wir das jetzt auf den letzten Metern der aktuellen Landesregierung noch benötigen.Sie haben sich die den Wildwuchs an Förderprogrammen angeschaut. Das Land wusste nicht einmal, wie viele es gibt. Sehen Sie da Handlungsbedarf?
Mergen:
Das wäre sicher ein Handlungsfeld, das man jetzt schnell angehen müsste. Es gibt schon von den ehemaligen Mitgliedern des Normenkontrollrats sehr gute Vorschläge, wie man die Förderprogramme vereinfachen könnte. Man könnte sogar so weit gehen wie das Land Sachsen, das tatsächlich alle Programme an einer Stelle zentral bündelt, um das Verfahren zu vereinfachen. Und alles beginnt natürlich mit einer digitalen Antragsmöglichkeit. Das ermöglicht einen vorzeitigen Baubeginn, schon bevor alles im Detail geplant sein muss. Oder die Nachweispflicht, dass der Bauherr nicht minuziös über alle Schritte Kostennachweise vorlegen muss. Da reichen Stichproben.Sie haben Ihre Rolle politisch aufgefasst, melden sich öffentlich zu Wort. Müssen Sie unbequem sein?
Salomon:
Wir haben kein Mandat, Parteipolitik zu machen. Das ist aber auch gar nicht unser Punkt. Wir wollen für unsere Themen werben und dabei schon präventiv wirken. Also verhindern, dass Gesetze oder Verordnungen überhaupt erst bürokratisch werden.Können Sie ein Beispiel nennen?
Salomon:
Ja, die Verwaltungsvorschrift Beschaffung. Damit sollte das Vergabewesen des Landes – und indirekt auch der Kommunen – vereinfacht werden. Was dann als Entwurf aus dem Ministerium kam, hat alle erschreckt, inklusive dem Ministerpräsidenten und dem damaligen Chef der Staatskanzlei. Es ist uns in der Folge gelungen, dieses 82-seitige Papier, das wirklich ein Bürokratiemonster war, durch unseren Protest und durch den der Entlastungsallianz, aber auch durch das aktive Eingreifen von Winfried Kretschmann und Florian Stegmann, tatsächlich auf 17 Seiten einzudampfen – und inhaltlich, das ist der entscheidende Punkt – die Bemessungsgrenzen, ab denen ausgeschrieben werden muss, entscheidend anzuheben. Das ist tatsächlich gelungener Bürokratieabbau.Fällt Ihnen noch ein Beispiel ein?
Salomon:
Wir glauben, dass wir beim Landesmobilitätsgesetz sehr stark vereinfachend wirken konnten. Da gab es einige Ideen wie eine neue Behörde zur Kontrolle des Emissionsausstoßes von Busunternehmen. Oder eine Pflicht für jeden Landkreis, Radverkehrbeauftragte zu ernennen. Das war klassisches Gold Plating, also Übererfüllung von Standards von Bund und EU.
Mergen:
Wir wollen Menschen in der Legislative, also Abgeordnete, und die Gesetzesschreiber in den Ministerien für das Thema sensibilisieren. Insofern haben wir auch einen kulturellen Auftrag, eine Änderung des Bewusstseins zu erwirken. Nicht alles, was uns als Ziel in den Kopf kommt, muss auch gesetzlich geregelt werden. Weglassen, vereinfachen, digitalisieren. Wenn die Ministerien künftig in diesen drei Schritten arbeiten, dann wird die Welt schlanker.Das Gespräch führte Rafael Binkowski
Zu den Personen
Dieter Salomon war Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg von 1992 bis 2002, seit 2000 als Fraktionsvorsitzender der Grünen. 2002 wurde er in Freiburg erster grüner Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, später Präsident des Städtetags. Seit 2023 ist er Vorsitzender des Normenkontrollrats. Die Vizevorsitzende, Margret Mergen, ist CDU-Mitglied, war 2009 bis 2014 Erste Bürgermeisterin in Karlsruhe und 2014 bis 2022 Oberbürgermeisterin von Baden-Baden.