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Ein gut gelaunter Winfried Kretschmann übergibt den Stab an Cem Özdemir

Winfried Kretschmann und Cem Özdemir zeigen sich demonstrativ Seite an Seite auf dem Grünen-Parteitag in Ludwigsburg.
dpa/Bernd Weißbrod)
Ludwigsburg. Es ist kein Zufall, dass Ludwigsburg der Ort des Parteitages der Landesgrünen ist. Hier hat Cem Özdemir zum erste Mal den Sprung in den Bundestag gewagt: Weil er in Tübingen seinerseits als Bundestagskandidat nicht zum Zug kam, wich er in die Barockstadt aus, und wurde zwei Mal gewählt. So begann seine Karriere. Die Kreisvorsitzenden Amelie Kalt und Lars Schweizer haben das erste Wahlplakat von damals ausgegraben – und überreichen es dem 59-jährigen Ex-Agrarminister und Ex-Grünenchef.
Die Stimmung ist gut, die Partei hat trotz der schlechten Umfragewerte Lust auf Wahlkampf, und beklatscht schon das Grußwort der örtlichen Baubürgermeisterin Andrea Schwarz mit Jubel – obwohl diese bekennt, seit vier Jahrzehnten SPD-Mitglied zu sein.
Winfried Kretschmann zieht selbstbewusst Bilanz
Es ist aber zunächst Winfried Kretschmann, der voller Elan ans Rednerpult tritt und eine selbstbewusste Bilanz seiner Regierungszeit zählt. Ja, er blickt sogar auf die 45 Jahre zurück, in denen es die Grünen gibt im Südwesten. Die er übrigens mit begründet hat. Genau 16 875 Tage sei das her, sagt er: „Wir haben das Land verändert, und das Land hat uns verändert.“ Die Grünen in Baden-Württemberg seien „schon etwas Besonderes“, man habe immer groß gedacht, aber auch bodenständig und pragmatisch bedacht, wie es umgesetzt werden könne.
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Und dann die gefühlte Stabsübergabe: „So sind wir, und so ist Cem Özdemir!“ Die Botschaft ist klar: Die schier grenzenlose Popularität des Langzeitregenten soll eins zu eins auf den Spitzenkandidaten übertragen werden. 1979 zogen die ersten Umweltschützer als „Sonstige politische Vereinigungen“ in die Kreistage ein, weil es die Partei noch gar nicht gab.
Rückblick auf 45 Jahre Grünen-Geschichte
Im Landtag – so erzählt es Winfried Kretschmann – seien die Grünen immer so aufgetreten, dass sie „am nächsten Tag hätten regieren können“. Ob der Fraktionschef Wolf-Dieter Hasenclever, Birgit Bender, Rezzo Schlauch oder Fritz Kuhn hieß – die Liste zeigt schon, welch breites Tableau von talentierten Rhetorikern die grüne Partei über die Jahrzehnte versammelt hat.
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Dann zieht Kretschmann selbstbewusst Bilanz: Kitaplätze verdoppelt, 1600 Windräder in Planung, eine Million mehr Arbeitsplätze, vier von elf Exzellenzunis im Südwesten, Homosexuelle hätten für die Trauung früher zur KfZ-Zulassungsstelle gehen müssen: „Wir haben das Land voran gebracht!“ Der 77-Jährige, der in den letzten Monaten manchmal müde wirkte, strahlt an diese Abend eine Energie aus, als wollte er selbst noch einmal antreten.
Kretschmann sieht die Politik des Gehörtswerdens als Vermächtnis
Überhaupt, bei Stuttgart 21 habe man in allen Punkten recht behalten – und durch die Politik des Gehörtwerdens habe man die politische Kultur verändert: „Heute werden die Menschen ernsthaft angehört und nicht mit Wasserwerfern weggespritzt.“ Dieser neue Stil gehört für Kretschmann jetzt zu Baden-Württemberg wie „Schiller, Daimler und Maultasche“.
Wie ist der Stand des Rennens?
Und dann inszeniert der gut gelaunte Regierungschef die Staffelübergabe: „Es macht einen Unterschied, wer Ministerpräsident ist. WIr brauchen Erfahrung, Erfahrung, Erfahrung.“ Özdemir sei bodenständig und kenne sich aus auf dem internationalen Parkett. Einen Seitenhieb auf den CDU-Spitzenkandidaten Manuel Hagel verkneift er sich nicht, ohne diesen zu nennen: „Wir brauchen den Meister, nicht den Lehrling. Einen, der keine Anlaufzeit braucht.“
Wer soll das Erbe von Winfried Kretschmann antreten?
Dann greift er Hagels wohl bislang beste Wahlkampfparole auf, wonach sein Erbe in besten Händen sei, und sagt direkt zum „lieben Cem“ auf der Bühne: „Bei dir wäre auch mein Erbe in besten Händen.“ Damit ist der Grundtenor des Wahlkampfes gesetzt: Beide beanspruchen die Nachfolge, nicht nur das Amt, sondern auch die Popularität und Authentizität des Regierungschefs.
Dann erhebt sich der ganze Saal, minutenlanger Applaus. Und Cem Özdemir erweist dem 77-jährigen Urgestein die Referenz: „Du hast uns in 15 Jahren Orientierung geben.“ Kretschmanns Arbeit sei kein Erbe, sondern ein Auftrag, diese Arbeit will er fortführen.
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Betriebsratschef von Daimler Truck setzt politisches Signal
Die Inszenierung ist gelungen, und dann kündigt Özdemir als nächsten Redner Michal Brecht an, den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Daimler Truck. Der erfreut die Delegierten des Parteitags mit der Botschaft: „Wer sich dem Klimaschutz verweigert, kann nicht das Ruder rumreißen, um uns weder aus der Krise zu bringen.“ Auch hier ist die Botschaft der Parteitagsregie klar: Pragmatismus, Dialog mit Arbeitnehmern der Autoindustrie, heraus aus der eigenen Blase. Özdemir will mit der Partei um die Mitte kämpfen, und nicht nur Antipode zur AfD sein.
Kritik am pragmatischen Kurs von Cem Özdemir, der früher bei den Grünen für großen Aufruhr gesorgt hätte, sucht man fast vergebens. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Theresa Fidusek, sagt zwar in ihrer Rede: „Wir müssen grün-linke Ideen im Wahlkampf nicht verstecken, sondern wir müssen für sie werben.“ Doch das Ziel des Ökopartei-Nachwuchses sei, die Wahl zu gewinnen -Das überwiegt. Die Landesvorsitzenden Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller werden mit 76 und 96 Prozent wiedergewählt und erhalten viel Beifall. Geschlossenheit ist das Signal.
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Ob es gelingen kann, die neun Prozent Rückstand auf die CDU aufzuholen? Winfried Kretschmann beschwört die Aufholjagd vor der Wahl 2016: „Damals lagen wir im Dezember sogar 12 Prozent hinten, und hatten am Ende die Nase vorn.“ Die Partei klatscht sich selbst Mut zu, und hat den Glauben an den Sieg am 8. März noch nicht verloren.