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Polizeiaffäre

Innenminister Strobl kann sich nicht erinnern

Erinnerungslücken des Innenministers standen im Mittelpunkt der letzten öffentlichen Zeugenvernehmung im parlamentarischen Polizeiuntersuchungsausschuss.

Thomas Strobl hat wiederholt vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt.

Bernd Weißbrod)

Stuttgart. Zur letzten öffentlichen Zeugenvernehmung im parlamentarischen Polizeiuntersuchungsausschuss war am Montag Innenminister Thomas Strobl (CDU) geladen. Dieser mochte, auch mangels Erinnerung, Aussagen nicht bestätigen, es habe seinem Ziel oder seinen Zielvorstellungen entsprochen, dass Andreas Renner im Herbst 2020 Inspekteur der Polizei wurde. Ohnehin nahm Strobl für in Anspruch, in früheren Vernehmungen, „einmal 15 und einmal neun Stunden“, schon alles gesagt zu haben.

Drei Jahre, 38 Sitzungen, 57 Zeugen: Der Untersuchungsausschuss mit dem komplizierten Langnamen „Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg“ endete so, wie er begonnen hat: mit einer Vernehmung des Innenministers. Vor allem SPD und FDP wollten Strobl mit den Erkenntnissen aus anderen Zeugenvernehmungen konfrontieren. Sogar der CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler führte auf der obligatorischen Pressekonferenz am Ende der Vernehmung, den von ihm geschöpften Begriff „morbus oblivionus” („krankhafte Vergesslichkeit“) ins Feld, nachdem sich der Innenminister häufig auf sein Gedächtnis gerade nicht verlassen konnte.

Hat sich Strobl für Andreas Renner eingesetzt?

Konkret Aussagen gegen Aussage steht in zwei Punkten: Die Obleute von SPD und FDP, Sascha Binder und Julia Goll, konfrontierten Strobl mit den Einlassungen der Landespolizeipräsidentin und des früheren Leitenden Ministerialrats im Innenministerium, Dietrich Moser von Filseck. Diese beiden hatten vor dem Ausschuss angegeben, Strobl habe als „Ziel“ oder „Zielvorstellung“ ausgegeben, Renner zum IdP zu machen. Der Innenminister blieb dagegen bei seiner Darstellung, der Spitzenbeamte sei einer von mehreren Bewerbern gewesen. Er habe sich das vorstellen können, aber keinen Einfluss genommen. Auf Nachfragen fallen Formulierungen wie „Ich erinnere das nicht“ oder „Ich muss den Vorgang mit Nichtwissen bestreiten“.

Das gilt auch für die Weitergabe jenes Anwaltsschreibens in Disziplinarverfahren gegen Renner, dass Strobl vor Weihnachten 2022 einem Journalisten zur Veröffentlichung überlassen hatte. Die Staatsanwaltschaft nahm daraufhin Ermittlungen gegen Unbekannt auf. Mehrere Monate verheimlichte der Innenminister damals, dass er selber dafür verantwortlich zeichnete. Sein früherer Pressesprecher hatte vor den Abgeordneten erklärt, mit der Weitergabe des Briefs habe der Innenminister das Verlangen verbunden, als Quelle geschützt zu sein. Binder versuchte erfolglos, den Widerspruch aufzulösen: Zunächst gab Strobl an, die Frage überhaupt nicht zu verstehen, dann argumentierte er mit fehlender Erinnerung („An solche Details, das habe ich jetzt, glaube ich, fünf Mal gesagt, ich sage es gern noch ein sechstes Mal“).

Naturgemäß unterschiedlich fiel die Bewertung nach dieser letzten öffentlichen Sitzung aus. Während Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand eine wissenschaftliche Aufarbeitung und ein Forschungsvorhaben in Aussicht stellte, um mehr über das Dunkelfeld sexueller Belästigungen bei Polizei und Verwaltung zu erfahren, befassten sich Sascha Binder (SPD) und Julia Goll (FDP) mit dem Verhalten des Ministers grundsätzlich. Die FDP-Obfrau monierte, wie uninteressiert Strobl an Vorgängen in seinem Haus sei. Und das meine ich nicht als Stilkritik“. Die zahlreichen Gelegenheiten, Missstände aufzugreifen und für Aufklärung zu sorgen, habe er „wiederholt ungenutzt verstreichen lassen“. Von einer gelebten Fehlerkultur oder einem substanziellen Reformwillen sei nichts zu erkennen. Und die Liberale nannte auch ein „bezeichnendes Beispiel“: Minister Strobl könne bis heute „nicht einmal sagen, ob A.R. den Titel des Inspekteurs der Polizei aktuell noch führt oder nicht“.

Binder erinnerte den Zeugen daran, dass er in seiner ersten Vernehmung erklärte hatte, er habe alles, was im Innenministerium passiert, zu verantworten, und zwar „persönlich und vollumfänglich“. Dazu, so der SPD-Obmann, passe der Auftritt erst recht nicht. Und er warf Strobl vor, sich nicht ein einziges Mal und trotz zahlreicher Nachfragen an jene Beamtin gewandt zu haben, die „mit ihrem Mut“ den Fall Renner und damit auch den Ausschuss ausgelöst habe. Das Fazit des Sozialdemokraten: „Jeder andere Innenminister wäre schon lange nicht mehr im Amt“ – durch Rücktritt oder Entlassung. Aber davon habe Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) allein aus Gründen des gemeinsamen Machterhalts abgesehen.

Noch in diesem Jahr sollen Empfehlungen beschlossen werden

Rüdiger Klos (AfD) sieht den Ausschuss in „der Endschleife“. In den kommenden Wochen und Monaten steht die Erarbeitung des Abschlussberichts an, oder der Abschlussberichte, sollte es unterschiedliche Bewertungen in den Regierungs- und den Oppositionsfraktionen geben. Nach den Vorstellungen der Vorsitzenden Daniela Evers (Grüne) wird noch in diesem Jahr im Plenum abschließend über die gewonnenen Erkenntnisse diskutiert. SPD und FDP boten ihre Zusammenarbeit an, um zumindest in Teilen zu gemeinsamen Empfehlungen zu kommen.

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