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Verwaltung

Ist das Recht ein wesentlicher Treiber der Bürokratie?

Bürokratieabbau wollen alle. Warum es überhaupt so viele Vorschriften gibt und welche Rolle dabei die EU spielt, war Thema einer Tagung an der Hochschule Ludwigsburg.

Die Rektorin Iris Rauskala setzt die ersten Akzente bei der Tagung an der von ihr geleiteten Hochschule für Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg.

HVF Ludwigsburg)

Ludwigsburg. Wie kann Bürokratieabbau gelingen und gleichzeitig eine rechtsstaatliche Verwaltung gewährleistet bleiben? Ist das Recht Treiber der Bürokratie – und, wenn ja, inwiefern? Das waren am Mittwoch die Leitfragen einer Tagung an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg (HVF).

„Gibt es zu viele oder einfach nur zu viele schlechte Regelungen?“, fragte Iris Rauskala, Rektorin der Hochschule für Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg. Zunächst gelte es, komplexe Verwaltungsverfahren in den Blick zu nehmen. Und den Beitrag der EU zum Aufbau bürokratischer Hürden, weil rund 60 Prozent der Regelungen für Kommunen aus dem EU-Recht kämen, so Rauskala.

Bürokratie ist auch eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel

„Vieles, was wir als Bürokratie empfinden, ist nichts als eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel“, resümierte Staatsminister Jörg Krauss (Grüne) die Erfahrung seiner 49 Jahre im öffentlichen Dienst. Doch nahm er diesen auch in die Pflicht. „Fehlt ein Punkt, wird ein Antrag abgelehnt“, das sei gängige Praxis. Behörden müssten sich aber, vor allem auch mit Blick auf Anliegen von Unternehmen, als „Bestandteil der Lösungsfindung begreifen“. Echte Kommunikation mit Bürgern und Unternehmen reduziere im Übrigen viele rechtliche Probleme. Zwei Dinge schrieb Krauss Führungskräften ins Stammbuch: Es sei deren Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Behörde mit einer Stimme spricht und lösungsorientiert arbeite.

An einer Bestandsaufnahme versuchte sich Andrea Versteyl, die ihre Karriere in Konstanz begann. Sie war zwölf Jahre Mitglied des Nationalen Normenkontrollrats der Bundesregierung und hat als Fachanwältin für Verwaltungsrecht Unternehmen bei Genehmigungsverfahren beraten. „Rechtsanwendung erzeugt immer Aufwand“, sagte Versteyl. Es gehe aber um das richtige Verhältnis von Aufwand und Ertrag. „Ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln ist gefragt“, sagte die Juristin – und daran hapere es in der Tat gewaltig. Regelungsdichte und -tiefe seien derzeit übertrieben. Bürokratieabbau müsse aber bei den Gesetzen selbst ansetzen. Beim Heizungsgesetz der Ampelkoalition etwa habe der Gesetzgeber neben dem Ziel auch die Lösung vorgegeben. Das sei der falsche Weg.

Viele Probleme rührten von der europäischen Ebene her, kritisierte Julius Mihm, Baubürgermeister von Schwäbisch Gmünd. So müsse etwa der Bau einer Kindergarteneinheit für 25 Kinder europaweit ausgeschrieben werden. Das bedeute für eine Kommune Mehrkosten von rund 60 000 Euro und verlängere die Planungszeit um ein halbes Jahr – ein zu hoher Preis für Transparenz und mehr Wettbewerb. Zumal es den in diesem Fall nur pro forma gebe, da ohnehin nur die üblichen örtlichen Kandidaten sich bewerben würden.

Es wundere ihn selbst, wie lange die Kommunen das hingenommen hätten. Doch nun wollten viele Bürgermeister die Ketten der Bürokratie sprengen. Ein Problem sei oft auch die Praxis der Verwaltungsgerichte. „Lappalien bringen hyperkomplexe Rechtsgebilde wie Bebauungspläne zu Fall“, so Mihm. Und selbst Richter klagten über eine „Rechtsschutzversicherungsvollkaskokultur“.

Datenschutz und EU-Recht bremsen die Kommunen oftmals aus

Laut Professorin Judith Klink-Straub vom HVF-Institut für IT und Datenschutzrecht  ist die EU vor Jahren mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) über das Ziel hinausgeschossen. Aktuell sei der KI-Einsatz ein großes Thema. Dabei komme es in EU-Regelungen zu einer Umkehr der Beweislast, ohne dass das gesetzlich geregelt sei. So müssten Unternehmen beweisen, dass keine personenbezogenen Daten dabei verwendet würden. Und die EU habe trotz der Kritik an der DSGVO die Gesetze nicht einfacher gemacht. Es gebe oft Doppelungen von Informationspflichten, IT-Sicherheitsanforderungen und Meldepflichten an Aufsichtsbehörden.

Wirkt das Europäische Recht also als Bürokratietreiber? Die Frage könne er nicht abschließend beantworten, sagte Patrick Wegener, Leiter des Europabüros der europäischen Kommunen und Absolvent der HVF. Er setzt große Hoffnungen in das Omnibusverfahren, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etabliert hat. Es sieht zunächst für Unternehmen Vereinfachungen vor, so etwa gestraffte Regeln für deren Berichtspflichten. Für die Kommunen freilich gibt es dieses noch nicht.

Ganzheitliche Sicht auf das Thema Bürokratieabbau

Mit der Fachtagung Bürokratieabbau will die Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg (HVF) „einen Beitrag leisten, das Thema Bürokratie und Entbürokratisierung systematisch zu ergründen“, wie es bei der HVF selbst heißt. Zum Auftakt der geplanten Reihe geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme und Spurensuche. Dabei setzen sich Wissenschaftler und Experten aus der Praxis mit Teilaspekten von Verwaltung und Recht auseinander.

Teilnehmer im Publikum machen Vorschläge zum Bürokratieabbau. Foto: HVF Ludwigsburg

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