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Kommunen: Wenn Bürgermeister an ihre Grenzen geraten

Wer will überhaupt noch Bürgermeister werden und warum ist das so? Diesen Fragen gingen bei einer Podiumsdiskussion an der Zeppelin Universität fünf junge Rathauschefs nach. Ihr Resümee fiel ernüchternd aus: In den Kommunen gebe es die größte Gestaltungsmacht, doch sie werden zunehmend überfordert.

Heidenheims Oberbürgermeister Michael Salomo (rechts) diskutierte mit Amtskollegen über die Sorgen und Nöten ihrer Arbeit.

Reiner)

FRIEDRICHSHAFEN. Felix Cramer von Clausbruch ist frisch gewählter Bürgermeister von Rietheim-Weilheim, einer knapp 3000 Einwohner zählenden Gemeinde im Landkreis Tuttlingen. Mit einem Bachelor in Politik- und Verwaltungswissenschaften und einer Menge Lebenserfahrung auch in anderen Jobs gilt der 39-Jährige als gut ausgebildeter Rathauschef. Doch die sind inzwischen Mangelware in Deutschland.

Woran liegt das? Und: Was muss sich ändern, damit genügend gute Menschen für die Kommunalpolitik gewonnen werden können? Unter diesem Titel hatte die Zeppelin-Universität in Friedrichshafen fünf Stadtoberhäupter eingeladen – keiner älter als 40 Jahre. Sie stehen für eine neue Generation von Rathauschefs, die ihre Sorgen und Nöte auch laut formulieren.

Die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht

Allen voran Michael Salomo, seit 2021 Oberbürgermeister von Heidenheim sowie Bundesvorsitzender und Sprecher des „Netzwerks junger Bürgermeister:innen“. Mit ihm saßen zwei weitere OBs aus Bayern auf dem Podium: Claudia Alfons war bei ihrem Amtsantritt in Lindau 2020 mit 37 Jahren Deutschlands jüngste Oberbürgermeisterin. Aktuell ist es Jan Rothenbacher, der seit wenigen Wochen OB in Memmingen ist. Die Runde komplettierte Wolfram Bernhardt, seit 2019 Bürgermeister von Adelsheim, der wie Felix Cramer von Clausbruch Alumni der Zeppelin-Universität ist.

Was aus seiner Sicht schiefläuft, brachte Bernhardt auf den Punkt. Er zitierte aus dem Positionspapier, das der Gemeindetag 2022 verabschiedet hat. „Die Belastungsgrenze in den Rathäusern ist erreicht.“ Die Kommunen befänden sich im Dauerkrisenmodus. Allein den Ist-Zustand zu sichern, sei ein Kraftakt. Geltende Rechtsansprüche seien nicht mehr erfüllbar. Man brauche eine „ernsthafte Aufgaben- und Standardkritik“, heißt es darin.

Während die Politik in Berlin Großprojekte wälze, werde es in den Kommunen konkret, erklärte Jan Rothenbacher, der vier Jahre lang Inhouse-Berater im Bundesverteidigungsministerium war. „Da werden von der Bundespolitik Erwartungen geweckt, und die Kommunen sollen es machen.“ Nirgends sei die Gestaltungsmacht so groß wie in den Städten und Gemeinden. Doch Berlin versuche, über Fördertöpfe die Kommunen zu lenken. „Wir wissen selber, wo wir das Geld brauchen“, so der OB von Memmingen.

Gemeindetag fordert klare Kommunikation

Der Landesvorstand des baden-württembergischen Gemeindetags beschloss ein Positionspapier mit klarer Botschaft: Nötig sei eine ehrliche Aufgaben- und Standardkritik. Dafür könne etwa eine Kommission unter kommunaler Beteiligung installiert werden. Die Gemeinden fordern auch eine neue Definition der Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen und eine klare Kommunikation mit Bürgerschaft und Wirtschaft, was vom Staat verlässlich geleistet werden kann – und was nicht mehr.

In die gleiche Kerbe schlug Michael Salomo. Immer öfter greife die Bundespolitik in Aufgaben ein, für die die Kommunen zuständig sind. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch die Hintertür zum Zentralstaat werden“, sagte Salomo. Genau genommen brauche es im Bundesrat eine dritte Kammer, die die kommunalen Interessen vertrete.

Die Rathäuser hätten bereits mit immensen Herausforderungen zu kämpfen. „Im Großen und Ganzen läuft es. Die Frage ist nur, wie lange noch“, so Salomo. So treibt die Digitalisierung die Verwaltungen vor sich her. Entscheidungswege würden immer länger, was auch am Drang zur Bürgerbeteiligung liegt, die „Projekte oft bremst statt schärft“. Offene Stellen lassen sich immer schwieriger besetzen, immer weniger Menschen fürs Ehrenamt gewinnen, was gerade in den Kommunen unverzichtbar sei.

Kein Wunder: Die Ansprüche der Bürger haben sich geändert wie die Streitkultur. „Oft wird die sachliche mit der politischen Ebene vermischt“, so Salomo. Wer im Licht der Öffentlichkeit steht, müsse auch damit fertig werden, dass er angespuckt wird oder die Reifen an seinem Auto zerstochen werden. Politik fürs Gemeinwohl sei mehr als „die Summe von Einzelinteressen“.

Jeden Tag aufstehen, um die Welt zu retten

Und trotzdem machen die fünf Rathauschefs ihren Job gern, werben bei den ZU-Studenten darum, sich selbst auf dieses „Spielfeld vor Ort“ zu begeben. „Hier geht es direkt an den Ball, hier wird es konkret“, so Claudia Alfons. Genau deshalb sollte jeder Berufspolitiker in spe „erst einmal auf den Bolzplatz und sich hier dreckig machen“, schlug Felix Cramer von Clausbruch vor.

Der Adelsheimer Bürgermeister hat eine ganz eigene Antwort darauf gefunden, warum er sich den Job als Bürgermeister antut. „Weil es das Beste ist, was man machen kann und ich jeden Tag mit dem Anspruch aufstehe, die Welt zu retten.“

Quelle/Autor: Katy Cuko

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