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Wo baden-württembergische Richter auch nachts und auf Englisch verhandeln

Die Vorsitzenden Richter am Commercial Court und den Commercial Chambers: Thomas Klink, Patrick Melin und Alexander Schumann (von links) erläutern die neue Gerichtsbarkeit im Land. Foto: Wolfgang Kuhnle
Stuttgart. Schon der Standort unterscheidet den Commercial Court von anderen Gerichten im Land. Statt in einem in die Jahre gekommenen Justizgebäude arbeiten die Richter in einer Etage eines modernen Bürohauses nicht weit vom Stuttgarter Flughafen.
Und auch im Inneren erinnert wenig an traditionelle Gerichtssäle, vom Landeswappen über der Richterbank einmal abgesehen. Die neu gestalteten Räume sind technisch bestens ausgestattet, erlauben Videokonferenzen und Tonaufzeichnungen für Wortprotokolle. Und jeder Sitzungssaal hat zwei direkt angrenzende Besprechungsräume, damit sich die Streitparteien bei Bedarf für interne Erörterungen zurückziehen können.
Verfahren dauern halb so lange wie normale Zivilverfahren
Für Justizministerin Marion Gentges ist der neue Commercial Court Baden-Württemberg ein Angebot an die heimische Wirtschaft, bei juristischen Auseinandersetzungen auf deutsches Recht und die ordentliche Rechtsprechung zu setzen. Doch die sei für viele international tätige Unternehmen bisher nicht attraktiv gewesen. In Verträgen würden deshalb häufig ausländische Gerichte oder private Schiedsgerichte als Instanzen für eine Streitbeilegung vereinbart.
An diesen Vorbildern orientiert sich zum Teil auch der Commercial Court, der am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart angesiedelt ist. „Wir haben Verfahrenselemente aus der Schiedsgerichtsbarkeit übernommen“, erläuterte Thomas Klink, Vorsitzender der 49. Zivilkammer und Commercial Chamber am Landgericht Stuttgart, als der Court in dieser Woche bei einem „Praxistalk Wirtschaft und Justiz“ vorgestellt wurde. Die drei dort angesiedelten Kammern sind die erste Instanz für kleinere Verfahren. Ab einem Streitwert von 500 000 Euro können sich die Kläger auch direkt an den Commercial Court beim OLG wenden, der über zwei spezialisierte Senate verfügt.
Verfahrensablauf wird vor dem Beginn abgesprochen
Ein Element, das die Stuttgarter Richter übernommen haben, ist die „Case Management Conference“. In diesem Vorgespräch wird zwischen den Parteien und dem Gericht der Verfahrensablauf besprochen, um ihn für alle Beteiligten möglichst effizient zu gestalten. Denn im Interesse der Unternehmen sollen diese rascher abgeschlossen werden als bei Zivilrechtssachen derzeit üblich.
Weil Baden-Württemberg Vorreiter im Bund war und das Modell des Commercial Courts schon seit vier Jahren getestet hat, gibt es auch Erfahrungswerte. Bislang habe man 800 Verfahren behandelt, von denen über 600 bereits abgeschlossen seien, erläuterte OLG-Präsident Andreas Singer. Durchschnittlich hätten die Verfahren sechseinhalb Monate gedauert, das sei die Hälfte der Zeit, die Zivilverfahren in der Regel benötigten. Und nur in zehn Prozent aller Fälle seien Rechtsmittel eingelegt worden.
Nur für Gesellschaftsrecht und Unternehmenskäufe zuständig
Auch an anderen Stellen kommt die Justiz den Bedürfnissen der Wirtschaft entgegen. So können die Verfahren von den Schriftsätzen über die mündliche Verhandlung bis zum Urteil in Englisch durchgeführt werden, wie Patrick Melin erläuterte. Er leitet einen der beiden Senate des Commercial Court. Und wenn es notwendig ist, werde auch nachts verhandelt, um auf Prozessbeteiligte aus dem Ausland und die Zeitverschiebung Rücksicht zu nehmen.
Die Senate und Kammern des neuen Gerichts sind bislang nicht für alle zivilrechtlichen Wirtschaftsstreitigkeiten zuständig, sondern konzentrieren sich auf zwei Rechtsbereiche: das unternehmerische Gesellschaftsrecht und die Käufe und Verkäufe von Unternehmen oder Unternehmensanteilen. Da sei der Bedarf am größten, sagte Singer. Klagen in anderen Rechtsgebieten werden wie bisher von den normalen Zivilkammern für Handelssachen behandelt.
Lob aus der Wirtschaft
In der Wirtschaft wird die Neuaufstellung der Justiz in Teilen des Wirtschaftsrechts grundsätzlich begrüßt. „Der Commercial Court vereint Rechtsstaatlichkeit mit Effizienz“, erklärte der Präsident der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, Claus Paal. Und von Rechtsanwaltsseite kam bei einer Podiumsdiskussion sogar höchstes Lob: „Es ist schon großes Kino, was Sie hier in Baden-Württemberg hinbekommen haben“, meinte der Stuttgarter Rechtsanwalt und Experte für Gesellschaftsrecht und Unternehmenstransaktionen, Peter Mailänder.