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Rathaus in Bad Waldsee: dem Himmel näher als das Schloss

Zu Kaiserzeiten hatte die Stadt Bad Waldsee viele Rechte und Privilegien, um sich selbst verwalten zu können. Der Bürgermeister durfte sogar Todesurteile fällen. Das ehemalige Richterzimmer, in dem diese Prozesse von statten gingen, ist heute das Büro des Bürgermeisters.

Das Rathaus in Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg).

Brigitte Göppel)

BAD WALDSEE. „Von der Prachtentfaltung ist es eines der ganz herausragenden Rathäuser in Süddeutschland“, schwärmt der Leiter des Stadtarchivs Michael Wild über das Rathaus in Bad Waldsee. Das Gebäude wurde im Jahr 1426 unter dem Bürgermeister Ulrich Kudrer erbaut. Es imponiert sowohl mit seinen architektonischen Besonderheiten, als auch mit seiner bedeutenden Historie.

An der Vorderseite des Gemeindezentrums befindet sich eine Altane mit einem riesigen Schmuckgiebel aus der späten Gotik. In der frühen Neuzeit thronte darauf das Abbild des Erzengels Michael. Im 19. Jahrhundert wurde dieser dann durch eine Figur der Justitia ersetzt, welche die bedingungslose Gerechtigkeit verkörpert. Heute steht das restaurierte Original in einer großen Vitrine vor dem Zimmer des Bürgermeisters. Eine Replik wurde wieder auf dem Giebel angebracht.

Die Justitia auf dem Rathaus in Bad Waldsee. (Foto: Brigitte Göppel)

Hexenprozesse im Gerichtssaal des Gemeindehauses

Zudem ist im heutigen Zimmer des Gemeindeoberhaupts noch ein Lavabo zu finden. Das ist ein jahrhundertealtes kleines Waschbecken mit einem Zinnwassertank an dem sich der Richter nach Todesurteilen rituell reinwusch. Dabei handelte es sich nur nicht um „gewöhnliche“ Verurteilungen, sondern um Urteilsvollstreckungen von Hexen. Mehr als 50 Hexen wurden in der Stadt im Landkreis Ravensburg verbrannt. Der Hexenwahn brach besonders früh in Südwestdeutschland aus. Das hatte schlichtweg geographische Gründe, da die Hexenverfolgung in der Schweiz ihre Anfänge hatte.

Neben dem Richtersaal, der heute vom Bürgermeister genutzt wird, gibt es den großen Sitzungssaal in gotischer Ausgestaltung und einen alten Lastenaufzug, der früher wegen dem Kornspeicher auf dem Dachboden gebraucht wurde. Renovierungen des Hauses gab es bereits im 19. Jahrhundert. Davor habe es sicher auch noch einige gegeben, so Wild. Auch in den vergangenen Jahren dieses Jahrhunderts wurde das Gebäude renoviert. So wurde im Juli 2019 das Dachgebälk saniert und ein Jahr später wurden die Sanierungsarbeiten an den seitlichen Fassaden und dem Schaugiebel fortgesetzt. Interessant sei, dass dabei hin und wieder alte Gegenstände auftauchen, die sich in den Dachgaupen verstecken.

Malerarbeiten an der Rathausuhr. (Foto: Brigitte Göppel)

Viele Entscheidungsrechte lagen beim Bürgermeister

Zunächst war die Stadt Privatbesitz des Kaisers, was sie zum Besitz der Habsburger machte – einem bekannten Fürstengeschlecht dieser Zeit. Da Bad Waldsee fern von deren Herrschaftsschwerpunkten lag und allgemein eine tendenziell kleinere Stadt war, übertrugen die Habsburger viele Rechte und Privilegien an den Rat und den Bürgermeister, um sich Arbeit zu sparen. Dadurch durften diese zum Beispiel entscheiden, wer in der Stadt wohnt. Die Blutgerichtbarkeit war ebenfalls bei der Stadt.

Der Kampf um die Herrschaft über die Stadt spielte sich zwischen der Stadt, also dem Rat und dem Bürgermeister, dem Augustiner Herrenchorstift und der lokalen Adelsfamilie ab. Letztere waren die Erbtruchsesse von Waldburg. Als der Kaiser Schulden hatte, verpfändete er die Stadt an diese. Als Reaktion darauf, baute die Gemeinde unter Kudrer das Rathaus, das höher als das Schloss ragte. Den Verlust der Macht an den Adel quittierte man somit mit dem riesigen Rathaus als Symbol des Bürgerstolzes.

Heute bildet das Rathaus den historischen Kernbereich der Stadt. Gegenüber befindet sich das Kornhaus, welches früher nicht nur ein Lagerhaus, sondern eine große Getreidebörse war. Schräg hinter dem Kornhaus ist das Spital zum heiligen Geist, welches die gute Stube der Stadt ist.  

In der „Serie Rathäuser“ stellen wir eine kleine Auswahl an Rathäusern vor, die architektonisch oder geschichtlich besonders interessant sind.

Quelle/Autor: Leonie Haug

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