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„Schon jetzt gibt es massive Widerstände gegen die Verpackungssteuer“

Zunächst hätte dich der parteilose Oberbürgermeister von Freiburg, Martin Horn, eine Verpackungssteuer für Freiburg vorstellen können. Doch dann schränkten Gerichte deren Gestaltung so ein, dass er davon abkam.
Isabelle Godbillon)Staatsanzeiger: In Konstanz wurde auf das Auto des Oberbürgermeisters mit einer Parole gegen die dort geltende Verpackungssteuer beschmiert. Haben Sie das auf Ihrem Auto auch erlebt?
Martin Horn: Nein, ich besitze gar kein privates Auto, und unsere Verpackungssteuer kommt erst zum Jahreswechsel. Aber bei aller Ablehnung und der zum Teil auch verständlichen Kritik zur Steuer: Das Eindringen in die Privatsphäre einer gewählten Person wie meines Konstanzer Amtskollegen Uli Burchardt ist ein absolutes ein No-Go.
Die Verpackungssteuer hat das Potenzial zur Polarisierung.
Das hat sie, und auch deshalb habe ich dagegen gestimmt. Und meiner Meinung nach ist jetzt zudem der falsche Zeitpunkt. Wir haben stark gestiegene Essenspreise und eine politisch angespannte Stimmung im Land. Es gibt schon jetzt massive Widerstände aus der Gastronomie und den Verbänden. Und nicht für alle Speisen gibt es eine gute Mehrweglösung, dafür aber einen deutlichen bürokratischen Mehraufwand. Ein Beispiel: Nur für die Steuereinführung sind drei neue Stellen in unserer Kämmerei geplant für die erwarteten vier Millionen Mal, die die 50-Cent Steuer abgerechnet werden. Das ist das Gegenteil von Entbürokratisierung.
Wie wollen Sie dieses Polarisierungspotenzial abbauen?
Wir haben ein sehr enges Zeitkorsett für die Verpackungssteuer beschlossen. Uns steht nicht mal ein Dreivierteljahr zur Verfügung, um mit den Betrieben, Verbänden und der Öffentlichkeit zu kommunizieren und intern alles vorzubereiten. Wir gehen aber mit ausgewählten Betrieben in eine Pilotphase, um die Steuer der Bevölkerung und den Betroffenen danach möglichst gut zu erklären.
Was wollen Sie denn kommunizieren?
Wir haben mit der Verpackungssteuer auch eine Mehrwegoffensive beschlossen, die wir als Verwaltung eingebracht haben. Sie umfasst etwa ein stadtweites und einfaches Mehrwegsystem. Dafür wird eine Spül- und Transportlogistik aufgebaut. Wir fördern Unternehmen bei den nötigen Anschaffungen. Das müssen wir so klar rüberbringen, damit möglichst viele mitmachen. Auch ohne die Verpackungssteuer ist mehr Mehrweg ein Vorteil in dieser Stadt. Über das Ziel, mehr Sauberkeit im öffentlichen Raum, sind wir uns einig. Aber der Weg dorthin wird unterschiedlich gesehen. Ich bin für die Mehrwegoffensive, aber klar gegen die Einführung einer neuen Steuer.
Die Verpackungssteuer forciert aber die Mehrwegnutzung und adressiert diejenigen, die den Müll produzieren.
Der Wunsch nach einer sauberen Stadt ist ja legitim. Kein Mensch braucht To-go-Becher und Unmengen an Plastikmüll. Andererseits verteuern wir bestimmte Speisen wie Döner oder Pizza, für die praktikable Mehrwegverpackungen fehlen. Das geht bis zum Catering von Hochzeiten. Dafür fehlt die Akzeptanz und ich befürchte, dass wir den politischen Frust in Teilen der Bevölkerung deutlich verschärfen.
Zuerst hatten Sie die Steuer befürwortet, warum der Sinneswandel?
Ich war früher offen für die Steuer. Mich überzeugen aber Erfahrungen anderer Städte nicht. Tübingen startete mit einer Steuerobergrenze von 1,50 Euro, Familien mussten daher nie die volle Summe bezahlen, wenn jeder etwas essen wollte. Obergrenzen passen aber nicht zu Verbrauchssteuern auf Verpackung und so haben sie Gerichte kassiert. Daraufhin habe ich meine Meinung geändert.
Sie müssen eine Steuer einführen, die Sie ablehnen. Wie gehen Sie damit um?
Die Verpackungssteuer wurde mit einer knappen demokratischen Mehrheit entschieden, deswegen ist es für mich überhaupt keine Frage, dass sie jetzt auch gut umgesetzt wird. Es ist für mich persönlich eine schwierige Situation, weil ich mich deutlich gegen die Steuer positioniert habe und glaube, dass bei der Abwägung aller Argumente die Nachteile klar überwiegen. Eine knappe Mehrheit hat im Haushalt Mehreinnahmen von zwei Millionen Euro ab 2026 eingestellt und teils schon für andere Ausgaben verplant. Andererseits werden die Freiburgerinnen und Freiburger ab dem 1. Januar wohl nicht die Ratsfraktionen oder Stadträte für die Steuer kritisieren, sondern die Stadt und damit mich an der Spitze. Ich stehe zur Nachhaltigkeit, aber man sollte bei der Verpackungssteuer Kosten und Nutzen bedenken. Mir macht die Einführung wegen der politischen Stimmung vor Ort Sorgen. Aber die Umsetzung von getroffenen Entscheidungen ist Teil meiner Aufgabe und von grundlegender Bedeutung in unserem Rechtsstaat und einer lebendigen Demokratie .
Das kann auf Sie persönlich zurückschlagen, da Sie 2026 wieder als Oberbürgermeister antreten.
Wir haben im März die Landtags- und wohl im April die OB-Wahl. Ich habe mich klar gegen eine Verpackungssteuer verortet, und setze jetzt Mehrheitsmeinung im Rat um. Aber klar ist auch, dass wir die Rückmeldung aus der Bevölkerung zur Steuereinführung genau beobachten. Wir werden sehen, ob die Verpackungssteuer ein Erfolg ist oder ob der Gemeinderat die Entscheidung nachjustiert. Unabhängig davon ist die Mehrwegoffensive für Freiburg richtig.
Steht das Mehrweg-Konzept bis zur Einführung der Steuer im neuen Jahr?
Es gibt vier Bausteine, die lokale Mehrweg-Logistik, das Förderprogramm, eine Kampagne und mehr Mehrweg bei unseren eigenen städtischen Veranstaltungen. Das wollen wir bis zum Jahreswechsel schaffen. Gleichzeitig müssen die drei Stellen in der Stadtkämmerei erst einmal ausschreiben und besetzen. Wir müssen also einige Hürden nehmen.
Anderes Thema: Der Stadtteil Dietenbach wird die größte Baustelle Freiburgs . Wann ist das ein Erfolg, mit dem Sie sich bei der OB-Wahl bewerben können?
G erade haben wir das Fest für alle in Dietenbach gefeiert, bei dem sich rund 4000 Besucher informiert haben. Das Interesse am neuen Stadtteil ist groß. Wir in Freiburg sind eine weltoffene und internationale Stadt in einer wunderschönen Lage. Uns fehlt aber preiswerter Wohnraum. Hier müssen wir aufpassen, dass die soziale Gerechtigkeit nicht noch weiter kippt. Wir haben deshalb seit meinem Amtsantritt die aktive Liegenschaftspolitik intensiviert und rund zwei Millionen Quadratmeter zurückgekauft. Satzungen verhindern die Gentrifizierung. Die Freiburger Stadtbau mit ihren 10 000 Wohneinheiten betreibt ihre größte Bau-Offensive mit alleine 1000 neuen Wohnungen, die derzeit im Bau sind. Bis 2030 sollen 2500 neue Einheiten entstehen. Dafür nehmen wir 752 Millionen Euro in die Hand, ein Riesenbetrag.
Können Sie garantierten, dass die Wohnungen günstig werden?
Es war eine Freude, dass Bundeskanzler Olaf Scholz den ersten Spatenstich in Dietenbach gemacht hat. Die Einladung war aber ehrlicherweise nicht ganz uneigennützig. Wir möchten Fördergelder von rund 400 Millionen Euro in den Stadtteil lenken, um die Hälfte der 6900 Wohnungen sozial zu fördern. Das kommt weiten Teilen der Bevölkerung zugute, denn davon profitieren auch Haushalte mit mittleren Einkommen. Die einschlägigen Onlineportale zeigen, dass es praktisch keinen Mietwohnungsmarkt in Frei burg gibt. Das müssen wir ändern.
Zur Person
Seit 2018 ist der parteilose Martin Horn Oberbürgermeister von Freiburg. Damals siegte er im zweiten Wahlgang gegen den grünen Amtsvorgänger Dieter Salomon. Der 40-jährige Horn hat internationale Soziale Arbeit sowie Politik studiert. Sein Studium führte ihn auch an Universitäten in Afrika und den ehemaligen Ostblock. Horn ist Social-Media-affin, was er bereits in seinem von der SPD unterstützten Wahlkampf gezeigt hat. 2020 machte der Vater von drei Kindern seine Diabetes-Krankheit öffentlich.