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Rodung von Obstbäumen: Weil der Stadt macht Naturschützer fassungslos

Die Umweltministerin ist irritiert, der Nabu und der BUND sind empört. Das Fällen von Obstbäumen für ein neues Baugebiet in Weil der Stadt sorgt für viel Kritik. Bürgermeister Christian Walter rechtfertigt das Vorgehen der Kommune.

Innerhalb von zwei Stunden wurden am Montag in Weil der Stadt 120 alte Obstbäume gefällt.

Nabu BW)

Weil der Stadt. Johannes Enssle wirft dem Bürgermeister der Keplerstadt ein grobes Foulspiel vor. 120 Bäume von 142 Bäume seien am Montagmorgen ab 8 Uhr in nur zwei Stunden gefällt worden. „Das ist sehr ungewöhnlich, dass das so schnell geschieht“, betont der gelernte Förster und Vorsitzende des Naturschutzbunds Baden-Württemberg. Mehrere Motorsägen und Bagger seien im Einsatz gewesen.

Seit Freitag ging es in der rund 20 000 Einwohner Stadt im Kreis Böblingen Schlag auf Schlag. Kurz vor dem Wochenende entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart, die Klage von BUND und Nabu gegen den Antrag der Stadt auf Sofortvollzug zur Rodung abzuweisen. Die Verbände hätten schon im Vorfeld klargemacht, dass sie im Falle einer Ablehnung vor den Verwaltungsgerichtshof ziehen werden. Das hätten sie dem Anwalt der Stadt auch noch am Freitag mitgeteilt, aber niemanden in der Kanzlei erreicht.

Als am Montag endlich die Zwischenverfügung des Verwaltungsgerichtshofs da war und die Arbeiter abrückten, fanden die Naturschützer nur noch 20 lebende Obstbäume vor.

Entscheidungen in Eilrechtsverfahren liegen in sehr kurzer Zeit vor

Streuobstwiesen sind immer wieder Anlass für Streit zwischen bauwilligen Kommunen und den Verbänden, der regelmäßig vor den Verwaltungsgerichten landet. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) verweist auf die Vereinbarung zwischen den Kommunalverbänden und ihrem Ministerium, wonach man bei solchen Angelegenheiten transparent vorgehen wolle. Ziel sei, dass eine gerichtliche Überprüfung im Eilrechtsverfahren stattfindet – bevor Fällungen Fakten schaffen. Entscheidungen in solchen Eilrechtsverfahren würden in sehr kurzer Zeit vorliegen.

Die Stadt habe laut Enssle ein Zeitfenster genutzt, in dem es „formaljuristisch in Ordnung war zu roden“. Nabu und BUND kritisieren immer wieder, dass zu viele Streuobstwiesen zu Bauland werden , obwohl diese gesetzlich geschützt seien . Laut Paragraf 33a Naturschutzgesetz sollen die Obstbestände mit einer Fläche von mehr als 1500 Quadratmetern erhalten werden, sofern dies im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt. Kommunen argumentieren regelmäßig mit Wohnraumbedarf, den sie aber stichhaltig nachweisen müssen.

Walter: „Es gab keinen Grund nochmals zu warten“

Doch laut Enssle habe die Stadt nicht alles getan, um Leerstände und brachliegende Grundstücke zu aktivieren und so Alternativen zum Bau auf der Wiese zu schaffen. Das Landratsamt in Böblingen hätte die Pläne nicht genehmigen dürfen. Zudem habe die Stadt die vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen nicht richtig umgesetzt.

Warum hat die Stadt so schnell Fakten geschaffen? Bürgermeister Christian Walter (parteilos) verweist auf die kurze Zeit, in der die Bäume gefällt werden dürfen. Dies sei nur von November bis Jahresende möglich. Im kommenden Jahr hätte die Gemeinde weitere Gutachten gebraucht. Er verweist zudem auf die umfassende Überprüfung und Entscheidung des VG Stuttgart vom Freitag, das auf über 40 Seiten festgestellt habe, dass das öffentliche Interesse am Wohngebiet überwiege und der Sofortvollzug der Streuobstgenehmigung rechtmäßig sei. „Für uns war das Urteil klar. Es gab keinen Grund nochmals zu warten.“ Die Naturschutzverbände wüssten um die Fristen, die für die Stadtverwaltung gelten. Walter hat „keinen Grund zur Annahme, dass das VG-Urteil vor dem VGH keinen Bestand haben wird“.

Laut den Naturschutzverbänden habe die Stadt von Anfang an gewusst, dass sie Beschwerde gegen das Urteil einlegen würden, zumal der Gemeinderat erst am Dienstag den Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan verabschiedete.

„Für uns sind ausschließlich die Beschlüsse der Gerichtsbarkeit maßgeblich. Am Freitag lag der bestätigende Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgarts vor; der Beschluss des VGHs erging erst am Montag“, betont dagegen der Rathauschef.

Bürgermeister: „Sie wollen ein Exempel statuieren“

Nach dem Fällen der Obstbäume hatten Medien landesweit über das Vorgehen der Stadt berichtet. Walter berichtet von sehr viel Zuspruch aus der Bevölkerung, endlich das Baugebiet umzusetzen nach all den Jahren. „Es ist eher ein Thema auf Landesebene der Naturschutzverbände. Sie wollen ein Exempel statuieren“, sagt der 34-jährige Bürgermeister, der seit vier Jahren die Verwaltung leitet.

Walter spricht von „alternativen Wahrheiten“, die die Naturschutzverbände anführen würden. Dass es sich um hochwertige Streuobstflächen handelte, bestätigt er. Die Stadt betont aber, dass den gefällten Bäumen 284 gepflanzte Obsthochstämme im Abstand von maximal vier Kilometern gegenüberstehen würden. „Mir ist der Erhalt unserer Streuobstwiesen sehr wichtig. Wenn die Naturschutzverbände allerdings hier vom Wegfall eines Streuobstbestandes sprechen, dann ist das eine Irreführung der Öffentlichkeit“.

Wohnbau auf der Obstwiese

Den Aufstellungsbeschluss für das Neubaugebiet in Weil der Stadt hat der Gemeinderat 2017 gefasst. Geplant sind nach Angaben der Stadt: 37 Einfamilienhäuser, 14 Doppelhaushälften, fünf Reihenhäuser und 27 Mehrfamilienhäuser mit 290 Wohnungen für insgesamt rund 800 Bewohner. Auch ein Nahversorger, eine Kita und ein Hotel sind geplant. „Häugern Nord“ umfasst 10,5 Hektar, davon 6,9 Hektar ökologisch wertvolle Streuobstwiesen und 2,8 Hektar FFH-Flachlandmähwiesen, so der Nabu. In Weil der Stadt gibt es nach Schätzungen der Verwaltung insgesamt 168 Hektar Streuobstflächen.

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