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Der XXL-Landtag oder: Sage keiner, er habe es nicht gewusst

Der Plenarsaal im Landtag von Baden-Württemberg bietet Platz für bis zu 170 Abgeordnete.
dpa/Bernd Weißbrod)Nein, unmöglich ist es nicht, dass am Ende doch noch alles gut wird. Doch wahrscheinlicher ist, dass die Verantwortlichen am 9. März mit einem gehörigen Kater aufwachen. Weil der neue Landtag, der am 8. März gewählt wird, buchstäblich aus allen Nähten platzt . Sage keiner, er habe es nicht gewusst.
Derzeit hat der Landtag 154 Abgeordnete und damit 34 mehr als die gesetzliche Mindestgröße. Weitere 16 Abgeordnete würden noch in den Plenarsaal passen. Alles, was darüber hinausgeht, müsste auf die Besuchertribüne ausweichen.
Die einen im Plenarsaal, die anderen auf der Besuchertribüne
Aktuelle Prognosen gehen von bis zu 220 Abgeordneten aus. Das würde bedeuten, dass 50 Volksvertreter, also beinahe jeder Vierte, den Debatten von oben folgen müssten, wo man zwar den besseren Überblick hat, aber doch nicht so richtig dabei ist. Dieses Gefühl kennen viele Abgeordnete schon: Während der Corona-Pandemie mussten sie auf die Tribüne ausweichen, weil unten im Plenum jeder zweite Sitz gesperrt war.
Dazu kämen die Mehrkosten. Der Steuerzahlerbund beziffert sie auf 1,6 Millionen Euro pro Abgeordneten und Legislaturperiode. Der Landesrechnungshof kommt auf 197 Millionen Euro insgesamt.
Nun darf Demokratie auch etwas kosten. Wenn dabei ein Parlament herauskommt, das die Bevölkerung besser repräsentiert, wenn der Anteil der Frauen, der Menschen mit Migrationshintergrund und anderer bislang unzureichend vertretener Gruppen steigt, wäre viel gewonnen.
Doch einerseits ist keineswegs garantiert, dass der neue Landtag diverser und vor allem weiblicher wird. Schon heute ist die Grünen-Fraktion nahezu paritätisch besetzt. Es geht also auch mit dem bisherigen Ein-Stimmen-Wahlrecht. Gleichzeitig ist auch mit dem neuen Zwei-Stimmen-Wahlrecht nicht garantiert, dass der Frauenanteil steigt. Auf der Landesliste der AfD stehen auf den Plätzen 1 bis 28 neben 25 Männern nur drei Frauen.
Mehr Abgeordnete bedeuten nicht automatisch mehr Demokratie
Und zum anderen führt ein Mehr an Abgeordneten nicht automatisch zu einem Mehr an Demokratie. Stattdessen droht ein Mehr an Selbstbeschäftigung. Das lässt sich jetzt schon bei der größten Landtagsfraktion beobachten. Die Grünen können gar nicht alle 57 Abgeordneten mit gewichtigen Posten ausstatten. Kein Wunder, dass sie sich auch einen Sprecher für Lärmschutz und einen Sprecher für Fuß- und Radverkehr leisten – Funktionen, die die anderen Fraktionen gar nicht kennen.
Auch fällt es schwer, zu erklären, warum ein Bundesland mehr Volksvertreter braucht als ein souveräner Staat wie Israel mit seinen 120 oder die Niederlande mit ihren 150 Abgeordneten. Zumal die sich auch mit Außen- und Verteidigungspolitik beschäftigen, Themen, für die in Deutschland der Bund zuständig ist.
All diese Argumente liegen auf dem Tisch und doch ist die Nagelprobe nicht mehr abzuwenden. Alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen, wohl auch vor dem Hintergrund, dass unter Grün-Schwarz schon einmal eine Wahlrechtsreform gescheitert ist. 2018 hatte die CDU-Fraktion rebelliert. 2022 wollte man sich nicht noch einmal die Blöße geben. Und nun ist es zu spät.
Kritiker haben rechtzeitig Alarm geschlagen
Dabei haben jene, die die Gefahr eines XXL-Landtags erkannt haben, beizeiten Alarm geschlagen. Die FDP hat zunächst eine Reduzierung von 70 auf 60, später auf 38 Wahlkreise gefordert. Damit ließe sich, das sagen alle Fachleute, das Problem in den Griff bekommen. Doch das entsprechende Volksbegehren könnte allenfalls Auswirkungen auf die Landtagswahl 2031 haben. Im Moment sieht es allerdings eher danach aus, als sollte der Vorstoß mangels Unterstützerunterschriften scheitern.
Immerhin stehen Andreas Schwarz und Manuel Hagel, die Vorsitzenden der beiden Regierungsfraktionen, bereit, die Wahlrechtsreform zu überdenken. Allerdings erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Das wiederum kann man natürlich auch unter Kosten der Demokratie verbuchen. Allerdings würde man sich schon wünschen, dass die Regierenden früher reagieren.
Denn das Nach-Wahl-Szenario lässt sich schon heute lebhaft ausmalen. Die Grünen, die CDU und die SPD, die das Wahlrecht beschlossen haben, werden im Fokus der Kritik stehen. Die FDP wird es möglicherweise gar nicht mehr geben – jedenfalls im Landtag von Baden-Württemberg. Profitieren werden dagegen diejenigen, die es schon immer gewusst haben: Die AfD wollte sich als einzige Fraktion nie vom bisherigen Ein-Stimmen-Wahlrecht trennen, das alte, weiße Männer bevorzugt.