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Deutschlandticket: Drei Milliarden Euro werden kaum reichen

Am 1. Mai findet die „größte Tarifrevolution“ im ÖPNV statt, so Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Doch was dem Klima helfen soll und das Portemonnaie der Fahrgäste schont, ist vermutlich nicht durchfinanziert: Das Deutschlandticket startet aus Sicht der Verkehrsunternehmen und -verbünde mit vielen Fragezeichen.

So stellt Bundesverkehrsminister Wissing sich das Deutschlandticket vor. Doch es gibt es nun auch auf Papier.

dpa/CHROMORANGE/Christian Ohde)

STUTTGART. Zwei bis drei Mal so viele Zeitkarten wie bisher müssten verkauft werden, um die Verluste reinzuholen, die durch das 49-Euro-Ticket entstehen, hatte Yvonne Hüneburg, Geschäftsführerin des Verbands Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO), im Februar im Staatsanzeiger-Interview geschätzt. Danach sieht es bislang nicht aus. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) geht davon aus, dass nur etwa jeder dritte Nutzer ein Neukunde ist. Das hieße, dass von den rund 17 Millionen, die das Ticket kaufen, etwa elf Millionen schon heute mit Bus und Bahn unterwegs sind.

Bis Jahresende springt der Bund noch ein

Umso lauter werden die Rufe nach einem dauerhaften finanziellen Ausgleich. Die Länder sehen den Bund in der Pflicht, WBO und VDV deuten an, dass sie sich mehr Engagement vom Land wünschen. Die Herausforderungen sind gewaltig, denn das Deutschlandticket ist zunächst einmal eine riesige Rabattaktion. So sinkt der Preis der Monatskarte im Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) um bis zu 80 Prozent. Bis Ende des Jahres übernimmt der Bund die Nachschusspflicht, sollten die drei Milliarden Euro, die Bund und Länder je zur Hälfte stemmen, nicht reichen. Davon geht man beim VDV jedoch nicht aus – auch, weil das Ticket erst ab dem 1. Mai gilt. Danach wird es spannend: Bund und Länder ringen noch ums Geld.

Noch spannender wird es, wenn tatsächlich eintritt, was sich der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wünscht: dass die Menschen in großer Zahl vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen und das Klima schonen. Der Angebotsausbau würde ab 2030 – bis dann soll der ÖPNV-Anteil verdoppelt werden – weitere elf Milliarden Euro im Jahr kosten, so der VDV.

49-Euro-Ticket gilt auch auf der Gäubahn

Wenige Tage vor dem Start am 1. Mai ist nun klar, dass das Deutschlandticket auch auf der Gäubahn gilt. Darauf haben sich das Verkehrsministerium und die Deutsche Bahn geeinigt. Gewöhnliche Nahverkehrstickets gelten bereits seit 2017 auf der Strecke zwischen Stuttgart und Singen. Doch ähnlich wie beim 9-Euro-Ticket hatte es zusätzlicher Verhandlungen bedurft, damit die Bahn auch das 49-Euro-Ticket akzeptiert. Der Nutzen ist 2023 allerdings überschaubar. Die Strecke wird ab Juni für mehrere Monate gesperrt, unter anderem deshalb, weil ein Abschnitt südlich von Horb zweigleisig ausgebaut wird.

Zumal Hermanns Mobilitätsgesetz erst einmal gescheitert ist. Der Verkehrsminister wollte den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, eine Nahverkehrsabgabe, auch Mobilitätspass genannt, zu erheben. Zahlen sollten dafür je nach Modell alle Bürger oder nur die Autobesitzer, die Autofahrer beziehungsweise die Unternehmen. Doch die CDU spielt bislang nicht mit.

WBO-Geschäftsführerin Hüneburg erinnert daran, dass das Land zum 1. März auch noch das 365 Euro teure, landesweit gültige Jugendticket eingeführt hat. „Ich frage mich: Wer soll das bezahlen?“ Zumal das Jugendticket ab 2024 sogar deutschlandweit gelten soll. „Der ÖPNV muss nachhaltig finanziert werden“, so Hüneburg. Ohne eine „allgemeine Vorschrift“ auf Bundes- oder Landesebene gehe das nicht. Darin müsse geregelt werden, wer die wegfallenden Einnahmen ausgleicht.

Zumal die Personalkosten aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr steigen: Am 3. Mai beginnen die Tarifverhandlungen für die 9000 Fahrer des privaten Busgewerbes – und Verdi verlangt eine Erhöhung um mindestens 500 Euro.

Erst 2026 wird erhoben, wer wirklich wo unterwegs ist

Zum Streit ums Geld könnte es auch zwischen den Verkehrsunternehmen und -verbünden kommen. Denn das Deutschland-Ticket kann überall erworben werden, egal, wo einer wohnt und tatsächlich die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt. Das heißt, dass einzelne Verkehrsverbünde überproportional zulegen könnten, etwa weil sie mit App-Anbietern kooperieren.

Für diesen Fall ist ein Ausgleich auf Basis der Einnahmen vor Einführung des Tickets vorgesehen. Frühestens 2026 werden auch jene Ferienregionen entschädigt, die mit einem Ansturm rechnen müssen, ohne dass sich dies in steigenden Fahrgeldeinnahmen auszahlt. Dann wird erhoben, wie viele Fahrgäste tatsächlich unterwegs sind – unabhängig davon, wo sie ihr Deutschland-Ticket erworben haben.

Dann dürfte auch klar sein, ob Angebote bleiben, wie es sie beim VVS gibt. Dort besteht – bundesweit einzigartig – die Möglichkeit, für 9,90 Euro zusätzlich eine weitere Person gratis mitzunehmen oder sein Ticket zu verleihen. Allerdings nur im VVS-Gebiet. Am Ende einer Experimentierphase soll entschieden werden, welche „On-Top-Angebote“ bundesweit weitergeführt werden.

Doch bis es soweit ist, müssen erst einmal die Kinderkrankheiten überwunden werden. Ginge es nach dem Bundesverkehrsminister, gäbe es das Deutschlandticket nur digital. Tatsache ist jedoch, dass zahlreiche Verbünde nicht in der Lage waren, in der Kürze der Zeit auf Chipkarten umzustellen. Und eine Handylösung verbietet sich beispielsweise im Schülerverkehr, weil nicht alle Kinder ein Smartphone besitzen. Bis Jahresende dürfen deshalb auch Papiertickets ausgestellt werden. Ob bis zum 1. Januar 2024 alle Verbünde umgestellt haben, ist ungewiss: Chips sind auf dem Weltmarkt derzeit nur schwer zu bekommen.

Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

0711 66601-599

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