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Bachelorabschluss im Jurastudium soll Entlastung bringen

Justizministerin Marion Gentges (Mitte) beim Konstanzer Symposium im Gespräch mit Ines Härtel und Josef Christ, die beide Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sind.
Sven Benker)Stuttgart/Konstanz. Unter Juristen ist es einer der wichtigsten Termine im Jahr: Das Konstanzer Symposium. Und so war die Veranstaltung, zu der das Justizministerium seit 1980 lädt, auch in diesem Jahr hochkarätig besetzt. Richter des Bundesverfassungsgerichts, Gerichtspräsidenten, Generalstaatsanwälte diskutieren mit Landtagsabgeordneten, Universitätsprofessoren und Gewerkschaftsvertretern.
In diesem Jahr hat das Ministerium mit dem gesetzten Thema einen Nerv getroffen. „Muss die Juristenausbildung neu gedacht werden?“, so der Titel. Dazu gibt es Gesprächsbedarf. Vor allem bei der jüngeren Generation, die zu viel Druck im Studium beklagt. Und auch seitens der Hochschulen, die Studiengänge der Rechtswissenschaften anbieten und nach neuen Wegen suchen.
Im Rahmen des Beteiligungsprojekts Zukunftsgerichtet hat Justizministerin Marion Gentges (CDU) eine Umfrage unter 960 Studierenden der Jurafakultäten durchführen lassen. Das Ergebnis: Ein Großteil wünscht sich die Anerkennung von während dem Studium erbrachten Leistungen in Form eines integrierten Bachelors und fühlt sich durch das Examen unter Druck. Auch die Stofffülle und das Benotungssystem werden kritisiert. Fast die Hälfte wünscht sich einen Bachelor, der von den Examenskandidaten automatisch an allen Studienorten erworben wird.
Für Gesprächsstoff sorgte vor allem der Vortrag von Jannika Seidel, Rechtsreferendarin am Landgericht Tübingen. Obwohl sie kurz vor dem zweiten Staatsexamen steht, nahm sie sich die Zeit dafür. „Demnach bin ich gerade auch persönlich erneut in der Verfassung besonders authentische Einblicke in die Gefühlswelt einer Examenskandidatin zu geben“, sagt sie. Seidel hat schon öfter über die psychische Belastung im Jurastudium gesprochen. So auch bei ihrer Absolventenfeier 2020 an der Uni Freiburg .
Viele Studierende leiden unter erheblichem psychischen Druck
Im Namen der Studenten sprach sie über die psychischen Belastungen, inklusive der bei der Examensvorbereitung. Das sei ihr nicht leicht gefallen, doch hat sie großen Zuspruch erhalten, sagt sie. Viele Studierende litten unter erheblichem psychischen Druck, aber genauso Referendare. Dies belegen auch Umfragen.
Depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Angstzustände gehören zum Alltag der meisten Examenskandidaten, sagt Seidel. Doch warum sind besonders Jurastudenten so anfällig für Stress? Was macht das Studium zu einem Nährboden für Selbstzweifel, Überforderung und Leistungsdruck? Zum einen, sagt Seidel, hängt dies an der herausragenden Bedeutung des Staatsexamens: Sechs Klausuren und eine mündliche Prüfung entscheiden über den weiteren Verlauf der Karriere und auch des weiteren Lebens.
Dass dem nicht unbedingt so sein muss, spielt in dem Moment keine Rolle. „Subjektiv stellt sich diese Prüfung als Alles-oder-Nichts-Moment dar“, so Seidel. Die unglaubliche Menge an Wissen, die bis zum Examen vorgehalten werden muss, tue seinen Teil dazu. Auch sei der Konkurrenzdruck im Studium sehr ausgeprägt. Seidel findet es erschreckend, „wie dieser in der Ausbildung vielen die Solidarität und den Blick für die Situation anderer geradezu abtrainiert“. Der ein oder andere im Saal fragt sich, wie es im eigenen Studium war. Schließlich haben sie das Studium ja auch geschafft.
Studierenden Strategien zur Stressbewältigung mit auf den Weg geben
Seidel kommt nun auf die sozialen Medien und das digitale Lernen zu sprechen. Da unterscheide sich das Studium von heute erheblich von den Bedingungen früherer Jahre. Hashtags wie „Work hard everyday“ sind heute normal. Ein tägliches Überschreiten der eigenen Grenzen ist aber nicht gesund. „In den Sozialen Medien sieht man oft nur die positiven Seiten, vermittelt werde die Erfolge mit einem Gefühl der Leichtigkeit“, so Seidel. Wer offen über Überforderung spreche, riskiere, als nicht belastbar wahrgenommen zu werden. Dazu kämen die digitalen Lehrformate, die ständig überall präsent seien. Das führt dazu, dass man bei allem, was man tut, etwa Podcasts und Mitschnitte von Vorlesungen höre. Ob beim Joggen, Einkaufen oder Spazierengehen: Momente der Entspannung sind für Seidel kaum möglich, weil das Studium überall dabei ist.
Der Vortrag zog im Lauf der zwei Tage viele Diskussionen nach sich. Ist dies nicht vielmehr ein allgemeines Problem? Wie damit umgehen? Die eine Lösung hat keiner. Seidel regt an, Studierende besser auf die Herausforderungen vorzubereiten, ihr Bewusstsein für die eigenen Grenzen zu stärken und ihnen geeignete Strategien zur Stressbewältigung mit auf den Weg zu geben. Auch ein integrierter Bachelor könne ihr zufolge Druck herausnehmen,
Dass ein solcher von Vorteil ist, darin war man sich auch bei der Abschlussdiskussion einig. Auf dem Podium saßen neben Elmar Steinbacher, Amtschef im Justizministerium, die Richterin am Bundesverfassungsgericht Rhona Fetzer sowie Corinna Class, Leiterin Rechtsstreitigkeiten bei Mercedes Benz und Jens Zeppernick, der Präsident des Landgerichts Heidelberg. Sie diskutierten auch über die Rahmenbedingungen der Ausbildung. Ein Problem: Es finden sich immer schwerer Ausbilder und Arbeitsgruppen-Leiter.
Steinbacher kündigte an, dass man da gegensteuern werde. Etwa sollen hauptamtliche Ausbilder und AG-Leiter bestellt werden, alternativ brauche es zumindest eine Teilfreistellung. Auch für Prüfer wird eine teilweise Freistellung angeregt, um wieder mehr Kollegen für diese Tätigkeit zu gewinnen. Im juristischen Vorbereitungsdienst soll ein Mischsystem aus haupt- und nebenamtlichen AG-Leitern etabliert werden.
Die Universität Konstanz bietet einen integrierten Bachelor an
Beim Jurastudium ist zwar vieles durch den Bund vorgegeben, die Handlungsmöglichkeiten der Länder sind begrenzt. Und dennoch, so Justizministerin Gentges, ist Baden-Württemberg nicht untätig. Hierzulande gibt es traditionell den Freiversuch im ersten Examen und die Möglichkeit, die Note in beiden Examen zu verbessern. Auch dies sollte den Druck verringern.
Ein nicht unumstrittener Ansatz war die Einführung des Kombinationsstudiengangs an der Uni Mannheim , das „Mannheimer Modell“, das das Ministerium 2019 für alle juristischen Fakultäten geöffnet hat. Ab dem Wintersemester 25/26 kommt der integrierte Bachelor an der Uni Konstanz dazu.
Sollten nicht alle Studierende, unabhängig von ihrem Studienort, einen solchen Abschluss erlangen können? So wie es in etwa in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Gentges kann sich gut vorstellen, dies landesweit gesetzlich zu regeln.
Für sie ist nach der Diskussion in Konstanz klar: Alle Beteiligten, insbesondere Arbeitgeber, Anwaltschaft, Studierende sowie die Vertreter der juristischen Fakultäten, die einen solchen Abschluss bislang nicht anbieten, wünschen sich eine automatische Erteilung eines Bachelorgrads bei Nachweis bestimmter Studienleistungen. Gentges will Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) den integrierten Bachelorabschluss im Landeshochschulgesetz verankern kann. Eine weitere Reduzierung des Pflichtstoffs ist laut Ministerium derzeit nicht geplant.