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Interview: Achim Brauneisen

„Es braucht vor allem mehr Personal“

Der Generalstaatsanwalt in Stuttgart, Achim Brauneisen, geht nach fast 40 Jahren im Dienst der Justiz in den Ruhestand. Im Interview blickt er auf seine Laufbahn zurück und auch nach vorne.

Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen.

Lichtgut/Leif Piechowski)
Staatsanzeiger: Herr Brauneisen, als Sie in der Justiz angefangen haben, haben Sie noch auf Schellackplatten diktiert.

Achim Brauneisen: 1987 gab es ja noch die elektrische Schreibmaschine. Da gab es zum Diktieren tatsächlich noch Schellackplatten, auf die haben Sie diktiert, dann ging die Platte mit der Akte an den Schreibdienst und dann wurde das Urteil geschrieben. Damals war ich Richter am Amtsgericht Nürtingen. Wenn das Urteil geschrieben war, musste man die Platte wieder löschen, dafür hatte man so einen kleinen Magneten.

Heute geht es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Fluch oder Segen?

Die Justiz muss von wiederholenden Arbeiten entlastet werden, es braucht mehr Zeit, um Entscheidungen zu treffen, Leute anzuhören und ich glaube, dass KI da tatsächlich eine Chance bietet. Andererseits kann ich nicht einschätzen, wohin die Reise geht. Das macht einen schon ein bisschen beklommen, weil es so unklar ist, was am Ende stehen wird.

Ist die Justiz bereit für KI?

Vor zehn Jahren hätte ich skeptischer reagiert als heute. Wir haben mittlerweile viele junge Leute in der Justiz, die diesen neuen Techniken deutlich aufgeschlossener sind. Aber bei der Entwicklung von KI-gestützter Software, die wir dann tatsächlich auch zur Arbeitsentlastung in der Justiz einsetzen können, sind wir noch am Anfang. Das wird noch dauern.

Die KI wird auch bei dem Projekt „Zukunftsgerichtet“ des Justizministeriums thematisiert. Wie muss die Justiz für die nächsten Jahre aufgestellt werden?

Das Projekt „Zukunftsgerichtet“ ist zu begrüßen, weil wir uns die Zeit nehmen müssen, darüber zu sprechen, wohin die Arbeit in der Justiz und auch für den Rechtsstaat – auf Sicht von zehn Jahren – läuft. Insbesondere auch mit den neuen Techniken. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser große Aufschlag vom Format her, das gewählt ist, dann am Ende trägt. Es soll sich ja jeder beteiligen können.

Es sind etwa Roadshows vorgesehen.

Das ist ja auch alles gut, aber damit werden erhebliche Erwartungen geweckt. Ich hoffe, dass die auch erfüllt werden, weil es am Ende darum geht, Dinge auch umzusetzen. Und da hat die Landesregierung bis zum Rest der Legislaturperiode nicht mehr viel Zeit. Es muss priorisiert werden. Das Projekt Zukunftsgerichtet ist mit Blick auf das Thema Visionen gut. Aber eine sachgerechte Arbeit kann die Justiz nur erledigen, wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind. Und dafür braucht es vor allem mehr Personal.

Durch den Einsatz von KI könnte man meinen, es brauche weniger Personal.

Das ist mit Blick auf die Staatsanwaltschaften ein Trugschluss, weil die Zahl der Verfahren massiv gestiegen ist. In den vergangenen zehn Jahren, seit ich Generalstaatsanwalt bin, ein Anstieg von 30 Prozent. Uns fehlen mittlerweile 90 Staatsanwälte im Bezirk OLG Stuttgart, das ist einfach so.

Man hat die Justiz gestärkt, aber die Staatsanwaltschaften kamen zu kurz.

So kann man das sagen, ja. Das Personal wurde nicht entsprechend der Zunahme der Verfahren erhöht.

Zugleich wird auch die Arbeit der Strafverfolger zunehmend bürokratisiert. Worauf könnte man denn verzichten?

Entbürokratisieren könnte man in fast allen Bereichen von Ermittlungsmaßnahmen, wir haben unglaublich viele Pflichten, die mit unserem Kerngeschäft nichts zu tun haben. Im Augenblick gibt es einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum Thema verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen. Wenn das umgesetzt wird, gibt es erneut zusätzliche Dokumentationspflichten. Die mögen im Einzelfall möglicherweise plausibel sein, aber in der Summe addiert sich das immer weiter auf und die Ressourcen fürs Kerngeschäft der Ermittler werden immer weniger.

Auch das Cannabisgesetz, das nächste Woche im Bundesrat verabschiedet werden soll, sorgt für viel Arbeit.

Bei Staatsanwaltschaften und Gerichten. Es wird auch bei der Polizei für mehr Arbeit sorgen. Wir sorgen uns um den großen Aufwand, der mit der Amnestie, die das Gesetz wohl mit sich bringen wird, verbunden ist. Es soll rückwirkende Straffreiheit für Verurteilungen, die noch nicht vollstreckt wurden, geben, soweit der Sachverhalt künftig nicht mehr strafbar wäre .

Was bedeutet das für Ermittler?

Es ist schwierig, das herauszufinden, weil wir in unseren Verfahren keinen Eintrag nach Kategorien haben, also etwa Verurteilung wegen 25 Gramm Cannabis. Deswegen müssen wir die Akten durchgehen und wenn es dann Verurteilungen sind, wo mehrere Taten verurteilt wurden und eine davon betrifft diese rückenwirkende Straffreistellung, dann müssen wir diese Akten zu den Gerichten schicken. Die Gerichte müssen die Strafe noch mal neu festsetzen.

Murkst der Gesetzgeber da zunehmend? Gut gemeint, aber schlecht umgesetzt?

Es gibt eine ideologische Vorprägung beim Gesetzgeber. Und an solchen Punkten hört er dann nur schwer auf den Rat von Fachleuten. Das war beim Besitz kinderpornografischen Materials auch so, den man jetzt zurückdrehen muss. Es ist in Teilen auch beim Cannabisgesetz so. Dieses sieht auch eine Herabstufung des gewerbsmäßigen Handels mit Cannabis in nicht geringer Menge vom Verbrechen zum Vergehen vor.

Und auch das sorgt für Probleme?

Es führt dazu, dass in den EncroChat-Verfahren die Verjährung droht. Diesen und andere Kryptokommunikationsdienste hatten französische und niederländische Ermittler 2020 und 2021 entschlüsselt. Die Verjährung soll von 20 auf fünf Jahre verringert werden. Die Fälle sind in etwa aus 2019. Man kann versuchen, die Verjährung zu unterbrechen, aber nach zehn Jahren ist Schluss. Da geht es um Fälle mit unglaublichem Ermittlungsaufwand im Tonnenbereich. Wenn das so kommt, dann stellt das Ermittler vor die Entscheidung, ob sie den Fall vorziehen. Sie lassen aber dann andere, möglicherweise schwerwiegendere Verfahren liegen, weil da die Verjährungsfrist länger ist, etwa bei Kokain.

Das ist doch aber ziemlich frustrierend für die Strafverfolgungsbehörden?

So etwas ist in der Tat frustrierend.

Wie erklären Sie es sich, dass die Politik in solchen Dingen nicht auf die Warnungen der Praktiker hören?

Also ich erkläre mir das beim Cannabisgesetz damit, dass es eben einen klaren Willen in Teilen der Ampel-Regierung gibt, zu einem Ergebnis bei der Legalisierung von Cannabis zu kommen und dass man keine Nebenkriegsschauplätze eröffnen möchte.

Also Ideologie vor praktischer Handhabe?

So kann man das formulieren. Es wird manchmal verkannt, dass sich manche Regelungen verheerend auf die Gesamtsituation auswirken. Man kann nur anraten, in jedem Gesetzgebungsverfahren Zurückhaltung zu üben, was anderes sehe ich nicht.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ich bin trotz all der Krisen zuversichtlich, dass die Staatsanwaltschaften schlagkräftig und konsequent bleiben, wenn es darauf ankommt.

Das Gespräch führte Jennifer Reich

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Zur Person

Achim Brauneisen trat 1987 in den höheren Justizdienst ein. Nach Stationen bei der Staatsanwaltschaften Stuttgart, beim Amtsgericht Nürtingen und beim Landgericht Stuttgart wurde er 1990 in Stuttgart zum Staatsanwalt ernannt. Er absolvierte seine Erprobungsabordnung bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart und wurde dort 1997 zum Oberstaatsanwalt ernannt. Ein Jahr später übernahm er im Justizministerium die Leitung des Personalreferats für den höheren Dienst Württemberg. 2004 wurde er Leitender Oberstaatsanwalt in Tübingen. Von 2006 bis zum Amtsantritt als Generalstaatsanwalt leitete er als Ministerialdirigent die Abteilung für Strafrecht und Gnadenrecht im Ministerium. Brauneisen ist sehr zufrieden, mit dem, was er in der Justiz erlebt hat, das habe ihm viel gegeben.

Jennifer Reich

Redakteurin Politik und Verwaltung

0711 66601-183

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