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Essay

Man muss die AfD im politischen Diskurs stellen

Unsere Demokratie ist 80 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur viel stärker, als viele Demokraten denken, findet Politikredakteur Michael Schwarz. 

Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, spricht neben Tino Chrupalla, Co- Fraktionsvorsitzende der AfD, stehen bei einem Pressestatement im Bundestag.

dpa/Michael Kappeler)

Eigentlich hatte man doch gedacht, dass die Deutschen geheilt sind, dass uns die Nazi-Diktatur und ihre Folgen immun gegen jede Form von Extremismus, Populismus und Nationalismus gemacht haben. Doch dann kamen die Flüchtlinge, Corona und der Ukraine-Krieg und plötzlich ist nichts mehr, wie es einmal war.

Und zwar nicht nur im Osten der Republik. Da hätte man ja noch Verständnis, schließlich hat die Wende viele Biografien zerrissen und ganze Generationen zu Verlierern gemacht. Doch auch im Westen eilt die AfD von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und die politische Konkurrenz in Baden-Württemberg kann nur beten, dass das aktuelle Hoch der Rechtspopulisten nicht bis zur Landtagswahl am 8. März 2026 andauert.

Denn dann hätten wir auch im Südwesten Verhältnisse, wie sie der Bundestag seit den Neuwahlen am 23. Februar kennt. Allein schon die schiere Masse an AfD-Abgeordneten wird die Debattenkultur im höchsten deutschen Parlament verändern. Und man darf angesichts der Avancen, die nach Friedrich Merz nun auch Jens Spahn der AfD macht, sehr gespannt sein, wie lange die Brandmauer hält.

Kann und soll man einer solchen Partei juristisch beikommen?

Eine ganz andere Frage ist, ob man einer solchen Partei juristisch beikommen kann und soll. Oder ob es nicht doch besser ist, sie inhaltlich zu stellen. Es mag ja sein, dass eine Mehrheit der Deutschen der Feststellung des Bundesamts für Verfassungsschutz zustimmt, dass die AfD rechtsextremistisch ist. Und dass fast die Hälfte der Deutschen ein Verbotsverfahren befürwortet.

Doch das wird die Ansichten der AfD-Wähler kaum verändern. Schlimmer noch: Die AfD könnten noch mehr Sympathien zufliegen, weil die Opferrolle zieht.

Auch die Vorstellung, dass der AfD die Luft ausgeht, wenn man ihr die Parteienfinanzierung streicht und den Beamten droht, sie aus dem Dienst zu entlassen, wenn sie sich bei den Rechtspopulisten engagieren, könnte sich als Chimäre erweisen. Es gilt in bestimmten Kreisen schon lange nicht mehr als unanständig, der AfD zu spenden, was die Partei finanziell unabhängiger macht. Und was hilft es, wenn ein Lehrer oder ein Polizist in Zukunft nur noch im Geheimen mit der AfD sympathisiert?

Die Aufgabe der Parteien, die sich in Abgrenzung zur AfD als demokratisch bezeichnen, besteht darin, die Menschen davon zu überzeugen, dass ihr Weg der richtige ist. Dass Deutschland Zuwanderung braucht, dass die Zeit der fossilen Energien abläuft, dass wir nichts gewinnen, wenn wir uns nach einer heilen Welt zurücksehnen, die es nie gegeben hat.

Sich dem Gegner stellen, statt ihn zu verteufeln und verbieten

Statt den Gegner zu verteufeln und zu verbieten, muss man ihn stellen. Und dessen Wähler und deren Sorgen ernstnehmen. Man muss den Menschen aber auch sagen, dass die Politik nicht alle Probleme lösen kann, dass manche Entwicklungen nicht aufzuhalten sind, dass es vielleicht ein Recht auf Glück gibt, wie es in der amerikanischen Verfassung steht, dass dies jedoch voraussetzt, dass jeder für sein Glück kämpft.

Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, bedeutet nicht automatisch, dass die Vernunft regiert. Dennoch müssen wir uns über unsere Demokratie keine Sorgen machen, selbst wenn die AfD noch mehr zulegen sollte. Das liegt zum einen daran, dass die Mehrheit in diesem Land immer noch andere Parteien wählt. Und dass auch der Staat und die ihn tragenden Beamten in ihrer überwältigenden Mehrheit Garanten für dessen Bestand sind.

Zweitens ist die AfD keine Wiedergeburt der NSDAP, auch wenn sich dort Gestalten tummeln, die alles andere als harmlos sind. Es ist eher eine Spießerpartei, eine Partei von Krakeelern, die, wenn sie an die Regierung kämen, keine Rezepte hätte, die das Land weiterbringen würden.

Ein bisschen mehr Gelassenheit würde guttun

Ein bisschen mehr Gelassenheit würde allen Beteiligten guttun. Und Einsicht, dass es immer einen Anteil an Wählern geben wird, die Parteien wie der AfD ihre Stimme geben. Das ist der Nachteil der Volksherrschaft, dass zum Volk eben auch Menschen gehören, deren Meinungen man nicht teilt. Menschen, die etwas gegen Minderheiten haben und deshalb eine Partei wählen, die solche Ressentiments bedient.

Der Vorteil der Demokratie besteht darin, dass es einen Unterschied macht, was einer denkt und was nicht. Und dass man mit Menschen, die anders denken als man selber, streiten kann. Das ist anstrengender, als sie zu verbieten. Es ist aber auch erfolgversprechender. Und der Moment, da wir hier aufstehen müssen, weil neue Nazis das Land erobern, ist zum Glück noch weit.

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