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Migrationspolitik

Wer hat die Lösung für die Flüchtlingskrise?

Während der Ministerpräsident mit seinen Amtskollegen über Auswege berät, ringt auch der Landtag um den richtigen Ausweg aus der Flüchtlingskrise. Für Wirbel sorgt ein internes Papier bei den Grünen. Städte wie Ulm erklären die Aufnahmekapazitäten für erschöpft. Was ist zu tun?

Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag von Baden-Württemberg, steht vor einer Plenarsitzung an seinem Platz.

dpa/Marijan Murat)

Stuttgart. Schon in der Frage der Überschrift über die Debatte ist man sich uneins. Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke will die „Einwanderung in die Sozialsysteme bekämpfen“, die SPD hingegen „Migration gemeinsam gestalten“. Nur Semantik, aber sie steht symbolisch für die Vielstimmigkeit in der Debatte.

Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich tags zuvor für eine elektronische Karte ausgesprochen, um für Flüchtlinge kein Geld mehr auszuzahlen, seine Partei widerspricht. Rülke fragt: „Was gilt denn nun, Kretschmann oder Daniel Lede Abal ?“ Er meint damit den eher linken migrationspolitischen Fraktionssprecher. Verschärft wird die Lage durch Ankündigungen des Ulmer Oberbürgermeisters Gunter Czisch , keine Flüchtlinge mehr aufnehmen zu können. Auch der Landkreistagspräsident Joachim Walter (beide CDU) mahnt die Politik.

Aufregung in der Grünen-Fraktion um Formulierungsvorschläge

In der Grünen-Fraktion herrscht am Donnerstag Aufregung. Zum Thema Migration hat die Fraktionsspitze Formulierungsvorschläge unterbreitet. Unter der Überschrift „Wording Migration“ sind 50 Positionen zusammengefasst, die in der Öffentlichkeit und in Interviews vertreten werden sollen. „Fakt ist“, heißt es unter anderem in dem Papier, „uns gehen die Wohnungen aus – die Unterbringungsmöglichkeiten platzen aus allen Nähten“.

Hintergrund ist ein Fernsehinterview von Kretschmann, in dem er sagte: „Alle Maßnahmen, die dazu dienen, irreguläre Migration einzudämmen, die müssen wir gehen.“ Zugleich steht am Wochenende eine Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Weingarten bevor. Im Mittelpunkt stehen Kommunalpolitik, Vorstandswahlen und gleich zu Beginn auch eine Aussprache zur aktuellen politischen Lage.

In der Fraktion rumort es, unter anderem nachdem im Landtag zusammen mit der CDU ein Entschließungsantrag beschlossen wurde, in dem sich auch die Formulierung findet, dass „Lösungen zur besseren Steuerung, Begrenzung und Organisation der Migration“ gefunden werden müssten. Damit seien endgültig Sprache und Positionen der Union übernommen worden, heißt es beim linken Parteiflügel.

Grün-Schwarz steht unter Druck in der Migrationsfrage

David Fischer, der Sprecher von Fraktionschef Andreas Schwarz, kann allerdings die Aufregung nicht verstehen. Es gehe überhaupt nicht um einen Maulkorb, sondern um „Orientierungshilfen“. Klar ist: Für die Grünen ist die Flüchtlingsfrage eine Zerreißprobe. Der FDP-Vormann Rülke warnt: „Ich fürchte, dass das Land unregierbar wird, wenn wir das Problem nicht in den Griff bekommen.“

Einen Kommentar zur aktuellen Politik lesen Sie hier.

Grün-Schwarz ringt mit sich. Der CDU-Abgeordnete Andreas Deuschle wählt eine Formulierung, die beim grünen Koalitionspartner für Augenrollen sorgt: „Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, stehen plötzlich als Bittsteller da.“ Die Unionsfraktion hat schon vor Wochen in einem Zwölf-Punkte-Plan eine härtere Gangart beschlossen, will mehr Abschiebungen.

Die AfD nutzt die Debatte zu Polemik

Für die AfD kommt das Thema wie gerufen. Fraktionsvize Ruben Rupp ruft in Richtung CDU und FDP: „Sie geben sich als Feuerwehr aus, sind aber Teil der politischen Brandstifter.“ Rechts blinken, aber links abbiegen sei das Motto. Es sei der „nackte Überlebenskampf“ der Liberalen und die Fünf-Prozent-Hürde, die sie jetzt zum Handeln bringe. Seine These: „Wir könnten den Magnet der Massenmigration sofort abstellen, aber Sie wollen nicht.“

Wohltuend sachlich und ruhig legt Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU) die Lage dar. Zur AfD sagt er nur: „Ich war über 30 Jahre Feuerwehrmann, Sie haben keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“ Das Land habe im vergangenen Jahr 176 000 Flüchtlinge aufgenommen, jetzt allein im September 60 000. Man stimme sich laufend in einem Krisenstab mit den Kommunen ab. Seine Forderung: schnelle Verfahren, die Deklaration von sicheren Herkunftsstaaten.

Wichtige Erkenntnis: Einfache Lösungen gibt es nicht

Lorek zitiert aus einem Brief eines Flüchtlingshelfers, wonach ein afghanischer Migrant, dem er geholfen habe, immer mehr Geld in die Heimat schicken musste und so unter Druck gesetzt wurde, dass er am Ende Suizid begangen habe. Die Geldleistungen müssten „auf ein Mindestmaß“ reduziert werden. Und doch kommt er zu dem Schluss: „Es gibt nicht die eine Maßnahme, die alles löst.“

Es ist am Ende SPD-Generalsekretär Sascha Binder , der zu weniger Kakofonie und mehr Geschlossenheit mahnt: „Die Bürger wollen, dass Lösungen passieren, und nicht dass wir uns jeden Tag überbieten mit noch krasseren Forderungen, von denen gar nicht klar ist, ob sie das Problem lösen.“ Und so blicken dennoch alle auf den Gipfel in Berlin, denn dort fallen die wichtigen Entscheidungen.

Sascha Binder, Abgeordneter der SPD im Landtag von Baden-Württemberg. (Foto: dpa/Bernd Weißbrod)

Von Rafael Binkowski und Johanna Henkel-Waidhofer

Quelle/Autor: Rafael Binkowski und Johanna Henkel-Waidhofer

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