Debatten im Landtag vom 18. und 19. Dezember 2013

Alkoholmissbrauch und lebenswerter öffentlicher Raum

Stuttgart.Schwarz-Grüne Koalition in Baden-Württemberg – aber nur bei der Aktuellen Debatte am Donnerstag im Stuttgarter Landtag. In der letzten Sitzung vor der Weihnachtspause hatten sich die beiden größten Fraktionen dazu entschlossen, die von ihnen beantragten Debatten „Alkoholmissbrauch auf öffentlichen Plätzen“ (CDU) und „Das Konzept lebenswerter öffentlicher Raum für alle Bürgerinnen und Bürger – eine Chance […]

Stuttgart.Schwarz-Grüne Koalition in Baden-Württemberg – aber nur bei der Aktuellen Debatte am Donnerstag im Stuttgarter Landtag. In der letzten Sitzung vor der Weihnachtspause hatten sich die beiden größten Fraktionen dazu entschlossen, die von ihnen beantragten Debatten „Alkoholmissbrauch auf öffentlichen Plätzen“ (CDU) und „Das Konzept lebenswerter öffentlicher Raum für alle Bürgerinnen und Bürger – eine Chance für die Kommunen“ (Grüne) miteinander zu verbinden. Politische Nächstenliebe war damit nicht verbunden. Während sich die CDU-Fraktion beim Thema Alkoholverbot von der Landesregierung „verschaukelt“ fühlt und die FDP Grün-Rot „doppelte Moral“ unterstellte, warf der Grünen-Abgeordnete Josef Frey der CDU vor, ihr gehe es nur um „Krawallmache“ und sie wolle die Regierungskoalition „mit Schmutz bewerfen“.

CDU: Ministerpräsident hat Empfehlung der Arbeitsgruppe eigenmächtig kassiert 

Entzündet hatte sich der Streit um ein vor allem von den Kommunen gefordertes Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen daran, dass sowohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wie auch Innenminister Reinhold Gall (SPD) zwar für ein solches Verbot eingetreten waren, nach Interventionen ihrer Parteien jedoch wieder zurückgerudert sind. Kretschmann hatte daraufhin die Arbeitsgruppe „Lebenswerter Öffentlicher Raum“ eingesetzt, die im vergangenen Jahr interdisziplinäre Konzepte zur Bekämpfung des landesweit verbreiteten Problems entwickelte. Doch aus dem Acht-Punkte-Katalog kassierte der Regierungschef postwendend die Forderung nach einem gesetzlichen Alkoholkonsumverbot, mit dem Städte und Gemeinden Saufgelage auf öffentlichen Plätzen verbieten könnten. „Damit hat er die von ihm selbst aufgestellten Spielregeln gebrochen und die Arbeitsgruppe schroff brüskiert“, kritisierte Thomas Blenke (CDU) den Ministerpräsidenten.
Er warf Kretschmann vor, die Anliegen der Bürger nicht ernst zu nehmen. Blenke argumentierte, dass auch die Grünen-Oberbürgermeister von Freiburg und Tübingen solche Maßnahmen fordern und bei Bürgerbefragungen in Ravensburg und Heidelberg 63 beziehungsweise 56 Prozent für die Einführung eines Alkoholkonsumverbots auf öffentlichen Plätzen votierten. Die Arbeitsgruppe habe eine Ermächtigungsgrundlage, kein Verbot, für die Kommunen zum Erlass zeitlich und örtlicher beschränkter Alkoholkonsumverbote an öffentlichen Brennpunkten vorgesehen – neben dem Festhalten an den bestehenden Regelungen zum Alkoholverkaufsverbot an Tankstellen oder an den Sperrzeiten in der Gaststättenverordnung. „Die Menschen wollen sichere und saubere Innenstädte“, sagte Blenke und verwies auf drastisch zunehmende Sachbeschädigungen, Körperverletzungsdelikten und Widerstands gegen Polizisten.

Innenminister Gall hält an wenigen Örtlichkeiten ein Verbot überhaupt für möglich 

Innenminister Gall erwiderte, ein Alkoholkonsumverbot sei „kein Allheilmittel“, um diese Entwicklungen zu verhindern. Dies sage er auch als ein Befürworter der von den Kommunen gewünschten Möglichkeit, Verbote auszusprechen. Er plädierte deswegen dafür, die Vorschläge der Arbeitsgruppe zu diskutieren und abzuwägen und sich dann für weitere Maßnahmen zu entscheiden. Aus seiner Sicht gbit es in Baden-Württemberg „höchstens zwei bis drei Handvoll Örtlichkeiten“, die den Rechtsrahmen für den Erlass eines Verbots hergeben.
Kommunen müssten die absolute Belastung der Fläche mit Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Verhältnis zu einer geeigneten Vergleichsfläche dokumentieren. Außerdem dürfe kein Verdrängungswettbewerb stattfinden. Gall berichtete, in der Befragung hätten sich die Menschen vor allem für eine stärkere Kontrolle der Alkoholabgabe sowie eine stärkere Präsenz von Polizei und Ordnungsbehörden ausgesprochen. Der SPD-Politiker räumte Lücken bei Warenautomaten und reinen Alkoholbringdiensten ein.

Schmiedel hält Erwartungen der Kommunen für überzogen

Der Grüne Frey erklärte, seine Fraktion wolle Zustände wie in den 1980er- und 1990er-Jahren im Needle-Park in Zürich verhindern. Dies müsse im Südwesten mit einer „minimal invasiven Intervention“ geschehen. Alkoholkonsumverbote seien weder erforscht noch per se wirkungsvoll. Er sieht in der Beschränkung der Verkaufsstellendichte, der Einschränkung der Öffnungszeiten, der Durchsetzung des gesetzlichen Mindestalters, der Alkoholsteuer und der Preispolitik sowie dem Verbot, an Betrunkene weiter Alkohol auszuschenken, wirksamere Werkzeuge.
Claus Schmiedel (SPD) versuchte zu beschwichtigen. Die Erwartung der Kommunen, man könne in 70 oder 80 Städten auf öffentlichen Plätzen über ein Alkoholkonsumverbot verfügen, sei „völlig überzogen“. Es handele sich doch „höchstens um zehn oder zwölf Fälle“. Politisch sei das Alkoholkonsumverbot deshalb erst einmal „kein Thema mehr im Parlament“. Er sprach sich dafür aus, dass die Landesregierung mit den Kommunen eine Konzeption anhand der Ergebnisse der Arbeitsgruppe entwickelt.

Goll beklagt Doppelmoral in Verbotsdebatte

Mittel zu finden, um den Alkoholmissbrauch von Jugendlichen zu verhindern, sind aus Sicht von Ulrich Goll (FDP) nicht einfach. Auch deshalb, weil zwei herausragende Ergebnisse des Stuttgarter Jahresablaufs „darin bestehen, dass die Menschen zwei Wochen lang Alkohol konsumieren und zwar nicht zu knapp“. Er habe überhaupt nichts gegen das Volksfest, aber er rede gegen die doppelte Moral derjenigen, die sich „hier entrüsten und beim Volksfest auf den Bänken stehen“. Beim Volksfest sei der nächtliche Polizeiaufwand „dramatisch“, betonte der frühere Justizminister. Die Polizei müsse auch bei einem möglichen Alkoholkonsumverbot einschreiten und hingehen – „sonst ist dieses Verbot nichts wert.“ Goll hält die bestehenden Handlungsmöglichkeiten für ausreichend.
Das Spannende am Thema ist für Goll aber, dass sich Kretschmann in seiner eigenen Fraktion und eigenen Partei nicht durchsetzen konnte, obwohl er ein Alkoholkonsumverbot gut geheißen hatte. „Kretschmann wird bei den Grünen ins Schaufenster gestellt, und die anderen räumen hinten den Laden aus“, sagte Goll.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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18. und 19. Dezember 2013