Debatten im Landtag vom 22. und 23. Juli 2020

Landtag debattiert erstmals über einen Volksantrag

Stuttgart. Premiere im Landtag: Erstmals steht auf der Tagesordnung eine Debatte über einen  Volksantrag, ein Instrument der Bürgerbeteiligung, das noch unter Grün-Rot von allen Fraktionen beschlossen worden war. „Gemeinsam unsere Umwelt schützen in Baden-Württemberg“ steht über den Forderungen, für die vor allem Landwirte mehr als 88000 Unterschriften gesammelt hatten. In monatelangen Verhandlungen wurde eine Gesetzesinitiative zur Stärkung […]

Stuttgart. Premiere im Landtag: Erstmals steht auf der Tagesordnung eine Debatte über einen  Volksantrag, ein Instrument der Bürgerbeteiligung, das noch unter Grün-Rot von allen Fraktionen beschlossen worden war. „Gemeinsam unsere Umwelt schützen in Baden-Württemberg“ steht über den Forderungen, für die vor allem Landwirte mehr als 88000 Unterschriften gesammelt hatten. In monatelangen Verhandlungen wurde eine Gesetzesinitiative zur Stärkung der Biodiversität erarbeitet.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nutzte die Gelegenheit zu einer Grundsatzrede, bei der er das neue Verfahren als Bereicherung lobte, weitere Gespräche versprach und einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Handel, Landwirtschaft und Verbraucher vorschlug. Dann folgte eine kurze Standpauke für seine Landsleute, wie Kretschmann sie sonst eher selten öffentlich hält: Im internationalen Vergleich gebe Deutschland sehr viel Geld für Küchen und Küchenausstattung aus, aber bei dem, „was reinkommt in die Töpfe, geht es immer um billiger, billiger, billiger“.

Mehr aus dem Landtag vom 22. Juli 2020

Einig sind sich die Volksantragsteller und die grün-schwarze Koalition in zahlreichen grundsätzlichen Positionen. So wurde festgestellt, dass „der flächendeckende Erhalt der heimischen Landwirtschaft von herausragender Bedeutung ist“ und dass „die Situation in der Landwirtschaft im Hinblick auf faire Erzeugerpreise, auf die Planungssicherheit, den Wettbewerb mit dem Weltmarkt, den Klimawandel und die damit einhergehenden extremen Wetterereignisse sowie die Anforderungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt und der Förderung des Tierwohls eine sehr große Herausforderung für jeden einzelnen Betrieb mit sich bringt“.

Rülke kritisiert "die viele weiße Farbe"

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte „die viele weiße Salbe“. Vor allem bei den Grünen sieht er den Fehler, die Verantwortung für den Artenschutz "einseitig bei der Landwirtschaft abzuladen“. Das wiederum führe zum Höfesterben im Land.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch verlangte, der Volksantrag müsse am Anfang und nicht am Ende des Prozesses im Umgang mit der Landwirtschaft stehen. Beide Seiten und auch die Naturschutzverbände müssten bereit sein, von Maximalforderungen herunterzugehen. Die Umstellung hin zu mehr Artenschutz sei wichtig, aber es gehe auch um die Existenz der bäuerlichen Betriebe im Land.
Andreas Schwarz (Grüne) sprach dagegen von einem historischen Tag, weil zum ersten Mal ein Volksantrag diskutiert werde und insbesondere, "weil Landwirtschaft und Naturschutz zusammengedacht werden, während Stoch und Rülke versuchen, zu spalten“. Der Koalition hingegen sei es gelungen zusammenzuführen. Von den jetzt erzielten Kompromissen hätten alle Beteiligten einen Nutzen. Großer Dank gebühre Bäuerinnen und Bauern, weil sie mit ihrem Volksantrag einen Stein ins Rollen gebracht hätten. 

Reinhart: Kooperation statt Konfrontation

Sein CDU-Kollege Wolfgang Reinhart dankte der Landesregierung und den zuständigen Ministern, dass diese wichtigen Fragen im Konsens und nicht durch Kampfabstimmungen gelöst würden. „Wir wollen Veränderungen, denn der Artenreichtum und die Vielfalt des Lebens gehören zu den Schätzen unseres Planeten“, so Reinhart, der sich auch an seine Kindheit erinnerte, „als noch aus jeder Hecke ein Rebhuhn vertrieben wurde“. Auch im weiteren Prozess müsse das Ziel Kooperation statt Konfrontation sein.
Zu den Inhalten der Vereinbarungen erinnerte Martin Hahn (Grüne) daran, wie schlecht die Stimmung in der Landwirtschaft vor einem Jahr gewesen und wieviel im gemeinsamen Konsens erreicht worden sei. Norbert Burger (CDU) verlangte, die Bauern auf den Kosten des notwendigen Umbaus nicht sitzen zu lassen. Artenvielfalt und Biodiversität basierten auf dem Lebenswerk unzähliger bäuerlicher Familienbetriebe. Der Weg ins Morgen dürfe nicht verbaut werden. 

Weber: „Gemüse auf Weltreise“ keine Seltenheit

Udo Stein (AfD) kritisierte Eingriffe durch die Politik: „Wir können Rahmenbedingungen setzen, wir sind aber keine Zauberer und keine Diktatoren.“ Am besten funktioniere der freie Markt.
Jonas Weber (SPD) griff die Widersprüche auf, die in der wissenschaftlichen Anhörung zum Volksantrag offenbar geworden seien: „In Umfragen gibt die Hälfte der Befragten an, sie wolle Biofleisch kaufen, beim Einkauf greifen gerade einmal 35 Prozent zu.“ Auch bei Obst und Gemüse trennten Wunsch und Realität Welten. Ohnehin sei auch Bio nicht gleich Bio, sondern „Gemüse auf Weltreise“ keine Seltenheit.
Klaus Hoher, der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP, erklärte, dass für seine Fraktion sich die Anliegen der Landwirte, die dem Volksantrag zugrunde liegen, keineswegs erledigt hätten, denn das Biodiversitätsstärkungsgesetz der Landesregierung "bringt die unterschiedlichen Interessenlagen des Artenschutzes und der Landwirte nämlich nicht in einen gerechten Ausgleich". 

Quelle/Autor: bjhw

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22. und 23. Juli 2020